2024-03-27T10:30:00+0000

Karosserie- und Schadenstage: Energiegeladene Stimmung in Würzburg

Großes „Hallo“ am Freitag und Samstag vergangener Woche (22. und 23. März) im Vogel Convention Center in Würzburg. Zu den Karosserie- und Schadenstagen kamen rund 1.200 Besucher – laut den Veranstaltern ein neuer Rekord. Die Stimmung in der Veranstaltungshalle war allseits gut. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren nicht nur wegen des umfangreichen und inhaltsstarken Vortragsprogramms oder der vielfältigen Fachausstellung gekommen, sondern nutzten die Gelegenheit fürs Netzwerken und gute Gespräche. ## Live-Schaltung zu Fallbeispielen in der Praxis Unter dem Titel „E-Mobilität – Kurzfristiger Hype oder langfristiger Trend“ stand in diesem Jahr der Umgang mit Elektrofahrzeugen im Fokus. Mit einem gezeigten Crash begann der Einstieg ins Thema am Freitagvormittag, bei dem ein Volkswagen E-Up bereits im Vorfeld der Karosserie- und Schadenstage durch DEKRA einer realen Unfallsituation ausgesetzt wurde. Das Ergebnis: Ein massiver Frontschaden mit geknickten Längsträgern und stark deformierter Fahrzeugkarosserie im linken Bereich. Wie DEKRA Experte Michael Wallrapp erklärte, ein klarer Totalschaden – auch wenn der Hochvolt-Speicher augenscheinlich intakt und unbeschädigt sei. Da die sogenannte Pyrofuse, also eine Trennung der Verbindungsleitung zur Batterie mittels Treibsatz, ausgelöst wurde, hätte dieser Crash in jedem Fall eine Prüfung der Batterie zur Folge gehabt. Wie unterschiedlich die Herangehensweise beim Umgang mit Hochvolt-Spannung sein kann, zeigten die beiden nächsten Beispielfahrzeuge, die live auf dem Vorplatz des VCC zu sehen waren. Zunächst wurde an einem McLaren Artura Hybridfahrzeug demonstriert, auf welchem Wege dieser spannungsfrei geschalten werden kann – eine diagnostische Freischaltung ist hier nicht möglich und kann nur durch Lösen des Massepols und anschließendem Ziehen des HV-Loop erfolgen. Im weiteren Verlauf wurde ein beschädigter VW Passat GTE vom Sachgebietsleiter für Sondergutachten bei DEKRA, Harald Eder, spannungsfrei geschalten. Seiner Meinung nach wäre dies bei dem vorliegenden Schadenbild – eine Beschädigung an der linken Seitenwand – nicht zwingend notwendig, allerdings sei es beim Einsatz von Schweißtechnik aus seiner Sicht empfehlenswert, die Fahrzeugelektronik zu schützen. Mithilfe eines Diagnosetesters wurde folglich das HV-System abgeschaltet und der Trennstecker gezogen. Der Experte klärte die Anwesenden im Detail darüber auf, welche Arbeitsmethoden spezielle Schutzausrüstung erfordern und welche nicht. ## „I statt E“ auch an Hochvoltfahrzeugen Im Anschluss begann der technische Vertriebsmitarbeiter bei Carbon, Leonard Jurisch, den Schaden zunächst genau zu analysieren und die Seitenwand danach mit dem CBR-System des Werkstattausrüsters Schritt für Schritt instand zu setzen. Nach Einsatz der Klebe-Technik begann der Fachmann das Blech der Seitenwand durch Erwärmen
zurückzuverformen und das Karosserieteil letztendlich entsprechend dem definierten Übergabezustand Karosserie an Lack wieder herzustellen. Dabei kamen auch die kalkulierten Reparaturkosten des Schadens zur Sprache: Den veranschlagten rund 8.000 Euro für einen Wechsel der Seitenwand und damit verbundenen Zusatzarbeiten inklusive Ersatzteilen standen zirka 5.000 Euro für den Weg der nachhaltigeren Instandsetzung des Passats gegenüber. ## „E ist auch nur ein Buchstabe“ Was die Praxis in Würzburg zeigte, ist allerdings noch längst kein Alltag in deutschen K&L-Betrieben. Denn noch immer stehen viele Betriebe vor der Frage – und das spiegelte sich in Würzburg in vielen Fragen des Publikums wider – ob sie sich und ihre