2024-04-17T11:52:09+0000

Schadenmanagement-Kongress: Ist KI die Lösung in der Kfz-Versicherungsbranche?

Dass auch dieses Jahr für die Versicherungsbranche ein herausforderndes wird, ist kein Geheimnis. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft kündigte in der letzten Woche bereits erneut Milliardenverluste im Kfz-Bereich an. Die Entwicklungen, die zu dem aktuellen Verlustgeschäft führen, standen natürlich auch beim 17. Messekongress Schadenmanagement & Assistance in Leipzig im Fokus. ## Digitalisierung und Automatisierung bleiben größter Hebel im Kampf gegen aktuelle Entwicklungen So betonte Jens Ringel, Geschäftsführer des Veranstalters Versicherungsforen Leipzig, gleich zu Beginn, dass inflationsbedingte Kostensteigerungen und vermehrte Extremwetterereignisse zu höheren Schadenkosten führen. Gleichzeitig sorgen Schadenhäufigkeit und Fachkräftemangel für Bearbeitungsrückstände bei den Assekuranzen, was wiederum für Unzufriedenheiten bei den Versicherungsnehmern sorgt. Um administrative Kosten einzudämmen und gleichzeitig Schadenbearbeitungszeiten zu reduzieren, müsse die Digitalisierung und Automatisierung weiter vorangetrieben werden, ist sich der Veranstalter sicher. Wie das funktionieren soll und welche Rolle dabei die künstliche sowie die generative Intelligenz (kurz GenAI) spielen, das zeigte sich im Anschluss in verschiedenen Fachvorträgen. ## DEKRA stellt Digitales Schadenmanagement in Kombination mit HUK-KI vor Die Digitalisierung in der Schadenwelt beleuchteten beispielsweise Bernd Grüninger, Bereichsleiter Gutachten und Mitglied der Geschäftsleitung bei DEKRA Automobil GmbH, und Christoph Mennicken, Senior Vice President Service Division Vehicle bei DEKRA SE in ihrem Vortrag. Dabei stellten sie zunächst den digitalen Schadenservice vor, den die Sachverständigenorganisation kürzlich auf den Weg gebracht hat. Der Digital Service zielt auf eine frühe Einbindung von Telematikdaten in den Schadenregulierungsprozess ab. Der Hauptgedanke sei eine effizientere Schadenabwicklung für die Auftraggeber, also Versicherer, Flotten und Autohäuser. Im Fokus stehe dabei eine Regulierungsempfehlung. Diese liefert laut DEKRA mittels Triage einen Reparaturkostenkorridor, einen Totalschadenindikator und eine Handlungsempfehlung. Zur Verarbeitung dieser digitalen Daten nutzt DEKRA die Kompetenz von Spearhead. Dabei handelt es sich um eine Plattform, um die Prozesse vom Schadeneingang bis zum regulierungsfähigen Produkt zu gestalten. Ein strukturierter Datensatz ergibt sich dabei durch den Online-Service, die Hotline oder den Bilderupload. Es folgt eine Standardisierung der Daten durch KI und den bestehenden Datenpool und daraus abgeleitet eine Regulierungsempfehlung, die beispielsweise bei
einfachen Schäden etwa eine Teledienstleistung, bei komplexeren Schäden oder Totalschäden ein Schadengutachten basierend auf einer Vor-Ort-Besichtigung sein kann. Wie das Ganze in der Praxis konkret aussehen kann, beschrieb im Vortrag Dr. Thomas Körzdörfer, Leiter Data Analytics bei der HUK-Coburg. Bereits seit einigen Jahren beschäftigen sich die Coburger mit digitalen Schadenregulierungslösungen. Im Telematik-Tarif des größten deutschen Kfz-Versicherers sind seinen Angaben zufolge 570.000 Fahrzeuge versichert. Bei diesen erfolge die Schadensmeldung intuitiv und zum überwiegenden Teil über die App des Versicherers. Untere anderem aus diesen Daten hat der Kfz-Versicherer eine HUK-KI zur Erkennung von Kfz-Schäden entwickelt. Dr. Thomas Körzdörfer spricht von einer hohen sechsstelligen Zahl an Schadendaten, die dafür zugrunde liegen. Diese HUK-KI wird mit DEKRA und Spearhead kombiniert. „Dadurch können hier Kompetenz und Marktkenntnis gebündelt werden und liefern eine einmalige Datengrundlage und gemeinsame Lösungen für den gesamten Markt“, erklärten die Experten während des Vortrags. Die HUK-KI ist laut Dr. Thomas Körzdörfer bereits seit einigen Monaten real im Einsatz und wird in stetig steigender Anzahl für ausgewählte Schäden, beispielsweise Wildschäden, genutzt. Abschließend betonte Bernd Grüninger jedoch, dass der Sachverständige vor Ort auch in Zukunft nicht zu ersetzen sein wird, sondern weiterhin auch am Fahrzeug die Schadenbegutachtung durchführen wird. ## ControlExpert setzt weiter auf Claims Advisor Dementgegen steht der Ansatz des Prüfdienstleisters ControlExpert. Denn laut einer eigens mit Copart durchgeführten Claims Inflation Studie zur Entwicklung der Reparaturkosten, stellen die Honorare für externe Sachverständige den größten Kostentreiber dar. Diese seien laut Studie in den letzten vier Jahren um 39 Prozent gestiegen – und damit stärker als die Reparaturkosten selbst (2019-2023: +35 %). Das Ziel der Langenfelder: mit dem auf künstlicher Intelligenz basierenden Tool „Claims Advisor“ soll die Schadenabwicklung innerhalb weniger Minuten automatisiert erfolgen – und zwar ohne Sachverständigengutachten. Die Technologie, die bereits 2021 in Leipzig präsentiert wurde, könne durch generative Intelligenz Schäden klassifizieren, den Schweregrad bestimmen und eine Sofortauszahlung oder Reparaturvermittlung in die Wege leiten. Laut Sales Director Michael Kubijowicz werden bereits heute „schon Zehntausende Schäden pro Monat darüber abgewickelt“. Die 2021 von ControlExpert aufgestellte These „in fünf Jahren wird es keine Schadenabteilung mehr geben“, scheint dennoch in weiter Ferne. Denn – und auch das hat sich in Leipzig gezeigt – die Digitalisierung und Automatisierung in den Schadenabteilungen der Kfz-Versicherer geht zwar voran, aufgrund der Vielzahl an Systemen jedoch längst nicht so schnell, wie sich das die Langenfelder vermutlich gewünscht hätten.
