2025-07-02T09:28:18+0000

Web-TV: Reparatur mit Gebrauchtteilen – Rechnung scheint nicht aufzugehen

Der Einsatz gebrauchter Ersatzteile in der Unfallschadenreparatur spaltet weiterhin die Branche. Während Versicherer und Plattformanbieter die Kostenvorteile und Nachhaltigkeit betonen, bleiben Verbände, Werkstätten und Juristen kritisch angesichts offener Fragen nach Praktikabilität, Wirtschaftlichkeit und Haftung. In der aktuellen Ausgabe des Schadentalk im Web-TV, die seit dem 26. Juni online abrufbar ist, diskutieren Branchenvertreter über Einsatzmöglichkeiten, Grenzen und notwendige Voraussetzungen für die Integration gebrauchter Teile in die Werkstattpraxis. ## ClaimParts will Standards setzen – und Skepsis begegnen Oliver Hallstein, Geschäftsführer der Teileplattform ClaimParts, ist überzeugt vom Nutzen der „Used Parts“ in der Unfallschadenreparatur. Gerade mit Blick auf teils erhebliche Lieferengpässen bei Originalersatzteilen biete ClaimParts eine wichtige Alternative. Rund fünf Millionen gebrauchte Ersatzteile hält das Unternehmen vor – insbesondere Karosserieteile und Beleuchtungseinheiten. Alle Teile stammen laut Oliver Hallstein ausschließlich aus zertifizierten Demontagebetrieben, sind rückverfolgbar und nach Qualitätsstandards bewertet. „Jedes Bauteil erhält eine eigene Qualitätsstufe, sodass der Reparaturbetrieb im Vorfeld weiß, um was es sich handelt.“ Der Fokus liegt laut dem ClaimParts-Geschäftsführer auf Transparenz: Herkunftsnachweise, Lackschichtmessung und ein Qualitätshandbuch sollen Vertrauen schaffen. ## Vertrauensvorschuss auf Seiten der Werkstätten aufgebraucht Vertrauen – das war eines der zentralen Themen in der Diskussionsrunde. Denn das Vertrauensverhältnis zwischen Werkstätten und Kfz-Versicherern ist laut ZKF-Präsident Arndt Hürter stark belastet. Das Verbandsoberhaupt äußerte erneut die Befürchtung, dass Werkstätten durch die Verwendung von Second-Hand-Teilen wirtschaftliche Nachteile entstehen und die Kfz-Versicherer Zusatzaufwände nicht bezahlen. Verstärkt hat sich diese Befürchtung nach einem internationalen Austausch mit dem französischen Verband in Toulouse: „Auch die Franzosen sind seit Jahren von der Versicherungswirtschaft dazu verpflichtet, gebrauchte Teile – wo möglich – einzusetzen. Nachdem es sich einmal etabliert hat, ist es jetzt so, dass die Versicherer alle Zusatzzeiten, die dabei entstehen, nicht mehr bezahlen und die Werkstätten im Regen stehen lassen. Unsere französischen Kollegen haben uns deshalb eindringlich gewarnt: Lasst bloß die Finger davon.“ ## Sorgt Reparatur mit Gebrauchtteilen wirklich für Kostenreduktion? Dass gebrauchte Ersatzteile eine sinnvolle Alternative zu nicht lieferbaren OEM-Teilen darstellen, darüber herrschte in der Diskussionsrunde genereller Konsens. Schwer taten sich die Talkteilnehmer jedoch mit der Vehemenz und der Argumentation der Kfz-Versicherer, mit der das Thema aktuell im Markt platziert wird. Sowohl ZKF-Präsident Arndt Hürter als auch Rechtsanwalt Henning Hamann von der Kanzlei Voigt sind sich sicher, dass nicht die Nachhaltigkeit des Reparaturweges, sondern die Reduktion der Schadenkosten im Vordergrund für Assekuranzen stehen. Doch genau da liegt die Crux: Wie Uwe Schmorrte während der Sendung ausführte, haben Testkalkulationen von IcamSystems ergeben, dass die Ersparnis im einstelligen