Fachkräfte für Instandsetzungsarbeiten an E-Autos qualifizieren lassen sollten. Und wenn ja, mit welchen Investitionen eine Qualifizierung und die Ausrüstung einhergeht. Dabei zeigte die Erfahrung aus der Praxis, dass die Investitionen bei weitem nicht so hoch sind, wie vielleicht oftmals befürchtet. Mit Andreas Lau (Bosch Service Lau GmbH) und Kay Dähn (Herbert Dähn GmbH) berichteten in Würzburg u.a. zwei erfahrene Betriebsinhaber, wie sie sich in den letzten Jahren auf die Instandsetzung von Elektrofahrzeugen spezialisiert haben. Beide sind vor circa acht Jahren in das Geschäftsfeld eingestiegen, der Anteil an Stromern ist sukzessive gewachsen. „Wir haben nicht alles auf E-Mobilität umgestellt, das ist auch nicht notwendig. Aber Fakt ist: in der Werkstatt spiegelt sich der Markt draußen wider und der Anteil an Privatkunden mit E-Autos wächst“, erklärte Andreas Lau. Das bestätigte auch Kay Dähn, der wiederholt an die Zuschauenden in Würzburg appellierte, keine Angst vor dem Einstieg in E-Auto-Instandsetzung zu haben: „E ist auch nur ein Buchstabe“. Zudem bestätigten beide: Der finanzielle Aufwand für die Qualifizierung der Mitarbeiter gemäß DGUV sowie für Schutzausrüstung und isoliertes Werkzeug halte sich in Grenzen. Kay Dähn bezifferte diesen auf 200.000 Euro – bei einem Team von insgesamt 40 Mitarbeitern. ## Quarantäneplatz sorgt weiter für Verunsicherung Eine konkrete Auflistung der benötigten Schutzausrüstung, Werkzeuge und Zertifizierungen für die Instandsetzung von batterieelektrischen Fahrzeugen präsentierte Philipp Fuchs vom Kraftfahrzeugtechnischen Institut (KTI). Dieses Standard-Equipment reiche in der Regel auch vollkommen aus. Denn, so Moderator Konrad Wenz: „In 95 Prozent aller Fälle sind verunfallte E-Autos vollkommen unkritisch, weil weder HV-System noch HV-Batterie betroffen sind.“ Dennoch nehmen die seltenen Fälle, in denen es zu Schäden an der Hochvoltbatterie kommt, einen Großteil der Diskussion ein – auch das zeigte sich in Würzburg. So kamen aus dem Publikum vermehrt Fragen zum
Quarantäneplatz. Denn gerade für Betriebe in Ballungszentren sind allein die räumlichen Vorgaben der Fahrzeughersteller, die u.a. auch von Rechtsanwalt Stephan Schmidt von der Kanzlei Voigt aufgezeigt wurden, häufig nicht umsetzbar. Eine Lösung dafür könnte die Zusammenarbeit mit spezialisierten Abschleppdiensten wie dem von Jörg Krüger sein, der vom Brandschutz zertifizierte Quarantäneplätze vorhält. Wie er in Würzburg berichtete, steigt die Nachfrage nach diesen sowohl von freien als auch Markenwerkstätten. ## Normalisierung wird eintreten Fakt ist und darin waren sich viele Experten einig: Der Umgang mit Elektroautos wird sich in den nächsten Jahren normalisieren. „Natürlich fehlen aktuell noch Erfahrungswerte, aber die werden kommen“, betonte beispielsweise Dr. Christian Sahr, Geschäftsführer des Allianz Zentrum für Technik (AZT). Eine Meinung, die auch ZKF-Präsident Peter Börner teilte: „Es wird eine Standardisierung geben, davon bin ich fest überzeugt.“ Ebenso überzeugt zeigte sich Rainer Kühl vom Kraftfahrzeugtechnischen Institut: „Qualifizierte freie Werkstätten sind hier ganz klar auf Augenhöhe mit Markenwerkstätten“, betonte er im Rahmen einer Podiumsdiskussion. ## Umgang mit Fahrerassistenzsystemen Im Gegensatz zu Elektrofahrzeugen gehören Fahrerassistenzsysteme hingegen längst zur Normalität in den Werkstätten. Doch auch hier bleibt die technologische Entwicklung nicht stehen, wie KTI-Geschäftsführer Helge Kiebach in seinem Vortrag aufzeigte: „Wir befinden uns aktuell im Übergang von Level 2 auf Level 3 – sprich zum hochautomatisierten Fahren.