2025-03-12T12:05:10+0000

„Gebrauchte Ersatzteile dürfen nicht älter sein als das verunfallte Fahrzeug“

_Bei der Verwendung von Gebrauchtteilen in der Unfallschadenreparatur gibt es zahlreiche rechtliche Fragen. Dürfen „Used Parts“ überhaupt im Haftpflichtschadenfall als Ersatzteil verbaut werden? Wenn ja, was sagt das Schadenrecht dazu? Und wie sieht es bei Kasko aus? Rechtsanwalt und Branchenkenner Henning Hamann (Kanzlei Voigt) liefert im Exklusiv-Interview konkrete Antworten._ ___Herr Hamann, wie stellt sich die rechtliche Situation bei der Reparatur mit gebrauchten Ersatzteilen grundsätzlich dar?___ __Henning Hamann:__ Die Reparatur mit gebrauchten Ersatzteilen unterscheidet sich zunächst rechtlich überhaupt nicht von der Instandsetzung mit Originalersatzteilen. Die spannende Frage ist: Wer besorgt die gebrauchten Ersatzteile? Werden die Teile vom Kunden mitgebracht oder bestellt die Werkstatt, zum Beispiel über Ersatzteilplattformen von Schadensteuerern? Aber im Rechtsverhältnis zwischen Kunden und Werkstatt ändert sich erst einmal gar nichts. ___Haben denn Autofahrer überhaupt einen Anspruch darauf, dass ihr Unfallschaden mit einem neuen Originalersatzteil repariert werden muss, oder können immer auch gebrauchte Teile verwendet werden?___ __Henning Hamann:__ Der Kunde hat schadenrechtlich einen Anspruch darauf, dass sein beschädigtes Fahrzeug wieder in den Zustand zurückversetzt wird, in dem es unmittelbar vor dem Unfall war. Jedenfalls bei einem Haftpflichtschaden. Im Bereich Kaskoschaden haben wir in den Bedingungen das Versprechen des Kasko-Versicherers, dass die für die Instandsetzung des Fahrzeuges erforderlichen Reparaturkosten ersetzt werden. Für den Haftpflichtschaden gilt: Das Ersatzteil, das im Fahrzeug bei der fachgerechten Instandsetzung eingebaut wird, darf nicht älter sein als das Auto selbst. Wurde also zum Beispiel die Seitentür eines vier Jahre alten Golf VII beschädigt, darf aus schadenrechtlicher Sicht auch nur eine neue oder eben gebrauchte baugleiche Seitentür als Ersatzteil wieder verbaut werden, die nicht älter als vier Jahre ist. ___Noch einmal zur Klarstellung: Wird ein zwei Jahre alter Golf VII repariert, darf das Ersatzteil dann also nicht älter sein als 2 Jahre?___ __Henning Hamann:__ Absolut, das ist richtig. Das Ersatzteil darf höchstens so alt sein, wie das Auto zum Zeitpunkt des Unfalls. Bei einem zwei Jahre alten Unfallwagen darf keine drei Jahre alte Seitentür eingebaut werden. Das wäre ja eine Verschlechterung des Zustandes. ___Das heißt die Werkstatt muss bei der Verwendung von gebrauchten Ersatzteilen im Haftpflichtschaden wissen, wie alt das Gebrauchtteil tatsächlich ist.___ __Henning Hamann:__ Ja, erst einmal das – es kommt aber auch auf den tatsächlichen Zustand des Gebrauchtteils an. Konkret bedeutet das: Das gebrauchte Bauteil, das bei der Unfallschadenreparatur eingesetzt wird, darf nur einen Abnutzungsgrad aufweisen, der sich auch an der Fahrzeugkomponente befindet, die ursprünglich verbaut war und jetzt instandgesetzt wird. Ich übertreibe mal mit einem Beispiel: Ein Auto ist sieben Jahre alt, stand aber sechs Jahre in der Garage und ist nur ein Jahr genutzt worden. In diesem Fall ist die Tür vielleicht 500 Mal geöffnet und geschlossen worden. Bei einer Unfallreparatur im Haftpflichtschadenfall soll nun ein passendes Gebrauchtteil als Seitentür eingebaut werden. Das ist zwar nicht älter als sieben Jahre, die Seitentür wurde
aber früher bereits 27.000 Mal geöffnet und geschlossen. Dann wird der Abnutzungsgrad des gebrauchten Ersatzteiles deutlich höher sein als die zu ersetzende Originaltür am verunfallten Fahrzeug. Folglich wird es schadenrechtlich schwierig, dieses gebrauchte Ersatzteil zu verwenden. Denn es kommt eben nicht nur auf das Alter, sondern auch auf den Abnutzungsgrad an, da der Grundsatz im Schadenrecht gilt: Der Geschädigte ist genauso zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis dagestanden hätte. ___Wie sieht es im Kaskoschadenfall aus?