2024-04-17T11:43:02+0000

Web-TV kompakt: „Großes Potenzial für Werkstätten, hier ins Fettnäpfchen zu treten“

Die Angriffe auf die Reparaturrechnungen werden in diesem Jahr nicht nur weitergehen, sondern noch zunehmen – darin sind sich Rechtsexperten einig. Der Grund: Die tiefroten Jahresabschlüsse der Kfz-Versicherer 2023. [So vermeldete die HUK-Coburg in ihrer Bilanzpressekonferenz vergangene Woche eine Schaden-Kosten-Quote von 113 Prozent – ein neuer Negativrekord.](https://schaden.news/de/article/link/43956/huk-coburg-bilanzpressekonferenz) Um sich erfolgreich gegen Rechnungskürzungen zur Wehr zu setzen, müssen die Werkstätten in schadenrechtlicher Sicht mehr denn je aktuell informiert bleiben, betont auch Rechtsanwalt Henning Hamann, Geschäftsführer der Kanzlei Voigt, bei Web-TV kompakt. In dem neuen, rund 20-minütigen Sendungsformat klärt der Rechtsexperte über aktuelle Entwicklungen im Schadenrecht auf. Im Talk mit Moderatorin Carina Hedderich vergangene Woche (11.04.) standen dabei die fünf Revisionsentscheidungen des Bundesgerichtshofes vom 16. Januar 2024 im Fokus. „Der BGH hat in diesen fünf Entscheidungen strittige Sachverhalte aus den letzten Jahren zu beseitigen versucht, aber die Versicherer haben bereits reagiert und versuchen es, in ihrem Sinne umzusetzen“, erklärt der Fachanwalt zu Beginn der kompakt-Sendung. ## „Auch bei tatsächlich nicht ausgeführten Arbeiten gilt das Werkstattrisiko“ Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus April 2022 hatte vor allem im vergangenen Jahr für Unruhe im Markt gesorgt. Denn basierend auf dem im Urteil verfassten Passus „… solange die Reparatur tatsächlich durchgeführt wurde …“ haben Kfz-Versicherer vermehrt die Durchführung von Reparaturarbeiten bestritten und die Zahlung verweigert. Teils mit Erfolg. Mit der aktuellen Entscheidung im Januar (VI ZR 253/22) habe der BGH klargestellt, „dass die Sichtweise der Versicherer falsch ist“, wie Henning Hamann ausführt. Heißt konkret: „Auch bei tatsächlich nicht durchgeführten Arbeiten kann sich der Geschädigte aufs Werkstattrisiko berufen, sofern diese für den Geschädigten nicht erkennbar sind“, erklärt der Rechtsanwalt. Als Beispiel nannte er aufgelistete Frontscheinwerfer bei einem Heckschaden – in diesem Fall könnte auch ein Laie erkennen, dass der Ersatz der Frontscheinwerfer nicht notwendig wäre. Zudem gilt das Werkstattrisiko auch weiterhin beim sogenannten „Schadenservice aus einer Hand“. Die Vermittlung des Sachverständigen durch den Unfallreparaturbetrieb ist laut BGH „kein Anhaltspunkt für ein Überwachungs- und Auswahlverschulden des Geschädigten“, so der Kanzlei Voigt-Geschäftsführer. ## „Für alle laufenden Verfahren muss der Klageantrag umgestellt“ Eine weitere Entscheidung des Bundesgerichtshofes bezog sich auf noch nicht (vollständig) bezahlte Werkstattrechnungen (VI ZR 266/22). „Wenn der Geschädigte weiterhin in den Genuss des Werkstattrisikos kommen möchte, darf er nicht die Zahlung an sich selbst verlangen, sondern muss Zahlung an die Werkstatt verlangen“, verdeutlicht Henning Hamann in diesem Zusammenhang. Denn andernfalls könnte sich der Geschädigte durch den Schadenersatz des eintrittspflichten Versicherers bereichern, sofern er den vollen Rechnungsbetrag nicht an die reparierende Werkstatt weiterleitet.
