2025-08-20T09:11:23+0000

Originalfarbtöne des Porsche 356 identifiziert und zertifiziert: Farb-Archäologie für eine Ikone

_In einem einzigartigen Gemeinschaftsprojekt haben mehrere Projektpartner die von Karosserie Reutter verwendeten Originalfarbtöne des legendären Porsche 356 recherchiert und für die originalgetreue Restaurierung zertifiziert. Insgesamt sieben Jahre hat die Identifizierung der Original-Serienfarbtöne und Ausarbeitung der Mischformeln gedauert. Die Lackmarkte Glasurit ist exklusiver Lackpartner. Classic Cars Manager Jürgen Book erklärt im exklusiven Interview, wie die Projektpartner vorgegangen sind, wo die größten Herausforderungen lagen und welche Bedeutung die Zertifizierung der Originalfarbtöne für die Classic Car-Szene hat._ ___Herr Book, in einem umfangreichen Recherche-Projekt wurden die Original-Serienfarbtöne den ikonischen Porsche 356 ermittelt und zertifiziert. Wie kam es dazu, dass Glasurit sich an diesem Projekt beteiligt hat?___ __Jürgen Book:__ Für uns war sofort klar, dass wir hier mitmischen müssen – im wahrsten Sinne des Wortes. Glasurit war seit 1955 Hauptlieferant für das Stuttgarter Karosseriewerk Reutter & Co. GmbH, das den legendären Sportwagen von 1950 bis 1963 für Porsche baute und lackierte. Über 60.000 der insgesamt etwa 78.000 Fahrzeuge wurden von Reutter gebaut. Glasurit hat in dieser Zeit mit neuartigen Kunstharz-Einbrenn-Lacken die Nitrozelluloselacke abgelöst. Unser Archiv in Münster enthält viele Originalbleche, die für dieses Projekt eine wertvolle Grundlage waren. ___Wer war neben Glasurit noch am Projekt beteiligt?___ __Jürgen Book:__ Initiator des Ganzen ist Guido Eickholz von Erlkönig Classic, der exklusiv die Markenrechte der Familie Reutter verwertet und ein weltweites Expertennetzwerk aufgebaut hat. Ein wichtiger Partner für Authentizität war zudem Ande Votteler, der seit den 90er-Jahren unberührte Fahrzeuge sammelt. Außerdem waren Marco Marinello, international bekannter Porsche-Experte, sowie Mark Wegh und Freek Janssen vom Porsche Classic Center Gelderland dabei. Von Glasurit waren neben mir auch meine Kollegen Helmut Imberge, Ralf Frank und nun auch Dennis Friedag eingebunden. Und nicht zu vergessen: viele engagierte Porsche-Enthusiasten aus aller Welt. Sie alle haben mit historischen Unterlagen, Originalteilen und Fachwissen wesentlich zum Erfolg beigetragen. ___Was war das Ziel dieser aufwendigen Recherche?___ __Jürgen Book:__ Wir wollten gemeinsam mit den genannten Partnern verbindlich festlegen, wie die Originalfarbtöne des 356 tatsächlich ausgesehen haben. 60 bis 70 Jahre nach der Produktion ist das fast wie archäologische Arbeit – nur eben mit Farbmustern aller Art statt Schaufel und Pinsel. ___Welche Herausforderungen gab es bei der Bestimmung der Originaltöne?___ __Jürgen Book:__ Da gab es einige. Zum einen die Nuancenunterschiede während der Produktionsjahre – es gab hellere, dunklere oder farbigere Varianten desselben Farbtons. Dann die jahrzehntelange Alterung die wir in unseren Recherchen