___ __Henning Hamann:__ Im Kaskobereich gibt es eben vom Kasko-Versicherer das Versprechen die erforderlichen Reparaturkosten zu erstatten. Was hier im Einzelnen darunter fällt hat die Rechtsprechung bei der Verwendung von gebrauchten Ersatzteilen noch nicht herausgearbeitet. Es ist jetzt erst einmal davon auszugehen, dass wir von ähnlichen Vorgaben wie im Haftpflichtschadenfall sprechen. Aber nochmal: Es gibt dazu keine Rechtsprechung. ___Das heißt also, dass der Einsatz von gebrauchten Ersatzteilen in Kasko derzeit weitestgehend ungeregelt ist?___ __Henning Hamann:__ Ja. Im Streitfall wird es hier unterschiedliche Auffassungen geben. Die Kfz-Versicherer werden sich vermutlich auf den Standpunkt stellen, mit gebrauchten Ersatzteilen gibt es bei der Reparatur überhaupt keine Probleme. Das ist aber versicherungsrechtlich nicht geklärt. Es spricht derzeit vieles dafür, dass man wie im Haftpflichtschadenfall auch bei Kasko die Auffassung vertreten kann: Ja, die Verwendung eines altersentsprechenden gebrauchten Ersatzteiles ist in Ordnung. Aber es schließen sich natürlich sämtliche Folgeprobleme an. Wer kann genau nachweisen, woher das verwendete Ersatzteil wirklich kommt? Wie alt es tatsächlich ist? Sind bereits Vorschäden daran oder entspricht der Abnutzungsgrad auch wirklich dem des beschädigten Fahrzeugteils? Und die alles überragende Frage lautet: Wer haftet denn für all das? ___Haftung ist ein gutes Stichwort: Die Allianz Versicherung hat in ihrer Kommentierung zu den ZKF-Mindestanforderungen mitgeteilt, dass deren Schadensteuerer Innovation Group auf die Reparatur bei Verwendung von Gebrauchtteilen eine Gewährleistung von sechs Jahren gibt. Ist die Werkstatt damit aus der Haftung raus?___ __Henning Hamann:__ Wir müssen hier natürlich die verschiedenen Rechtsverhältnisse auseinanderhalten. Der Vertrag, den der Kunde mit der Werkstatt schließt, ist der Vertrag den der Kunde mit der Werkstatt schließt. Deswegen ist die Werkstatt im Verhältnis zum Kunden auch immer in der Haftung – egal was passiert. Wenn die Innovation Group ihrerseits der Werkstatt zusichert „Wir haften für die gebrauchten Ersatzteile, die wir Euch anliefern“ dann betrifft das wiederum das Verhältnis zwischen Innovation Group und der Werkstatt. Grundsätzlich ist die Werkstatt der Auftragnehmer und der Kunde der Auftraggeber. Wenn etwas mit der Reparatur schiefgelaufen ist, wendet sich der Auftraggeber erst einmal an den Auftragnehmer, also die Werkstatt. Diese muss dann wieder schauen, wie sie sich aus den vertraglichen Verhältnissen mit Innovation Group schadlos hält. ___Gehen Sie vor dem Hintergrund dieser rechtlichen Lage davon aus, dass es künftig bei verstärkter Verwendung gebrauchter Ersatzteile zu Klagen kommt?___ __Henning Hamann:__ Die entscheidende Frage ist doch, haben wir eigentlich eine permanente Verfügbarkeit von gebrauchten Ersatzteilen in allen Varianten, in genau der Qualität, die den beschädigten Fahrzeugkomponenten entsprechen? Dies gilt es grundsätzlich zu klären. Daran ist es in den letzten Jahren ja immer gescheitert. Jetzt meinen einige Versicherer, einen Weg gefunden zu haben, entsprechende Gebrauchtteile permanent zur Verfügung zu stellen. Dann werden tatsächlich rechtliche Auseinandersetzung und gutachterliche Stellungnahmen zeigen müssen, ob diese gebrauchten Ersatzteile wirklich den Qualitätsstandards entsprechen, die notwendig gewesen sind, um rechtlich einwandfrei zu reparieren. Ich persönliche rechne also damit, dass wir in den nächsten Jahren noch auf vielen Ebenen Rechtsstreitigkeiten erleben werden. Auf der Ebenen Kunde und Werkstatt, vielleicht auch auf der Ebene Kunde und Versicherer, weil der Versicherungsnehmer nicht damit einverstanden ist, dass ein gebrauchtes Ersatzteil verwendet wird, obwohl es in der Kasko-Police dazu keine Vereinbarung gibt. Und was sagt eigentlich bei einem Leasingfahrzeug der Eigentümer, also der Leasinggeber dazu, dass in seinen Auto plötzlich gebrauchte Ersatzteile eingebaut sind? Das wird sicherlich in Bezug auf die Zustandsbewertung bei Fahrzeugrückgabe noch sehr spannend. Aber auch auf der Ebene Werkstatt und Kfz-Versicherer oder Schadensteuerer kann es zu Streit kommen – wir haben eben einen bunten Strauß an Rechtsverhältnissen der belastet sein kann. ___Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Ihnen als Kanzlei Voigt geht die Arbeit sicher nicht aus. Bis hierher erst einmal herzlichen Dank für unser Interview.___
Lesens Wert

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