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2025-10-29T10:32:28+0000

„Pkw-Stundensätze reichen für die Reparatur von Caravan-Schäden definitiv nicht aus“

Die Diskussion um Stundensätze für Caravan-Reparaturen sorgt derzeit in vielen Werkstätten für Unruhe. Hintergrund: [Der Schadensteuerer Innovation Group will das Thema Stundensätze offenbar anpacken und geht laut seiner Produktbeschreibung bei der Reparatur von Caravan und Campern von den Stundensätzen für Pkw aus.](https://schaden.news/de/article/link/44699/innovation-group-will-neue-vertraege-durchsetzen) In einer aktuellen Mail an die Partnerwerkstätten Mitte Oktober teilt die Innovation Group den Betrieben inzwischen mit, die Stundensätze für Caravan und Camper individuell verhandeln zu wollen. Branchenvertreter warnen deshalb davor, bei der Vereinbarung der Stundensätze für die Reparatur von Freizeitmobilen auf Pkw-Stundensätze zu setzen und empfehlen, stattdessen im Vorfeld gut zu kalkulieren. Denn der Caravan ist kein normaler Pkw: Reparatur und Begutachtung sind ungleich komplexer, erfordern spezielles Wissen und bedeuten erheblich mehr Arbeitszeit. ## „Pkw-Stundensätze für Caravans – das ist nicht realistisch“ „Wer Caravans mit Pkw gleichsetzt, blendet die Realität komplett aus“, warnt beispielsweise der Caravan-Sachverständige Eric Lebelt. Er betont: „Ein Caravan ist Fahrzeug und Wohngebäude zugleich. Wir reden hier nicht nur über Karosserie und Lack, sondern auch über Möbelbau, Gas, 230-Volt-Stromversorgung, Heizung, Klimaanlage, Dusche oder Toilette. Alles, was man sonst in einem Wohngebäude findet, steckt zusätzlich im Fahrzeug.“ Schon ein kleiner Schaden könne deshalb weitreichende Folgen haben. „Hinter einer beschädigten Seitenwand sitzt eine Dusche, ein Kühlschrank oder ein Möbelmodul – und das kann im Falle eines Unfalls auch beschädigt sein.“ Versicherer oder Schadensteuerer, die Caravan-Reparaturen zu vereinbarten Pkw-Sätzen abrechnen wollen, verkennen laut Eric Lebelt deshalb die Realität. „Wenn ein Caravan-Betrieb die vereinbarten Pkw-Stundensätze eines Schadensteuerers akzeptieren soll, verliert er direkt Gewinn. Die Arbeitszeit ist beim Caravan in der Regel höher. Und genau da liege das Risiko für den Betrieb, bestätigt Dierk Conrad, Geschäftsführer Nutzfahrzeuge beim Zentralverband Karosserie- und Fahrzeugtechnik e.V. (ZKF). Er betont nochmals: „Die Caravan-Reparatur ist auf Grund der abweichenden Reparaturprozesse nicht vergleichbar mit einer Pkw-Reparatur. Die gleichen, rabattierten Stundenverrechnungssätze der Pkw-Reparatur können daher nicht für die Reparatur von Reisemobilen und Caravans angesetzt werden.“ Er führt aus: „In einem modernen Karosseriebetrieb sind die Prozesse der Pkw-Karosserieinstandsetzung fast industriell und regelrecht getaktet. Die Kalkulation und Ersatzteilbeschaffung beispielsweise erfolgt mit Kalkulationssystemen per Knopfdruck. Eine optimierte Prozessabwicklung ist Grundlage für die Rabatte, die Versicherer bzw. Schadensteuerer von den Werkstätten erhalten. All das ist bei der Caravan-Reparatur jedoch nicht gegeben.“ Betriebe, die bei Verhandlungen mit Schadensteuerern für die Reparatur von Caravans auf Pkw-Stundensätze anspringen, haben nach Ansicht von Dierk Conrad keine ausreichende Erfahrung mit dem Thema. „Sie denken vielleicht, sie können dann einfach mehr Stunden aufschreiben – dabei handelt es sich um komplett unterschiedliche
Prozesse. Wir müssen bedenken: Bei den Vergütungen für die Pkw-Reparatur vereinbaren die Schadensteuerer mit den Betrieben per se schon rabattierte Konditionen. Diese können durch die Komplexität und Vielfältigkeit in der Caravan-Instandsetzung niemals erreicht werden.“ ## Aufwendige Begutachtung und Reparatur Eric Lebelt erklärt im schaden.news-Gespräch, dass die Vielschichtigkeit bei der Bauweise der Caravans besondere Ansprüche an die Begutachtung, Kalkulation und Reparatur eines Reisemobils stellen: „Einen Caravan-Gutachter erkennt man unter anderem auch daran, dass er auch dann ins Fahrzeug hineingeht, wenn außen nur ein kleiner Schaden zu sehen ist“, betont der Sachverständige, der gleichzeitig Mitgründer des Caravaning Gutachter Fachverbands (CGF) ist. „Ich schaue ein beschädigtes Wohnmobil auch außerhalb des eigentlichen Schadenbereiches sehr intensiv an. Holz und Möbel können sich durch einen Unfall verschieben oder sogar brechen – das sieht man von außen nicht.