Prozentbereich liegt – und das auch nur, wenn das Gebrauchtteil 50 Prozent weniger kostet, als das OEM-Teil (schaden.news berichtete). Bei diesen Berechnungen ist das Team von Uwe Schmortte jedoch von einem Stundensatz von 120 Euro für Karosseriearbeiten und 125 Euro für Lackierarbeiten ausgegangen. Der Geschäftsführer der Kanzlei Voigt, Henning Hamann, wandte an dieser Stelle ein: „Welche Werkstatt hat heute noch einen Stundensatz von 120 Euro, wenn es nicht ein gesteuerter Knebelvertrag ist? Der DEKRA Reparaturstundensatz liegt im Mittel bei 200 Euro.“ Offen bleibt darüber hinaus, ob das Gebrauchtteil tatsächlich um die Hälfte günstiger ist als das originale Ersatzteil. Denn, so räumte Oliver Hallstein auf Nachfrage ein: „Letztlich bestimmt der Demontagebetrieb den Preis.“ ## Kernproblem: Margen Ein zentrales Konfliktthema in der Diskussion um gebrauchte Ersatzteile bleibt die Frage nach der Marge. Mehrere Talkgäste machten deutlich, dass Reparaturbetriebe unter aktuellen Bedingungen wirtschaftlich kaum profitieren können. Arndt Hürter sprach von einem „No-Go“, an die Margen heranzugehen – gerade angesichts des steigenden Prüf- und Reklamationsaufwands. Auch Rainer Kühl verwies auf die kalkulierten Margen im KTI-Modell: Selbst bei einer angesetzten Werkstattmarge von 20 Prozent sei die Wirtschaftlichkeit oft nicht darstellbar – insbesondere im Vergleich zu Neuteilen, die laut OEM-Vorgaben meist höhere absolute Erträge bieten. Thorsten Ehlers, Geschäftsführer vom Autoteile Vertriebszentrum (AVZ) in Gelsenkirchen, brachte es auf den Punkt: „Wir reden am Ende nicht über Prozente, sondern über Euro. Und die bleiben bei gebrauchten Teilen oft aus.“ Die zusätzlichen Arbeitsschritte – vom Prüfen über die Nachbearbeitung bis zur Dokumentation – seien kaum kostendeckend abbildbar. Für viele Werkstätten sei das Modell daher nur tragfähig, wenn die Versicherer bereit wären, diese Zusatzaufwände dauerhaft und nachvollziehbar zu vergüten. ## AVZ sieht keine Wirtschaftlichkeit im Gebrauchtteilmodell Auch aus Sicht der Teileindustrie stößt das Konzept Gebrauchtteile auf deutliche Vorbehalte. Thorsten Ehlers machte im Talk unmissverständlich klar, dass gebrauchte Komponenten aus seiner Sicht keine wirtschaftlich tragfähige Alternative darstellen. „Wir haben uns das Thema offen angeschaut – aber sobald man ernsthaft durchrechnet, was an internen Kosten, Logistik, Nachbearbeitung und Qualitätssicherung anfällt, ist das für uns nicht abbildbar“, erklärte er. Trotz eigener Überlegungen, etwa reklamierte oder nicht mehr vermarktbare Teile in alternative Verwertungskanäle zu bringen, sei man zu dem Schluss gekommen, dass Aufwand und Risiko in keinem Verhältnis zum möglichen Ertrag stünden. Die wirtschaftliche Logik spreche klar gegen das Modell. Denn entlang der gesamten Prozesskette – vom Demontagebetrieb über Logistik und Qualitätssicherung bis zur Werkstatt – müsse jeder Beteiligte einen Mehrwert erzielen können. Bei gebrauchten Teilen sei dies kaum möglich. Darüber hinaus verwies Ehlers auf die realen Herausforderungen in den Werkstätten: Der Fachkräftemangel, der zunehmende Druck
durch gesteuerte Schäden und die gestiegenen Anforderungen an Präzision und Qualität machten es aus seiner Sicht nahezu unvorstellbar, dass Betriebe in der Breite gebrauchte und potenziell fehlerbehaftete Teile mit zusätzlichem Aufwand verarbeiten können. ## Rechts-Check: Theoretisch möglich, in der Praxis juristisch fragwürdig Rechtsanwalt Henning Hamann, Geschäftsführer der Kanzlei Voigt, brachte in der Runde die juristische Perspektive ein – und machte deutlich: Der Einsatz gebrauchter Ersatzteile mag theoretisch möglich sein, ist in der Praxis jedoch mit erheblichen rechtlichen Unsicherheiten verbunden. Zwar gebe es keine gesetzliche Vorschrift, die den Einbau gebrauchter Teile per se verbiete. Doch der Teufel stecke im Detail – und insbesondere im Zustand der gelieferten Bauteile. „Rechtlich ist der Ausgangspunkt klar: Der Geschädigte hat Anspruch auf Wiederherstellung des Zustands vor dem Schaden. Wenn das beschädigte Teil fünf Jahre alt war, darf auch ein fünf Jahre altes Ersatzteil verwendet werden“, so Hamann. Doch damit beginne bereits die Grauzone: Wer stellt sicher, dass das Ersatzteil keinen Vorschaden hatte? Wie wird dokumentiert, in welchem Zustand es sich tatsächlich befindet? Zwar betonte ClaimParts-Geschäftsführer Oliver Hallstein die umfassende Rückverfolgbarkeit der Bauteile inklusive Kilometerstand und Fahrgestellnummer. Doch der Rechtsanwalt wandte ein: „Wenn ich ein Auto habe, das fünf Jahre in der Garage stand und quasi neuwertig ist – darf dann eine gebrauchte Tür mit Lackschäden oder unbekanntem Vorleben eingebaut werden? Das ist juristisch höchst fragwürdig.