berücksichtigen mussten. Die Beschaffung von geeigneten Mustern wäre ohne das weltweite Netzwerk von Erlkönig nicht möglich gewesen, denn Autos mit Erstlack sind selten. Wir konnten aus unterschiedlichen Gründen leider auch nicht alle Muster nutzen. ___Wie sind Sie praktisch vorgegangen?___ __Jürgen Book:__ Wir haben in zehn Schritten gearbeitet: von der Festlegung des Projektumfangs über das Sammeln und Qualifizieren von Referenzmustern bis zur Ausarbeitung der Mischformeln in unserem Farbtonlabor in Münster. Als Erstlackmuster eigneten sich besonders A-Säulen-Bleche, die neben den Türscharnieren liegen und vor Witterungseinflüssen geschützt weitgehend unversehrt erhalten waren. Unser Farbtonteam bei BASF Coatings – mit Helmut Imberge und Ralf Frank – hat hier eng mit allen Partnern zusammengearbeitet. Am Ende gab es für jeden Farbton eine gemeinsame Expertenfreigabe. ___Wie viele Farbtöne konnten Sie bisher zertifizieren?___ __Jürgen Book:__ Stand April 2025 haben wir 43 von 59 Farbtönen zertifiziert. Für die übrigen liegen zwar Mischformeln vor, aber uns fehlen noch ausreichend belastbare Erstlackmuster. Das holen wir Schritt für Schritt nach – unterstützt von unserem Partnernetzwerk weltweit. ___Welche Lacktechnologie wurde verwendet?___ __Jürgen Book:__ Auch das war ein wichtiger Punkt, der im Rahmen des Projektes definiert werden musste. Die Farbtöne werden mit aktueller Lacktechnologie als Einschicht 2K PUR High Solid Decklack der Reihe 22 sowie als wasserbasierender Basislack der Reihe 90- bzw. 100- oder als lösemittelbasierender Basislack der Reihe 55- ausgearbeitet. Die Mischformeln der zertifizierten Farbtöne unterliegen einer besonderen Kennzeichnung und Qualitätssicherung bei Glasurit. Das heißt konkret: Sollte ein Rohstoff einer Reutter-Mischformel aus verschiedenen Gründen geändert werden müssen, stellen wir mit besonderen Maßnahmen sicher, dass die Farben exakt und konstant bleiben. ___Wo können Restaurationsbetriebe und Fahrzeuglackierer die zertifizierten Farbtöne finden?___ __Jürgen Book:__ Die Mischformeln sind in der Glasurit Farbtondatenbank beim Glasurit-Lackierbetrieb vorhanden. Damit diese speziell ausgearbeiteten Mischformeln leicht zu finden und unverwechselbar sind, wurden alle Farbtöne unter dem Hersteller Porsche mit dem Zusatz „Reutter“ angelegt. Die bisher verwendeten Mischformeln mit anderen Nuancen bleiben in der Farbtondatenbank unter Porsche weiter gültig für den Fall von Reparaturen an damit lackierten Fahrzeugen. ___Was bedeutet das Ergebnis für Restauratoren und Besitzer eines Porsche 356?___ __Jürgen Book:__ Sie bekommen über die Glasurit-Lackierbetriebe jetzt Zugriff auf exklusiv bei Glasurit nachmischbare Farbtöne, die dem historischen Original entsprechen. Die Wahl des originalen Farbtons ist heute ein erheblicher Faktor bei der Bewertung eines Klassikers. Heute erlauben moderne Mittel, Methoden und Materialien eine viel genauere Rekonstruktion und Anpassung als es früher der Fall war. Auch die Ansprüche sind dementsprechend anders. Analog zu „Matching Numbers“ bedeutet auch die authentische Farbe der Erstauslieferung einen Beitrag zum Werterhalt durch die stringente Historie. ___Wird das Projekt fortgesetzt?___ __Jürgen Book:__ Auf jeden Fall. Solange es noch nicht zertifizierte Farbtöne gibt, bleibt das Thema lebendig. Und wer weiß – vielleicht tauchen ja noch seltene Sonder- oder Einzelfarben auf, die wir ebenfalls dokumentieren können. ___Vielen Dank für das Gespräch!___