“ Heißt konkret: Das Fahrzeug übernimmt zeitweilig die Fahraufgabe vom Fahrer. Um das zu gewährleisten, wird die Anzahl verbauter Sensoren weiter steigen – und damit auch die Bedeutung einer fachgerechten Kalibrierung der Sensoren nach einer Reparatur, wie der Experte betonte. „Aus der Praxis wissen wir, dass häufig nicht kalibriert wird, wenn es keine Fehlermeldung gibt. Wenn der Hersteller aber eine Kalibrierung vorschreibt, ist diese auch unbedingt durchzuführen, denn schon die kleinsten Abweichungen können zu sicherheitsrelevanten Funktionsbeeinträchtigungen führen“, verdeutlichte Helge Kiebach in Würzburg. ## „Lack ist eine sicherheitsrelevante Komponente“ Sicherheitsrelevant sei mit Blick auf die Reparaturlackierung im Sensorbereich auch der Lack, wie Sven Neumann, Produktmanager DACH bei PPG, im Anschluss betonte. Um die Durchstrahlung im Radarbereich auch nach einer Reparaturlackierung zu gewährleisten, hat der Lackhersteller inzwischen über 230 radarfähige Farbtöne entwickelt – Tendenz steigend. Hierfür werden die bestehenden Farbformeln entsprechend erweitert bzw.
durch radarfähige Lösungen ergänzt und als solches in der Farbmischsoftware hinterlegt. Aber auch neue E-Autos bringen neue Farbrezepturen mit sich, wie Thomas Leuchten im Anschluss erklärte. So stehe PPG in engem Kontakt zu mehreren hundert Fahrzeugherstellern aus China, um die Rezepturen für die Reparaturlacke zeitnah auch hierzulande zur Verfügung stellen zu können. Ein wichtiger Punkt für Werkstätten wie die EK Fahrzeugtechnik GmbH, die beispielsweise für Hersteller wie Lucid zertifiziert ist. ## Schadenrecht: Neue Angriffe auf die Reparaturkosten durch Kfz-Versicherer Ebenso großes Interesse wie die verschiedenen Expertenvorträge rund um den Umgang mit E-Autos hat aber auch der Abschlussvortrag von Kanzlei Voigt-Geschäftsführer Henning Hamann rund um neue Entwicklungen im Schadenrecht hervorgerufen. Die Sitzplätze in der Curve waren allesamt gefüllt und immer wieder zückten die Anwesenden ihre Handys, um sich die Hinweise und Erklärungen des Rechtsexperten abzufotografieren. Denn der Rechtsanwalt gab wie gewohnt praxisnahe Tipps, z.B. in Bezug auf die Vorschadenproblematik. Denn aktuell versuchen Kfz-Versicherer verstärkt, bei einem Vorschaden die vollständige Entschädigung zu verweigern. Die aus Anwaltssicht einzige Möglichkeit, hier gegenzusteuern sei der Einsatz des sogenannten Thermografie-Verfahrens im Sachverständigen-Gutachten. Darüber hinaus bieten [die Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zum Werkstattrisiko](https://schaden.news/de/article/link/43920/kanzlei-voigt-aof-maerz-2024-bgh-entscheidungen) neue Ansätze für Kfz-Versicherer, um den Anspruch der Geschädigten zu kürzen. Und das, obwohl diese aus Sicht des Experten „eine sensationelle Klarstellung des Werkstattrisikos im Sinne der Geschädigten und der Werkstätten“ sind. Sofern gemäß Gutachten repariert wird, haben Versicherer laut Henning Hamann keine reelle Chance mehr, Reparaturkosten zu kürzen – weder in erster Instanz noch im Regressfall. [Ein Leitsatz im Volltext der Entscheidung zum Schadenservice aus einer Hand (VI ZR 51/23) sorgt aber auch für Potenzial, um von den Assekuranzen miss-interpretiert zu werden.](https://schaden.news/de/article/link/43920/kanzlei-voigt-aof-maerz-2024-bgh-entscheidungen) Im Wortlaut könnte dieser nämlich so gelesen werden, dass Sachverständigengutachten gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen. Die Empfehlung des Anwalts: „Werkstätten und Sachverständige müssen noch enger zusammenarbeiten.“ Abschließend machte Henning Hamann auf einen Umstand aufmerksam, der in den nächsten Wochen und Monaten aus seiner Sicht ein massives Problem für Werkstätten und Sachverständige werden könnte: „Wir erwarten flächendeckende Angriffe auf die Arbeitszeitwerte.“ Beispielhaft dafür zeigte er einen Prüfbericht eines Versicherers aus
