2023-11-29T12:36:57+0000

Quarantäne für E-Autos: „Unser Ziel: auf Basis technischer Erforderlichkeiten Antworten geben“

[Ende Oktober kritisierte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) teils unnötige oder überzogene Quarantänelagerung für beschädigte batterieelektrische Fahrzeuge (BEV)](https://schaden.news/de/article/link/43707/gdv-studie-reparaturkosten-von-e-autos-teurer) und forderte präzise Kriterien für den Umgang mit verunfallten Elektroautos. Eben solche Kriterien will eine Arbeitsgruppe aus Branchenexperten unter Leitung des Kraftfahrzeugtechnischen Instituts (KTI) nun in Form eines Grundsatzpapieres festlegen und Abschleppdiensten, Sachverständigen, Werkstätten und KFZ-Versicherern zur Verfügung stellen. Dafür luden die Schadenforscher vergangene Woche über 20 Vertreter von der Berufsgenossenschaft Holz und Metall, den Branchenverbänden ZDK, ZKF und BFL, der Sachverständigenorganisation DEKRA, den Schadenregulierern HUK-Coburg, Provinzial, VHV, VGH, Itzehoer und LVM sowie vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Mit NIO und Volkswagen waren zudem auch Vertreter der Automobilhersteller vor Ort, ebenso wie zwei Inhaber von Reparaturwerkstätten. ## Ohne Qualifizierung geht es nicht Denn Fakt ist, im Umgang mit beschädigten E-Autos herrschen sowohl bei Abschleppunternehmen als auch bei Reparaturwerkstätten und Sachverständigen teils noch große Unsicherheiten. So berichteten die Versicherungsunternehmen in Lohfelden unter anderem von Quarantänemaßnahmen über mehrere Wochen, ohne dass die Batterie nachweislich als kritisch oder gefährlich eingestuft wurde. „Unser Ziel ist es, auf Basis technischer Kriterien Antworten auf die Frage zu geben, wann eine Quarantäne tatsächlich erforderlich ist“, verdeutlichte KTI-Prokurist Rainer Kühl. Im Rahmen der Sitzung wurden deshalb konkrete Kriterien für die Erstbewertung am Unfallort sowie für die Gefährdungsbeurteilung und die Dauer der Quarantäne zusammengetragen. Dabei zeigte sich schnell: Auch für die Erstbewertung am Unfallort – die in der Regel von einem Abschleppunternehmen durchgeführt wird – ist eine Qualifizierung nach DGUV unabdingbar. So betonten sowohl Michael Zierau, Referatsleiter Technik beim ZKF, als auch Brandschutz-Experte Harald Eder von DEKRA, dass mindestens die Qualifizierungsstufe 2S erforderlich ist, um bei Bedarf die Spannungsfreischaltung am Unfallort durchführen zu können. ## Quarantäne muss gerechtfertigt sein und begründet werden Wurden im Rahmen der Erstbewertung Schäden an der HV-Batterie festgestellt, gilt es, die Gefährdung anschließend zu klassifizieren – und zwar zeitnah, forderten die Experten. Eine vorübergehende Quarantäne von ein bis zwei Tagen aufgrund hoher
Auslastung oder über das Wochenende sei dabei aus Sicht aller Anwesenden unproblematisch. Die Lagerung darüber hinaus müsse jedoch gerechtfertigt und auch begründet sein. Die Gefährdungsklassifizierung erfolgt dabei anhand visueller, thermischer und funktionaler Kriterien. [Bei einigen Herstellern, wie beispielsweise Volkswagen, sind diese Kriterien klar definiert.](https://schaden.news/de/article/link/42996/kti-videotipp-zustandsbewertung-hv-batterien) Entscheidend ist aus Sicht der Experten in Lohfelden die Temperatur in der HV-Batterie selbst sowie die Zellspannung und die Isolationswiderstände. In diesem Zusammenhang diskutierte die Arbeitsgruppe unter anderem über maximale Deltas, um Werkstätten oder Sachverständigen Schwellenwerte zur Orientierung an die Hand geben zu können. ## Equipment zur Temperaturmessung und -überwachung Fakt ist, und das wurde in der Versuchswerkstatt des KTI auch direkt in der Praxis gezeigt: Mit dem richtigen Diagnose-Equipment ist es für Werkstätten kein Problem, eben diese Werte zu ermitteln. So zeigte Alex Herb von der Firma Herth & Buss, beispielhaft an einem VW ID. Buzz und einem MG Marvel R wie sich mit Hilfe eines Autel Diagnosesystems die einzelnen Parameter auslesen und anzeigen lassen – und zwar bis hinunter auf Zellebene. Zudem hat der Werkstattausrüster auch weiteres markenübergreifendes Equipment präsentiert, dass die Werkstätten bei der Batteriediagnose und -instandsetzung der HV-Batterie unterstützen soll. Darüber hinaus präsentierte Wilhelm Raster, Geschäftsführer vom K&L-Betrieb Raster & Vogl in Bayern, seinen Prototypen eines Akku-Warnsystems: eine aufblasbare, mit 20 Sensoren bestückte Matte, die die Batterietemperatur überwacht. „Der Vorteil: Die 20 Messpunkte werden konstant und über einen längeren Zeitpunkt überwacht. Werden die definierten Temperaturschwellenwerte überschritten, benachrichtigt das System automatisch die zuständigen Personen über das Handy. Das heißt, man muss während der Temperaturmessung nicht dauerhaft vor Ort sein“, erklärte der Entwickler. ## Quarantäne – ja, aber wie lange? Doch wie lange muss ein Fahrzeug mit beschädigter HV-Batterie überhaupt auf einem Quarantäneplatz verwahrt werden? Die Vorgaben der Automobilhersteller schwanken dabei zwischen ein und fünf Tagen. Doch nicht alle Hersteller geben einen Quarantänezeitraum vor, weshalb die Arbeitsgruppe ebenfalls eine Empfehlung dafür erarbeiten will. „Gibt es in diesem Zeitraum auf Basis der Zelltemperaturen, der Zellspannungen und der Isolationswiderstände keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung, dann ist das Fahrzeug aus der Quarantäne zu holen. Verändern sich die Werte hingegen, verlängert sich die Quarantäne jeweils um die vom Hersteller festgelegten Tage“, resümierte KTI-Projektleiter Philipp Fuchs. Gibt es hingegen Hinweise auf defekte Batteriezellen ist in enger Zusammenarbeit mit dem Hersteller zu klären, ob eine Batterieinstandsetzung möglich ist oder die Batterie komplett ausgetauscht werden muss. Bei gefährlichen Temperaturentwicklungen mit Brandgefahr ist zudem unverzüglich die Feuerwehr einzuschalten. ## Wann kommt das Grundsatzpapier? Die in der vergangenen Woche zusammengetragenen Kriterien und Hinweise werden die Initiatoren Philipp Fuchs und Rainer Kühl vom KTI nun in einem ersten Entwurf für ein Grundsatzpapier verschriftlichen. Dieses soll dann, gemeinsam mit allen beteiligten Experten im nächsten Jahr auf den Weg gebracht werden. „Diese standardisierten und anhand technischer Erforderlichkeiten definierten Kriterien wollen wir Abschleppdiensten, Werkstätten, Sachverständigen und Kfz-Versicherern an die Hand geben, um für Klarheit zu sorgen. Wichtig ist dabei, dass diese als Orientierung und Ergänzung zu den Herstellerangaben genutzt werden“, fassen Philipp Fuchs und Rainer Kühl das Ziel der Arbeitsgruppe gegenüber schaden.news zusammen.
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