## Detaillierteres Nachhaltigkeits-Scoring durch KI und Schadendaten Um die Macht der Daten und die Transparenz bei der CO2-Emission ging es im Vortrag von Ingo Blöink, Vice President Sales Deutschland und Schweiz, sowie Arben Ndue, Business Development Manager Deutschland und Schweiz, beide bei Solera Audatex AUTOonline. Ausgangspunkt war die Tatsache, dass bisher nur rund die Hälfte der Kfz-Versicherer in der Lage sind, ihren CO2-Fußabdruck zu messen. An dieser Stelle will der Schadendienstleister unterstützen. So habe das Unternehmen mithilfe von OEM-Daten, sowie der nach eigenen Angaben größten Datenbank zu Kfz-Schadenereignissen in Kombination mit Künstlicher Intelligenz einen Algorithmus entwickelt, um die CO2-Emission auf die einzelnen Stufen herunterzubrechen (Scope 1 bis Scope 3). Basis dafür sind die Daten von mehr als 200 Fahrzeugherstellern, sowie 250 Millionen Daten aus Schadenfällen sowie Nachhaltigkeits-Daten. Nach Angaben von Arben Ndue berücksichtigt der Algorithmus auch die Nachhaltigkeitsdaten aus dem Lackverbrauch bei der Fahrzeugreparatur und ist somit als einziger auch an die Industrie angepasst. Dadurch überwacht der Algorithmus den gesamten Weg der Nachhaltigkeit und ermögliche es so, transparent darzustellen, wie groß der Einfluss bestimmter Entscheidungen bei der Schadenkalkulation, beispielsweise Instandsetzen oder Erneuern von Teilen, auf die letztendliche CO2-Emission ist. Großer Wettbewerbsvorteil sei hierbei, dass auch Scope 3-Emissionen berücksichtigt werden, also Treibhausgasemissionen, die keinem Unternehmen direkt gehören oder von ihm kontrolliert werden, wie Lieferketten, Transport, Produktnutzung oder Entsorgung. ## Secure Gateways: „EuGH-Urteil bestätigt unser Recht auf Reparatur im freien Markt“ Während es in den Schadenabteilungen der Kfz-Versicherer vor allem um die Automatisierung und Effizienzsteigerung geht, kämpfen die Werkstätten hingegen teils mit ganz anderen Herausforderungen. Das spiegelte auch der Vortrag von Carglass wider. In Leipzig hoben Matthias Wittenberg, Head of Key Account Management, und Florian Merker, Group Legal Counsel, von Carglass noch einmal die Bedeutung des Urteils vom Europäischen Gerichtshof zu Secure Gateways aus Oktober 2023 hervor. 2019 hat Fiat Chrysler Automobiles damit begonnen, den gewohnte Diagnosezugang über die OBD-Schnittstelle durch sogenannte Secure Gateways zu verschlüsseln, später folgten weitere Hersteller. „Das behindert den freien Markt, deswegen sind wir gemeinsam mit A.T.U. dagegen vorgegangen. Denn freie Serviceanbieter können dadurch nicht auf effiziente und kostengünstige Weise mit Markenwerkstätten konkurrieren“, fasste Florian Merker die Problematik noch einmal zusammen. Die 2020 eingereichte Klage beim Landgericht Köln wurde 2022 schließlich dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt, der 2023 zu Gunsten der Kläger entschieden hat. „Das bedeutet: Secure Gateways müssen von den Fahrzeugherstellern entfernt werden und sind künftig verboten“, so Florian Merker. Wann und wie die Zugangsbeschränkungen aufgehoben werden, bleibt abzuwarten. Die Entscheidung vom Landgericht Köln wird laut Carglass für Mai erwartet. Parallel will Carglass mit weiteren Marktteilnehmern gegen die Zugangsbeschränkungen durch weitere Hersteller vorgehen. ## Netzwerken im Fokus Neben den Vorträgen stand auch in Leipzig wieder das Netzwerken im Mittelpunkt. So waren einige Schadendienstleister zwar nicht mit Stand vor Ort, aber durchaus auf der Messe anzutreffen. Beispielsweise informierte sich das Team von Riparo und ri Werkstattservice über aktuelle Trends im Business. Auch der neue Leiter Schaden Prozessmanagement der HUK-Coburg, Michael Schnapp, nutzte den Kongress fürs Netzwerken. Ebenfalls mit einer Mannschaft vor Ort war die Restwertbörse CARTV. Gute Gespräche führten auf der Messe auch Michael Pinto, Peter Vogel und Andreas Lau vom Bundesverband der Partnerwerkstätten (BVdP).
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