diesem Monat (März 2024), in dem die Lackierzeit einer Spiegelabdeckung inkl. Vorbereitung als überhöht und praxisfremd bezeichnet und deswegen gekürzt wird. „Das müssen wir im Auge behalten und schauen, wie wir damit umgehen. Im Moment habe ich dafür keine Lösung“, betonte der Rechtsanwalt abschließend. ## Impulse von Lackherstellern, Ausrüstern und Schadendienstleistern Neben den Fachvorträgen in der Curve gab es für die Teilnehmenden noch eine zweite Möglichkeit, Impulse für die eigene Strategie im K&L-Betrieb zu erlangen. So fanden im Impulscafé des Veranstaltungsgebäudes verschiedene Impulsvorträge statt. Unter dem Motto „Kühlen Kopf in hitzigen und dynamischen Zeiten bewahren“ berichtete Betriebsinhaber Stefan Schubert aus Coburg beispielsweise im Gespräch mit Henrik Franke, Regional Technical Manager beim Lackhersteller Glasurit, mit welchen Lösungen er gegen den Kostendruck in seinem Betrieb vorgegangen ist. Zentrale Punkte dabei waren eine Digitalisierung des Betriebs sowie die Umstellung der Prozesse auf eine Vier-Tage-Woche. „Das waren Möglichkeiten, die Attraktivität unseres Betriebes als Arbeitgeber zu steigern.“ Er fügte jedoch hinzu, dass dieses Modell nicht zu jedem passt, hierbei sei der ständige Austausch mit der Belegschaft notwendig. Auch das Thema Nachhaltigkeit spielt bei Stefan Schubert eine immer größere Rolle. Auch dahingehend trägt seine Strategie Früchte: „Durch die Umstellung der 4-Tage-Woche haben wir 15.000 Euro Energiekosten eingespart.“ Um den Einsatz von KI in der Werkstatt ging es im Impulsvortrag von Stephan Helbig, Gründer und Geschäftsführer der PlanSo GmbH. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben ein ganzheitliches Betriebssystem für K&L-Betriebe entwickelt. So zeigte der Experte auf, wie Künstliche Intelligenz inzwischen bei zahlreichen Prozessschritten in der Werkstatt unterstützen kann. Dazu gehören beispielsweise die Kundenkommunikation, die durch Digitale Assistenten, Chatbots und virtuelle Callcenter-Agenten abgedeckt werden kann. Auch die Terminplanung und die Auslastungsoptimierung gehören zu den Feldern, in denen der Einsatz von KI bereits heute schon in der Betriebssoftware von PlanSo implementiert sei. „Dadurch lassen sich beispielsweise Prozessstörungen oder der Lieferstatus von Ersatzteilen noch leichter erkennen“, verdeutlichte Stephan Helbig die Möglichkeiten an konkreten Beispielen. Und auch die Schadenkalkulation mittels KI sei heute mit einer Trefferquote von 80 bis 90 Prozent möglich. Als letztes Beispiel führte der PlanSo-Geschäftsführer die Auftragssteuerung an, die durch künstliche Intelligenz zu strukturierteren Abläufen auch innerhalb der Werkstatt führe. Ein ganz praktisches Beispiel zur Effizienzoptimierung bei der Fahrzeugreparatur lieferte René Schmitz, Business Development Specialist bei der INDASA Schleifmittel GmbH. In seinem Impulsvortrag zeigte er am Beispiel des Optex Light Speed Premium Fillers von Evercoat, wie sich durch den Einsatz von UV-Produkten Zeit im Vorbereitungsprozess einsparen lässt. So sei dieser vorgestellte Spachtel nach Trocknung mit der UV-Lampe bereits nach drei Minuten schleifbar. Zudem sorge das Farbwechsel-System des Spachtels von rosa zu grün für mehr Prozesssicherheit im Vorbereitungsprozess. René Schmitz wies im Vortrag darauf hin, dass der Spachtel durch die patentierte Ecoresin-Technologie hervorragende Schleifeigenschaften mit sich bringe und zudem 500 Stunden Korrosionsbeständigkeit erfülle. _Ein schaden.news-Beitrag von Carina Hedderich, René Förster und Ina Otto_