2022-06-22T09:28:51+0000

Fachkräftesicherung: „Jeder hat eine Chance verdient“

Seit vielen Jahren klagen K&L-Betriebe über den Fachkräftemangel in der Branche, einige akquirieren neue Mitarbeiter inzwischen im Ausland. Ein Fakt, den Sylvia Knöpfle nicht nachvollziehen kann, sie sagt: „Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?“ Seit 1993 führen sie und ihr Mann Arno Knöpfle den Karosserie- und Lackierfachbetrieb Knöpfle-Design in Titisee-Neustadt im Schwarzwald. Neun Mitarbeiter zählt der Familienbetrieb. Das Besondere daran: Vier davon haben eine körperliche Beeinträchtigung, drei einen Migrationshintergrund. Das Unternehmerpaar ist davon überzeugt: „Jeder hat eine Chance verdient“. Und eben diese Chance geben sie jungen Menschen seit fast 30 Jahren. ## Unternehmensphilosophie aus persönlicher Erfahrung Doch wie kam es zu der Entscheidung? „Meine Tochter hat selbst ein körperliches Handicap. Sie wollte Schreinerin oder Bauzeichnerin werden, doch kein Ausbildungsunternehmen hat ihr eine Chance gegeben, dabei ist sie handwerklich sehr begabt“, erklärt Sylvia Knöpfle im Gespräch mit schaden.news. Arno Knöpfle machte ihr schließlich den Vorschlag, eine Ausbildung zur Fahrzeuglackiererin im familieneigenen Betrieb zu absolvieren – heute ist die Tochter fester Teil des Teams. „Und so kam bei uns der Entschluss auf, dass wir uns verstärkt um Menschen kümmern wollen, denen sonst der Einstieg ins Handwerk verwehrt geblieben wäre.“ ## „Eine Herzenssache“ So haben in den letzten drei Jahrzehnten viele junge Menschen eine Ausbildung in dem baden-württembergischen Familienbetrieb durchlaufen – manche mit Migrationshintergrund, manche mit körperlicher Behinderung, wieder andere mit einer Lernschwäche. Aktuell stehen zwei Auszubildende kurz vor der Abschlussprüfung – einer von ihnen mit einer leichten Form von Autismus. „Natürlich ist der zeitliche Aufwand in der Betreuung größer“, betont Sylvia Knöpfle, die nicht selten am Nachmittag gemeinsam mit den Auszubildenden gelernt hat, um sie zu unterstützen. Dennoch weiß sie aus Erfahrung: „Viele mögen in der Theorie nicht die Besten sein, aber sie sind praktisch begabt und veranlagt und leisten sehr gute Arbeit.“ Sie würde sich wünschen, dass auch andere Handwerksbetriebe das erkennen. „Alle klagen über den Fachkräftemangel, aber kaum einer macht sich die Mühe, zum Beispiel Förderschüler einzustellen.“ ## Individuelle Förderung Die Knöpfles fördern die Stärken ihrer Auszubildenden und Mitarbeiter dabei ganz bewusst und individuell, haben für einen Mitarbeiter beispielsweise extra einen Arbeitsplatz in der Fahrzeugaufbereitung und -reinigung geschaffen. „Durch seine Beeinträchtigung arbeitet er langsamer als andere, was ihn selbst frustriert hat. Wir haben ihn dann durch den ganzen Reparaturprozess laufen lassen und am Ende stellte sich heraus, dass er sehr gut Fahrzeuge aufbereitet“, erklärt Sylvia Knöpfle. Mit
finanzieller Unterstützung des Integrationsamtes wurde sogar Ausrüstung angeschafft, die speziell an die Bedürfnisse des Mitarbeiters angepasst ist. ## „Nit schwätze, mache“ Unter anderem für dieses Engagement erhielt Knöpfle-Design im Mai die Auszeichnung zum „Handwerksunternehmen des Jahres 2022“ von der Handwerkskammer Freiburg. Dadurch wird das Engagement des Betriebes nun auch öffentlich stärker wahrgenommen. „Natürlich freuen wir uns über diese Form der Ehrung, aber letztlich ist das nicht unser Antrieb. Für uns steht der menschliche Aspekt im Vordergrund, wenn ein Mitarbeiter mich zufrieden anlächelt oder mir von seinem Wochenende erzählt, obwohl er sonst große Probleme hat, mit Menschen zu sprechen. Das ist der Lohn für unsere Arbeit“, betont Sylvia Knöpfle und ergänzt: „Unser Motto ist ‚Nit schwätze, mache‘, danach leben wir.“ ## „Der menschliche Gewinn ist so viel mehr wert“ Die gelebte Integration und Inklusion kommen auch in der Region gut an. Viele Kunden lassen extra deswegen ihre Fahrzeuge bei Knöpfle-Design instand setzen oder aufbereiten. „Rein betriebswirtschaftlich betrachtet, machen wir damit natürlich keinen Gewinn, weil manche Arbeiten einfach länger dauern. Das wissen unsere Kunden und nehmen es gerne in Kauf. Damit unterstützen sie unsere Arbeit. Der menschliche Gewinn ist so viel mehr wert als der finanzielle. All das wäre jedoch ohne das Engagement unserer vier Gesellen nicht möglich. Sie haben die gleiche soziale Einstellung wie wir“, sagt Sylvia Knöpfle zum Abschluss. Dass Integration und Inklusion einen Unternehmenserfolg jedoch keinesfalls ausschließen, zeigt sich am Beispiel von Knöpfle-Design tagtäglich. Der Familienbetrieb arbeitet unter modernsten Bedingungen – und noch dazu komplett CO2-neutral.
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