2021-12-08T13:01:03+0000

DEKRA: „Der Schulungsbedarf für Sachverständige wird weiter zunehmen“

Im schaden.news-Interview erklärt Martin Lutz, Ausbildungs- und Standortleiter am DEKRA Bildungszentrum in Altensteig, wie sich die Welt der Schadengutachter auf die Fahrzeugtechnologie der Zukunft vorbereitet und welche Schulungsthemen jetzt im Vordergrund stehen. __Herr Lutz, Sie haben das Ausbildungsangebot und die -möglichkeiten des DEKRA Bildungszentrum in Altensteig erweitert. Warum?__ __Martin Lutz:__ Wir haben unser Aus- und Weiterbildungszentrum erweitert, um uns optimal auf die Entwicklungen des Marktes einzustellen. Denn die Anforderungen werden immer individueller, sei es bei Schadengutachten von PKW, aber auch bei der Begutachtung von Fahrrädern und Maschinen. Zudem decken wir den Bereich Fahrerassistenzsysteme noch stärker ab. Das spiegelt sich auch in unserer neuen Ausstattung wider: DEKRA hat in einen neuen modernen Messstand investiert, um Kalibrierung, Kamerasysteme und Abstandssensoren in der Weiterbildung noch besser zu berücksichtigen. Zudem haben wir das neue Schulungszentrum auch hinsichtlich der Diagnosetechnik ausgebaut, die wir jetzt auch in der praktischen Anwendung intensiver schulen können. Darüber hinaus steht das Thema Hochvoltsysteme künftig stärker im Fokus unserer Fortbildungen. Deshalb haben wir nun auch entsprechende Elektro- und Hybridfahrzeuge vor Ort. Unser Anspruch ist, im Hochvoltbereich Sachverständige auf unterschiedlichen Qualifizierungsstufen fortbilden zu können. __Wie hat sich das Fortbildungskonzept hier in Altensteig weiterentwickelt?__ __Martin Lutz:__ Seit eineinhalb Jahren ist die Digitalisierung immens vorangeschritten, sodass wir auch unsere Schulungen zukünftig stärker digitalisieren werden. Dazu gibt es eine neue DEKRA Lernplattform. Wir strukturieren die komplette Grundausbildung um: Während Lerninhalte früher überwiegend in Präsenz vermittelt wurde, haben wir jetzt ein Hybrid-Konzept entwickelt. Dabei wird sich der Sachverständige Teile des Stoffes in E-Learning-Modulen selbst aneignen. Ergänzend dazu absolviert er Online-Seminare und nimmt an Präsenz-Schulungen in Kleingruppen hier vor Ort in Altensteig teil. Grundsätzlich rechnen wir damit, dass der Schulungsbedarf für Sachverständige künftig zunehmen wird, weil unsere Produktpalette in Sachen Gutachten und Gebrauchtwagenmanagement immer vielfältiger wird. __Der Praxisanteil für die Sachverständigen ist offensichtlich sehr hoch. Ist dieser überhaupt durch Online-Schulungen abdeckbar?__ __Martin Lutz:__ Das geht natürlich nur bedingt. Bei Schulungen zu Fahrrädern oder zur Karosserietechnik ist es notwendig, tatsächlich ein Gefühl für das Fahrzeug zu entwickeln. Beim Thema Fahrzeuginstandsetzung müssen die Sachverständigen zudem die Möglichkeit haben, einmal mit der Lackierpistole in der Kabine am Fahrzeug zu arbeiten, ein- oder beizulackieren oder Farbmusterkarten zu erstellen. Bei derartigen Themen setzen wir natürlich stark auf die Präsenzzeit hier vor Ort. Den Theorieteil versuchen wir in E-Learnings oder Online-Seminarangebote zu verlagern. __Das heißt, die Präsenzzeit wird effizienter genutzt, die Theorie hingegen wird ins Web verlagert…__ __Martin Lutz:__ Genau. Darin besteht auch ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zur
