2018-06-13T14:16:31+0000

Wie tickt die globale Schadenbranche?

München war für zwei Tage der Treffpunkt des weltweit wichtigsten internationalen Netzwerkes führender Manager aus der Schadenindustrie. Bei der IBIS-Konferenz diskutieren Teilnehmer aus über 30 Ländern über globale Trends und über die Marktsituation rund um den Globus. „Wir sehen auch in Deutschland eine Entwicklung zu K&L-Betrieben mit mehreren Standorten. Diesen Trend gibt es in anderen Ländern schon länger“, erklärte Stefan Peerenboom, Automotive Aftersales Manger für Deutschland bei 3M, während der Veranstaltung. „An diese und andere Entwicklungen passen wir unsere Vertriebsstrukturen an.“ Der Austausch beim Internationalen Industry Symposium (IBIS) ist für viele Entscheider von Werkstattausrüstern, Lackherstellern, Schadendienstleistern und Werkstattketten wichtig, um ihre regionalen Strategien an globalen Entwicklungen auszurichten. ## Werkstattketten spielen international eine große Rolle Inhaber von Karosserie- und Lackierbetrieben trifft man bei IBIS hingegen selten.
„Hier spürt man deutlich, dass es in anderen Ländern kaum inhabergeführte, mittelständische Unternehmen gibt“, stellten der BVdP-Vorstandsvorsitzende und Unternehmer Reinhard Beyer sowie IDENTICA-Betriebsinhaber Dieter Geiger übereinstimmend fest, die als einige der wenigen Betriebe an IBIS teilnahmen. Auf der Konferenzliste befanden sich vor allem Werkstattketten wie Fix Auto (Kanada), Schadenet (Niederlande), National Accident Repair Group (USA), Carglass, ABS Autoherstel oder Schadegarant (beide Niederlande). „Kaum ein Reparaturmarkt in anderen Ländern kennt so starke mittelständische Branchenstrukturen wie Deutschland“, hieß es unter Vertretern von Werkstattketten. Ihre Einschätzung: „Der deutsche Markt wird sich in Zukunft aufgrund sich verändernder technischer und betriebswirtschaftlicher Herausforderungen sowie wachsender Anforderungen der Kfz-Versicherer stark anpassen müssen.“ Ob dies jedoch bedeutet, dass Werkstattketten im deutschen Markt Fuß fassen, bezweifelt Reinhard Beyer. „Es sind noch keine klaren Konzepte in Deutschland erkennbar. Außerdem sind gut aufgestellte mittelständische Betriebe sehr wohl in der Lage, die Herausforderungen ohne Werkstattketten zu meistern.“ An die Adresse der Zulieferindustrie richtete Reinhard Beyer: „Werkstattausrüster und Lackhersteller sollten bei Gesprächen mit Werkstattketten berücksichtigen, dass man bei einer Zusammenarbeit mit Werkstattketten vorhandene mittelständische Strukturen in Deutschland schwächt und vermutlich nur kurzfristige Erfolge erzielt.“ ## Deutscher Reparatur- und Teilemarkt bis 2030 im Rückwärtsgang Wie sich der Reparaturmarkt in den nächsten Jahren in den verschiedenen Ländern entwickeln wird, stellte Steve Young, Geschäftsführer des internationalen Branchenanalysten ICDP, vor.
Demnach ist in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien bis zum Jahr 2030 mit einem deutlichen Rückgang an Unfallschäden zu rechnen. Seine Prognose: „Aufgrund der wachsenden Anzahl von Fahrzeugen mit Fahrerassistenzsystemen wird es künftig deutlich weniger Strukturschäden geben. Auch der Einfluss von Telematik-Systemen wird spürbar und sorgt dafür, dass die Reparatursteuerung zunimmt.“ In Deutschland rechnen die Analysten von ICDP bei „schweren Schäden“ mit einem Rückgang von 30 Prozent, da hier der Anteil an Pkw`s mit Assistenzsystemen in Zukunft stärker zunehmen wird, als in anderen Ländern. Dies hat laut Steve Young auch Auswirkungen auf den deutschen Reparatur- und Teilemarkt. Die Experten gehen davon aus, dass das Marktvolumen bei Pkw-Instandsetzungen in den nächsten zwölf Jahren um neun Prozent und im Teilemarkt um fünf Prozent zurückgeht. In den Reparaturmärkten anderer Länder wie Frankreich (minus 27 Prozent), in Italien (minus 19 Prozent) oder Großbritannien (minus 18 Prozent) sei der Rückgang noch dramatischer. Allerdings sei dort auch das Reparaturvolumen deutlich geringer, sodass der absolute Verlust in Deutschland tatsächlich höher liegen könnte. ## Kamerasysteme und Sensortechnik erhöhen den Reparaturaufwand Bei der IBIS Konferenz spielte die Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen ohnehin eine große Rolle. Der britische Brancheninsider Andrew Marsch stellte verschiedene Systeme vor, die bei der Unfallschadenreparatur unterschiedlich kalibriert werden müssen. „Bei Nissan kommen vor allem statische Kalibrierungssysteme zum Einsatz, die im Reparaturfachbetrieb deutlich mehr Platz benötigen.