“ Auch bei der Reparatur sei der Aufwand nicht mit Pkw-Arbeiten vergleichbar: „Beim Caravan ist vieles verklebt. Wer ein Teil ausbaut, zerstört nicht selten automatisch ein anderes. Das macht die Kalkulation und die Reparatur so komplex.“ ## Fehlende Werte – Erfahrung zählt Zudem mangele es schlichtweg an standardisierten Kalkulationsgrundlagen. „Es gibt keine Datenbank, in die man eine Fahrgestellnummer eingibt und sofort alle Preise und Zeiten bekommt, wie das beim Pkw der Fall ist“, erklärt Eric Lebelt. „Wir müssen uns Ersatzteilpreise oft direkt bei Herstellern oder Händlern besorgen – und die Arbeitszeiten ergeben sich oft nur aus eigener Erfahrung oder Vergleichswerten.“ Dierk Conrad fügt hinzu: „Für die Ersatzteilbeschaffung ist eine aufwändige und zeitintensive Recherche bei Händlern, Herstellern per Internet oder Telefon notwendig, die mehrere Stunden in Anspruch nehmen kann.“ Zudem seien Lieferzeiten für Ersatzteile lang und kaum planbar. Eine zwangsweise Unterbrechung der Reparatur mit längeren Warte- und Standzeiten sei daher nicht ungewöhnlich – auch das habe Einfluss auf die Planbarkeit der Reparatur. ## Arbeitszeit statt Ersatzteilgeschäft Ein Blick auf die Kostenstrukturen verdeutlicht zudem einen weiteren wichtigen Unterschied zwischen einer Pkw- und einer Caravan-Reparatur, erklärt der Caravan-Sachverständige Eric Lebelt: „Beim Pkw machen die Ersatzteile rund 60 Prozent aus, die Arbeitszeit vielleicht 20 Prozent, ergänzend noch circa 20 Prozent bei der Lackierung. Beim Caravan ist es meist genau umgekehrt: Dort liegen die Ersatzteile schadenabhängig eher bei 35 Prozent, die Arbeitszeit aber bei rund 65 Prozent.“ Für die Werkstätten sei das durchaus attraktiv. „Die Betriebe verkaufen ihre Arbeitskraft – und das ist am Ende das, was bezahlt werden muss. Ersatzteile bringen Aufschläge, aber verdient wird an den Stunden.“ Wichtig ist bei der Argumentation der höheren Stundensätze für die Caravan-Reparatur auch der Koordinationsaufwand, erklärt Dierk Conrad: „Die Arbeiten verschiedener Gewerke, wie Elektrik, Schreinerei oder Tischlerei müssen aufeinander abgestimmt sein. Auch das ist oftmals mit Wartezeiten verbunden.“ Apropos Gewerke: Laut Eric Lebelt
müssen hier auch die Qualifikationsanforderungen berücksichtigt werden: „Zum Beispiel für eine Gasprüfung oder die Elektroprüfung nach der Reparatur braucht man Fachpersonal mit entsprechenden Nachweisen. Und dieses muss wiederum auch angemessen entlohnt werden.“ ## Ausbildung und Zukunftsperspektive Noch gibt es nur wenige einheitlichen Ausbildungsstandards für die Fachkräfte, die die Reparatur der rollenden Wohnzimmer einmal übernehmen sollen. „Deswegen erleben wir nicht selten Fehlreparaturen und viel Unverständnis“, kritisiert Eric Lebelt. Den neuen Ausbildungszweig des ZKF bewertet er sehr positiv, aber dennoch weiter ausbaufähig: „Ein Jahr Spezialisierung reicht bei diesem umfangreichen Feld nicht gänzlich aus. Eigentlich müsste man länger ausbilden.“ Dem stimmt ZKF-Nutzfahrzeugexperte Dierk Conrad prinzipiell zu, verweist aber auf die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Ausbildungsdauer. „Letztendlich lernt man aber auch nach Abschluss der Gesellenprüfung nicht aus“, weist er darauf hin, dass regelmäßige Weiterbildungen den Wissensstand auch im Berufsalltag vertiefen. ## Erweiterung des Kenntnisstandes durch Praxis Genau das ist der Grund, weshalb der Sachverständige Eric Lebelt selbst regelmäßig Zeit in Praxisarbeit investiert, um die eigenen Kenntnisse stetig zu erweitern: „Ich habe zum Beispiel schon Seitenwandbleche eigenhändig mit getauscht und verwitterte Folien entfernt. Erst wenn man merkt, dass man fast 1,5 Tage braucht, um beidseitig eine sechs Meter lange Folie schonend abzulösen und den Untergrund für die Neu-Folierung vorzubereiten, versteht man, warum das keine Zwei-Stunden-Arbeit ist.“ Gerade diese Praxiserfahrung liefere ihm oftmals auch Argumente bei der Begründung von Arbeitszeitwerten gegenüber den Kfz-Versicherern. ## „Es muss eine öffentliche Bestellung des Caravan-Sachverständigen geben“ Für die Zukunft fordert der Gutachter Eric Lebelt übrigens eine stärkere öffentliche Anerkennung des Caravan-Sachverständigen: „Es muss eine öffentliche Bestellung im Bereich Caravan geben. Der Bereich Caravaning unterscheidet sich in seiner Komplexität deutlich von der klassischen Kfz-Sachverständigentätigkeit. Der Markt für Caravan-Handel und Caravan-Reparaturen boomt – deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, Strukturen zu schaffen.“
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