Zeit vor der Pandemie. Durch diese andere Gewichtung haben wir auch einen großen Schwung in die Gesamtausbildung bekommen. Unserer Meinung nach wird es auch zukünftig notwendig sein, ständig neue Lehrgangskonzepte zu entwickeln, die einen Mix aus Theorie in Online-Formaten und Praxis als Präsenz enthalten. Durch die breitere Themenlage müssen wir uns aber auch auf mehr Schulungsinhalte vorbereiten. Dahingehend werden wir zukünftig viele Aspekte bewältigen müssen. Insgesamt wird es unerlässlich sein, dass das individuelle und ortsunabhängige Lernen zunehmen wird. Dieses Thema wird in den nächsten Jahren stärker im Fokus stehen. __Das heißt doch aber im Umkehrschluss auch, dass die Teilnehmer schneller neue Aspekte lernen können, vor allem theoretische durch Online-Angebote…__ __Martin Lutz:__ Die Lernzeit wird sich verlagern. Vor der Pandemie hatten wir bis zu fünf Tage Präsenzschulungen hier vor Ort. Online-Schulungen können auch stärker unterteilt werden und dauern dann vielleicht jeweils nur ein oder zwei Stunden, manche Module auch nur fünf Minuten. Das sogenannte Lernen mit Learning Nuggets wird an Stellenwert gewinnen: Sich in der Pause oder in der Fahrzeit einen Podcast oder eine Lerneinheit zum Schulungsthema anhören – in diese Richtung wird sich das Lernverhalten zukünftig verändern. __Die Fahrzeugtechnik entwickelt sich so rasant, dass künftig eigentlich permanent Wissen getankt werden muss.__ __Martin Lutz:__ Dem kann ich zustimmen – und diese Entwicklung wird weiter zunehmen. Das merken wir in der Gesamtausbildung, aber auch in der individuellen Niederlassungsausbildung, wenn es darum geht, Mitarbeiter- oder Ingenieurbesprechungen durchzuführen. Auch diese werden inzwischen oftmals von Zuhause durchgeführt, die Kollegen können sich zuschalten. Die Mitarbeiter entsprechend technisch auszustatten, wird zukünftig eine weitere Herausforderung sein, der wir uns stellen müssen. __Schauen wir in die Zukunft: Worauf kommt es in den kommenden fünf Jahren in der Aus- und Weiterbildung an? Welche Themen kommen auf die Sachverständigen und somit auch auf die Unfallreparaturbetriebe zu?__ __Martin Lutz:__ Gerade die Themen Karosserieinstandsetzung und Lackierung werden unserer Erfahrung nach anteilig leicht zurückgehen. Der Fokus wird zukünftig, auch aufgrund der Vielzahl der Fahrzeuge, in denen diese Systeme verbaut sind, mehr auf der Reparatur von Fahrerassistenzsystemen, Elektronikbauteilen und Steuergeräten liegen. Zudem wird das Thema Elektromobilität stärker in den Vordergrund rücken, beispielsweise, was die Instandsetzung einzelner Batteriezellen und Elektromodule angeht. Auch die Hersteller öffnen sich verstärkt in diese Richtung: Früher wurde öfter ein komplette Batterie gewechselt, heute können schon Einzelkomponenten getauscht werden. Mit all diesen Themen wird sich der Sachverständige zunehmend befassen müssen, um eine sach- und fachgerechte Reparatur sicherzustellen und gleichzeitig der Schadenminderungspflicht gerecht zu werden. Zudem wird der Schadenabwicklungsprozess zukünftig noch digitaler – inklusive einer Vielzahl an Möglichkeiten, was den Einsatz von Endgeräten betrifft. Vielleicht wird es schon bald möglich sein, auf Distanz Teilaspekt einer Fahrzeugbewertung durchzuführen (z.B. Beurteilung eines zweiten Radsatzes, etc.) und eine Reparaturkostenprognose abzugeben – zumindest, wenn es um einen Kleinschaden geht, wo der Sachverständige nicht zwingend vor Ort sein muss. __Vielen Dank für das Gespräch!__
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