2024-10-01T09:43:55+0000

Unfallschadenreparatur: Zweifel am Einsatz von Gebrauchtteilen

Wer Stefan Artz (Leiter Kraftfahrtschaden Allianz Versicherung) und Martin Schneider (Leiter Werkstattnetze HUK-Coburg) beim [Schadentalk während der Automechanika](https://schaden.news/de/article/link/44207/zusammenfassung-schadentalk-automechanika-2024) aufmerksam zugehört hatte, konnte raushören, dass beim Thema Verwendung von Gebrauchtteilen offenbar etwas tiefer gestapelt wird als bisher. Seit Monaten wird in den Zentralen vieler Kfz-Versicherer über den Einsatz von sogenannten „Green Parts“ diskutiert, nachdem die Allianz im vergangenen Jahr vorgeprescht war. Doch jetzt wachsen die Zweifel an der Machbarkeit und dem tatsächlichen Wirkungsgrad in Bezug auf die Reduzierung von CO2-Emissionen. ## „Nicht ansatzweise genügend Teile“ im Markt Grundsätzlich nehmen sowohl die HUK-Coburg als auch die Allianz Versicherung das Thema Gebrauchtteile zwar weiterhin ernst, halten eine Umsetzung derzeit aber nicht für realistisch. „Wir schauen uns auf den Märkten um uns herum um. Dort gibt es ja grundsätzlich schon funktionierende Modelle und Systeme“, erklärte Stefan Artz beim Schadentalk in Frankfurt und stellte die Frage: „Doch sind wir da in Deutschland schon?“ Seine Antwort war eindeutig: „Nein. Das ist ein Thema, dass wir in Deutschland erst gemeinsam entwickeln müssen.“ Ähnlich bewertet Martin Scheider die aktuelle Situation: „Wir haben heute eine Marktsituation, wo wir nicht ansatzweise genügend Teile und in passender, geprüfter oder eindeutiger Qualität zur Verfügung haben.“ Zudem gebe es zahlreiche offene Fragen: Wer trägt Risiken, wer trägt Kosten, ist es wirklich nachhaltiger? „Und natürlich auch aus Sicht der Schadensteuerung und der Versicherer: Wie ist ein durchgängiger Prozess von Anfang bis Ende, damit man nicht zwischendrin mit der Hand agieren muss und manuelle Aufwände hat, das können wir uns in diesem Massengeschäft gar nicht leisten.“ ## Instandsetzen vor Erneuern ist nachhaltiger als die Reparatur mit Gebrauchtteilen Gerade die Frage der tatsächlich messbaren Nachhaltigkeit bei der Unfallschadenreparatur mit Gebrauchtteilen ist Dreh und Angelpunkt in der Diskussion. Denn sollte sich herausstellen, dass der Einsatz von „Green Parts“ gar nicht grün ist oder nur wenig zur substanziellen Reduktion von CO2-Emissionen beiträgt, lohnt sich die Debatte nicht. Eine erste belastbare Messung zu Nachhaltigkeitseffekten liefert Solera Audatex AUTOonline. Konkretes Ergebnis: Bei einer Vergleichsanalyse der Instandsetzung eines Heck-Schadens am Nissan Qashqai stellte sich heraus, dass im Vergleich zur Reparatur mit dem Original-Ersatzteil durch ein „Green Part“ nur 22 Prozent CO2 Emissionen eingespart wurde. Bei der Reparaturmethode „Instandsetzen vor Erneuern“ waren es hingegen 55 Prozent CO2-Reduktion. Dabei ist zu beachten: Die Studie wurde in Spanien durchgeführt, da die Verfügbarkeit von gebrauchten Ersatzteilen dort deutlich besser ist als in Deutschland. Somit wird beim Transport auch ein geringerer CO2-Wert angesetzt. Müsste ein „Green Part“ für die Reparatur in Deutschland also in Südeuropa beschafft und von dort aus angeliefert werden, dürfte sich die CO2-Bilanz verschlechtern. Eine Beurteilung, die offenbar von der HUK-Coburg ähnlich eingeschätzt wird. Martin Schneider erklärt beim Schadentalk in Frankfurt dazu: „Noch besser als gebrauchte Teile ist das Thema Instandsetzen vor Erneuern. Das machen wir alle seit Jahren, wir haben sehr gute hohe Quoten. Auch da gibt es durchaus