“ Besonders kritisch sieht Henning Hamann die Haftung für Folgeprobleme. Was passiert, wenn ein Gebrauchtteil nach der Reparatur erneut beschädigt wird oder bereits Vorschäden aufweist, die später zu Mängeln führen? Auch in Fragen der Gewährleistung und Beweislast drohen dem Reparaturbetrieb juristische Fallstricke – insbesondere, wenn keine klaren vertraglichen Vereinbarungen mit dem Kunden bestehen. ## Blick über Ländergrenzen: Schweden als Paradebeispiel Dass der Einsatz und Verbau gebrauchter Ersatzteile auch in der Praxis realisierbar ist, zeigen hingegen die nordeuropäischen Länder Schweden, Finnland und Norwegen. Während hierzulande noch über offene Fragen diskutiert wird, gehören Gebrauchtteile dort bereits zum Reparaturalltag, wie Rainer Kühl während der Sendung erklärte. Laut dem KTI-Prokuristen gelinge der Einsatz vor allem deshalb, weil ein breiter Konsens zwischen allen Marktakteuren besteht. In Schweden – so Rainer Kühl – würden Nachhaltigkeit und Qualität nicht gegeneinander ausgespielt, sondern gemeinsam gedacht: „Dort ist man bereit, für nachhaltige Reparaturen auch mehr Geld in die Hand zu nehmen. Es gibt ein gemeinsames Verständnis zwischen Werkstätten, Versicherern und Herstellern.“ Allerdings warnte Kühl ausdrücklich davor, solche Modelle 1:1 auf Deutschland übertragen zu wollen. „Die Schadenprozesse sind anders strukturiert, und die Historie ist eine andere“, erklärte er. Dennoch könne Schweden als Orientierungspunkt dienen, wie standardisierte Prozesse, Qualitätsrichtlinien und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Beteiligten den Weg für eine sinnvolle Integration gebrauchter Ersatzteile ebnen könnten. ## Ausblick: Hoffnung auf Konsens bleibt, Skepsis auch Innerhalb der Web-TV-Sendung wurde sehr deutlich: Um Gebrauchtteile als wirtschaftlich tragfähige und flächendeckende Reparaturmethode in Deutschland zu etablieren, fehlt noch vieles. Neben standardisierten Prozessen und rechtlicher Klarheit vor allem auch eine vertrauensvolle Basis aller am Schadenprozess Beteiligten. Rechtsexperte Henning Hamann bleibt deshalb skeptisch: „Ich sehe nicht, woher das Vertrauen kommen soll.“ Er verwies auf anhaltende Regressforderungen, fehlende Gesprächsbereitschaft der Versicherer – und eine wachsende Distanz zur Werkstattwelt. ZKF-Präsident Arndt Hürter zeigte sich hingegen weiterhin bemüht um Lösungsansätze und offen für den Dialog mit den Kfz-Versicherern. Im Fokus stehen für ihn dabei – mit Blick auf die Entwicklungen in Frankreich – verbindliche Rahmenbedingungen und verlässliche Zusagen zu Margen, Zusatzaufwänden und Gewährleistung. Andernfalls sei die Reparatur mit Gebrauchtteilen nicht tragfähig: „Wenn wir Pilotprojekte begleiten, dann nur unter der Bedingung, dass Werkstätten nicht im Regen stehen gelassen werden.“ Ebenfalls verhalten optimistisch zeigte sich Rainer Kühl. Ziel des Kraftfahrzeugtechnischen Instituts sei es, die emotional aufgeladene Debatte in Deutschland zu versachlichen und die Gespräche in konstruktive Bahnen zu lenken. Die Unfallreparaturforscher sehen sich dabei künftig als neutralen und moderierenden Akteur. Fakt ist: Die Diskussion wird wohl noch eine Weile andauern. Ob Werkstätten und Versicherer einen gemeinsamen Konsens wie in Schweden finden, bleibt ebenfalls abzuwarten.
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