“ Unterschiedliche modellbezogene Vorgaben für die Kalibrierung gebe es bei Volkswagen, BMW oder Mercedes. „Bei dynamischen Systemen werden Fahrerassistenzsysteme nach der Instandsetzung über spezielle Software neu angelernt. Das kann bedeuten, dass die Fahrzeuge bei einer Kalibrierungsfahrt nur bei exaktem Tempo über eine genau definierte Zeit von zwei Mitarbeitern des Betriebes neu eingestellt werden können.“ Das erhöhe den Aufwand in den Fachbetrieben enorm und erfordere zudem ständig neues Know-how. Hinzu kämen noch Fahrzeugmodelle, bei denen sich die Assistenten automatisch kalibrieren. Andrew Marsch: „Gerade freie Betriebe müssen sich auf die verschiedensten Kalibrierungsarten einstellen und mit ihnen umgehen. Einheitliche Standards wird es hier auch in Zukunft nicht geben.“ ## Ford kündigt Einstieg in das Unfallschadengeschäft an An der Konferenz in München nahmen kaum Automobilhersteller teil, was IBIS Direktor Jason Moseley sehr bedauerte. „Die Automobilhersteller geben den Takt der technischen Veränderungen in unserer Branche vor und müssen sich stärker der Diskussion im freien Markt stellen“, forderte er im Gespräch mit schaden.news | colornews.de. Für Ford stellte die US-Amerikanerin Jennifer Boyer (Aftersales, Collision Repair) die Strategie des Automobilherstellers im Unfallschadengeschäft vor. „Wir wollen für unsere Kunden auch nach dem Verkauf des Autos erster Ansprechpartner bleiben.
Die Unfallschadenreparatur ist deshalb für uns Teil unserer globalen Strategie.“ Jeniffer Boyer kündigte an, dass sich Ford künftig „stärker im Unfallreparaturgeschäft engagieren“ will. Sie sieht dabei auch freie Reparaturfachbetriebe als Partner, bezog sich zudem auch auf Werkstattketten, die in den USA eine größere Rolle spielen als in Europa. Ob und welche Auswirkungen dieser Strategiewechsel auf den deutschen Markt haben wird, ließ sie jedoch offen – hier führe man aktuell „eine Vielzahl interessanter Gespräche und prüfe Möglichkeiten zur Umsetzung auf dem europäischen Markt.“ ## Fehlende Fachkräfte als globales Problem Immer wieder thematisierten Referenten, aber auch Teilnehmer am Rand der Veranstaltung den Mangel an qualifizierten Fachkräften für die Unfallschadeninstandsetzung. Sei es China, wo das Image der Branche aktuell vor allem mit Gesundheitsrisiken assoziiert wird, die USA oder Großbritannien – überall zeige sich ein ähnliches Bild. Jim Muse, Axalta-Vertriebsleiter für Nordamerika brachte deutlich auf den Punkt: „Zum einen ist vielen jungen Menschen nicht bewusst, dass die Unfallinstandsetzung eine interessante und spannende Branche ist.
Zum anderen sehen wir einen klaren Trend hin zur Akademisierung, also dass immer mehr Schulabsolventen sich für ein Hochschulstudium interessieren.“ Er schlug daher vor, selbst Studiengänge für die Instandsetzung ins Leben zu rufen – die zunehmende Komplexität bei der Unfallinschadenreparatur gebe das aus seiner Sicht her. Fraglich ist allerdings, ob sich ein solches Konzept tatsächlich etablieren könnte. Schließlich ergibt sich hier neben organisatorischen Herausforderungen vor allem die Frage: Welcher K&L-Betrieb kann es sich leisten, einen Bachelor in der Lackierkabine zu beschäftigen?
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