noch Verbesserungsmöglichkeiten. Das ist ein Punkt, den wir auch im Auge behalten sollten.“ ## „Bei Gesamtbetrachtung aller Kosten kein wirtschaftlicher Nutzen“ Doch es gibt nicht nur Zweifel an dem tatsächlichen Effekt der Nachhaltigkeit von gebrauchten Ersatzteilen. Auch hinter der Wirtschaftlichkeit stehen viele Fragezeichen. „Wir glauben nicht, dass beim Einsatz von gebrauchten Ersatzteilen Einsparungen zu erzielen sind“, erklärt Jürgen Schmidt im Redaktionsgespräch mit schaden.news. Der frühere Geschäftsführer von Riparo stellt fest, dass die Kfz-Versicherer zunächst einmal dafür sorgen müssten, dass die Bestände von qualitativ hochwertigen gebrauchten Ersatzteilen in Deutschland überhaupt verfügbar seien. „Damit das geht, müssten die Kfz-Versicherer ihren Restwertverkauf teilweise umstellen und können nicht mehr alle Restwerte in allen Restwertbörsen meistbietend verkaufen, sondern sie müssen teilweise die Restwerte zur Verwertung geben und erzielen dort bis zu 20 Prozent weniger Restwerterlöse.“ Das bedeutet für Jürgen Schmidt: „Die Kfz-Versicherer müssten jetzt erst einmal in Vorleistung gehen.“ Er geht zudem davon aus, dass bei der Aufbereitung der „Green Parts“ im Reparaturbetrieb zusätzliche Kosten und weiterer Aufwand entstehen. Jürgen Schmidt erklärte im Redaktionsgespräch außerdem: „Der Werkstatt müsste darüber hinaus ein Ausgleich für die entgangene Marge an den Originalersatzteilen erstattet werden, wenn sie Gebrauchtteile, die günstiger wären, einbauen.“ Hinzu kämen dann noch Kosten für Logistik und den Dienstleister, der die Beschaffung der Gebrauchtteile organisiert. Sein Fazit: „Alles im allem sehen wir nicht, dass bei der Gesamtbetrachtung ein wirtschaftlicher Nutzen für Kfz-Versicherer entsteht.“ Allerdings weist Jürgen Schmidt darauf hin, dass wenn diese Rechnung kostenneutral wäre und viel nachhaltiger, dann würde sich der Aufwand lohnen. ## Umsetzung vor dem Hintergrund fehlender Reparaturkapazitäten unrealistisch Auch den Aufwand für die Werkstätten sieht Jürgen Schmidt kritisch. Der frühere Riparo-Manager rechnet vor: „Wenn man nur davon ausgeht, dass für die Bearbeitung eines Gebrauchtteils rund zwei Stunden Mehrarbeit anfallen und wir in der Schadensteuerung annehmen, dass 20 Prozent von 500.000 gelenkten Unfallreparaturen mit „Green Parts“ durchgeführt werden würden, dann kämen wir auf rund 200.000 zusätzliche Arbeitsstunden.“ Jürgen Schmidt bezweifelt, dass vor dem Hintergrund ohnehin schon fehlender und künftig weiter rückläufiger Reparaturkapazitäten das Potenzial in den Werkstätten dafür vorhanden wäre. ## Rechtliche Fragen völlig offen, Kasko-Policen müssten angepasst werden Neben den ökonomischen und ökologischen Aspekten sind derzeit auch rechtliche Fragen ungeklärt. Bisher geben Werkstätten im gesteuerten Schadengeschäft in der Regel sechs Jahre Garantie auf ihre Arbeit. In der Werkstattwelt gibt es viele Stimmen, die sagen, dass die Betriebe keine Garantie auf eine Reparatur mit Gebrauchtteilen übernehmen. Auch Jürgen Schmidt bestätigt gegenüber schaden.news, dass Partnerwerkstätten zudem befürchten, dass ihre Reputation leidet, wenn gebrauchte Ersatzteile verbaut werden. Ohnehin müssten die Kfz-Versicherer zuvor entsprechende Passagen in ihren AKB und Bedingungen der Kasko-Policen ändern. Aktuell findet sich auch bei der Allianz dazu kein Hinweis. Im Gegenteil. In von Innovation Group vermittelten Reparaturaufträgen der Allianz steht nach wie vor unter Versicherungsdetails der Hinweis „Original Ersatzteile“.
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