Deswegen könne er sich bei Zahlung an sich selbst nicht auf das Werkstattrisiko berufen und stehe in der Beweispflicht, dass alle Arbeiten in der Reparaturrechnung erforderlich waren. Für die Praxis heißt dies nun: „Für alle laufenden Verfahren muss der Klageantrag umgestellt und Zahlung an die Werkstatt verlangt werden. Das ist prozessual kein Problem.“ ## „Bei Klagen aus abgetretenem Recht ist die Werkstatt in der vollen Beweispflicht“ Besonders wichtig für Werkstätten sind außerdem zwei BGH-Entscheidungen zu Klagen aus abgetretenem Recht. Basierend auf einer älteren Entscheidung des Bundesgerichtshofes konnte bisher davon ausgegangen werden, dass mit der Abtretung der Ansprüche auch das Werkstattrisiko auf den Reparaturbetrieb übergeht, wie der Fachanwalt erklärt. In vielen Werkstätten war es daher Usus, sich per RKÜ die Ansprüche des Geschädigten als Sicherungsmittel abtreten zu lassen, um im Kürzungsfall gerichtlich gegen den Kfz-Versicherer vorgehen zu können. Diese gängige Praxis sollte künftig jedoch tunlichst vermieden werden, rät Henning Hamann. Denn in zwei Entscheidungen vom 16. Januar verdeutlichte der Bundesgerichtshof, dass sich die Werkstatt bei Klagen aus abgetretenem Recht nicht auf das Werkstattrisiko berufen kann. Sprich: Alle in der Reparaturrechnung aufgelisteten Arbeiten müssen als erforderlich und durchgeführt nachgewiesen werden. „Das bürdet der Werkstatt ein enormes Beweisrisiko auf“, warnt der Rechtsexperte. Denn gerichtlich angeordnete Sachverständigengutachten könnten im Zweifel zu einem anderen Ergebnis kommen. Henning Hamann appelliert deshalb: „Klagen Sie wirklich nur dann aus abgetretenem Recht, wenn Sie zu einhundert Prozent sicherstellen können, dass Sie alles, was Sie repariert haben, auch nachweisen können!“ Dafür bedarf es einer sauberen und lückenlosen Dokumentation der Schäden. „Das haben wir in der breiten Fläche nicht immer“, weiß der Fachanwalt für Verkehrsrecht aus Erfahrung. ## „Versicherer versuchen, Unsicherheit zu verbreiten“ Parallel zum Tagesgeschäft ist es für die Betriebsinhaberinnen und -inhaber ohnehin schwer, alle schadenrechtlichen Entwicklungen im Auge zu behalten – das weiß auch der Kanzlei-Geschäftsführer. Die teils neuen Argumentationen der Versicherer mit Bezug auf die BGH-Entscheidungen, sorgen bei den Werkstätten deshalb für Verunsicherung. „Diese Unsicherheiten nutzen die Versicherer natürlich aus. Ich könnte mir vorstellen, dass viele Betriebe, die nicht anwaltlich beraten sind, auf solche Schreiben reinfallen und dann den Kürzungen nicht oder falsch hinterhergehen.“ ## Wichtige Tipps des Rechtsexperten Die Empfehlung des Kanzlei-Geschäftsführers lautete deshalb ganz klar: „Kein Schaden ohne Anwalt regulieren.“ Unabhängig davon empfiehlt Henning Hamann: „Nehmen Sie den Geschädigten mit ins Boot. Führen Sie ihm vor Augen, dass es zu Problemen bei der Regulierung kommen kann und in aller Regel auch wird – und zwar von Anfang an und nicht erst, wenn die Fronten verhärtet sind.“ Abschließend appelliert der Rechtsexperte noch einmal für eine saubere Dokumentation im Rahmen der Reparatur. „Dokumentieren, dokumentieren, dokumentieren – ein Foto mit dem Handy kostet nichts. Das kennen die Werkstätten aus den Garantiereparaturen bereits, das sollte auf die Haftpflicht- und Kaskoschäden ausgeweitet werden. Denn alles, was dokumentiert ist, kann ich hinterher auch nachweisen!“
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