2023-03-29T12:16:24+0000

Was diskutierte die K&L-Szene in Würzburg?

Das Treffen der Karosserie- und Lackierbetriebe begann mit einem Crash. Ein VW Golf 3 Baujahr 90er-Jahre, ausgerüstet mit einem Telematik-Sensor der HUK-Coburg, fuhr auf das linke Heck eines stehenden Fahrzeuges auf. Ein klassischer Auffahrunfall, den DEKRA und Carbon in Würzburg inszenierten. Was dann kam, zog sich durch das gesamte Programm der Karosserie- und Schadenstage. Teilnehmer und Experten diskutierten über digitale Übertragungswege der Schadenmeldung, dem Einsatz von KI bei der Schadenkalkulation und über den richtigen Reparaturweg. Keine Frage, die Karosserie- und Schadenstage waren diesmal sehr nahe an der Praxis. ## Positive Stimmung und viel Gesprächsstoff Die Besucher nutzten das Treffen, um sich zu informieren und vor allem um sich auszutauschen. Nach dem Ende der Corona-Pandemie war deutlich zu spüren, dass sich die Stimmung in der Branche dreht. Kaum ein Smartphone in der Hand, jeder sprach mit jedem. Ganz persönlich, ganz direkt. Die Stimmung war einfach positiv und das Interesse am Programm und den Ausstellern der Messe groß. ## KI und Digitalisierung verändern den Schadenmarkt nur langsam Zurück zum Unfallgeschehen in Würzburg. Die HUK-Coburg stellte während des Treffens ihre Lösung zur Unfallschadenmeldung vor. Digitale Schadenakte und Steuerung des Reparaturauftrags in die nächste Partnerwerkstatt – in Würzburg wurde schnell klar, wie sich die Schadenwelt nach den Vorstellungen der Coburger in den nächsten Jahren verändern soll. Das Publikum reagierte teils kritisch auf die digitale Übermittlung der Daten. Auch die Schadenkalkulation mittels Bilderkennung und dem Einsatz künstlicher Intelligenz lieferte reichlich Diskussionsstoff. Dr. Ingo Blöink stellte die Capture Lösung von Solera Audatex AUTOonline vor. Bei der Bewertung des Schadens durch den
Auffahrunfall konnte die KI allerdings nur wenig Punkte machen. Denn die von der KI ermittelte Schadenhöhe lag weit entfernt von den tatsächlichen durch den Sachverständigen kalkulierten Reparaturkosten. „Wir stehen am Anfang der Entwicklung und sehen die KI vor allem als Unterstützung bei der Schadenkalkulation“, erklärte Dr. Ingo Blöink. Nach Aussagen von Audatex sorge die Kalkulation via Bilderkennung dafür, dass ein Sachverständiger seine Arbeit 30 bis 50 Prozent effizienter erledigen kann. Bernd Grüninger, Mitglied der Geschäftsleitung bei DEKRA, meint: „Die Anwendungen mit Unterstützung von KI werden noch viel Zeit brauchen, bis sie dort sind, wo sie viele heute schon sehen.“ Auf die Kompetenz der Sachverständigen wird man nicht verzichten können, auch den Einsatz von KI als Unterstützung sehe DEKRA derzeit nicht. Die Digitalisierung werde sich bei der Beschleunigung von Prozessen und Remote-Dienstleistungen relativ schnell durchsetzen. Aber nicht bei der KI gesteuerten Schadenkalkulation von Beschädigungen der Karosserieaußenhaut. ## Wer stellt die Regeln der KI auf? ZKF-Präsident Peter Börner machte deutlich, dass sich nach seiner Einschätzung die KI in der Schadenwelt nicht durchsetzen werde. Es gehe hier doch eher darum, die fiktive Abrechnung zu pushen. „Wer glaubt denn, dass die Konzerne investieren, um mit den Entwicklungen die Arbeit der Werkstatt zu erleichtern?“ Rechtsanwalt und Branchenexperte Henning Hamann ging während der Diskussion in Würzburg der Frage nach, wer denn eigentlich die Regeln für die KI aufstelle und welche Daten genutzt würden? „Die rechtliche Bewertung von Ergebnissen der Bilderkennung durch KI und eines Prüfberichtes machen keinen Unterschied. Wenn die Verbringungskosten in der Kalkulation unrechtmäßig fehlen oder hinterher unrechtmäßig gestrichen werden, ist das Vorgehen immer falsch.“ Beim Einsatz der KI müsse man wissen, wer diese programmiert hat. Henning Hamann bezweifelte die Neutralität einer KI. Sein Fazit: „Wir werden den unabhängigen Sachverständigen noch lange brauchen.“ ## „Sehen wir auch die Chancen der Veränderung“ Eine Einschätzung der Gesamtentwicklung der Branche gab ZKF-Präsident Peter Börner in seiner Rede bei den Würzburger Karosserie- und Schadenstagen ab. Nachhaltigkeit und Mobilitätswandel gehören für ihn zu den wesentlichen Treibern der Veränderung. Für besonders wichtig hält Peter Börner das Thema Instandsetzen vor Erneuern. „Wir schmeißen
Scheinwerfer aufgrund der Herstellervorgaben weg, anstatt sie zu reparieren. Was ein Irrsinn.“ Reparieren statt Teiletausch müsse von den Kfz-Versicherern aber auch ordentlich bezahlt werden. Hier gebe es Regeln wie die Ausbeulformel, die angewendet werden muss und zwischen Kfz-Versicherern und Vertretern der Werkstätten vereinbart wurde. ZKF-Präsident Peter Börner forderte aber auch die K&L-Betriebe auf, sich mit den Veränderungen wie Mobilitätswandel und Digitalisierung stärker zu beschäftigen. „Krise hin oder her, es kommt darauf an, was wir daraus machen.“ ## Klagen von Werkstätten gegen Rechnungskürzungen bald aussichtslos? Natürlich spielten auch aktuelle Entscheidungen zum Schadenrecht in Würzburg eine bedeutende Rolle. Branchenkenner und Fachanwalt Henning Hamann (Kanzlei Voigt) wies das Publikum der Karosserie- und Schadenstage auf eine bis jetzt kaum bekannte, aber bedeutende Gerichtsentscheidung hin. Hintergrund: Bisher zogen viele Karosserie- und Lackierbetriebe (im Rahmen der Abtretung) oder die Geschädigten direkt gegen die Kürzungen von Werkstattrechnungen durch Prüfdienstleister und Kfz-Versicherer vor den Kadi. Amtsgerichte, Oberlandesgerichte und zuletzt auch der Bundesgerichtshof fällten zahlreiche Urteile, wie zum Beispiel zur Erstattung von Desinfektionskosten während der Corona-Pandemie. Doch die letzte Entscheidung des obersten deutschen Gerichtes stellt das bisherige Vorgehen offenbar vollständig in Frage. „Bis dato waren Klagen aufgrund des sogenannten subjektiven Schadenbegriffs quasi unverlierbar“, erklärte Henning Hamann. Nun habe der BGH in einer Entscheidung aber ausgeführt, dass die Reparatur vom Betrieb auch tatsächlich erfolgt sein müsse. „Es besteht damit das Risiko, dass die Werkstatt bzw. der Geschädigte nun in der Pflicht steht zu beweisen, dass alle in der Rechnung aufgeführten Positionen auch tatsächlich durchgeführt wurden.“ Henning Hamann fragte das Publikum: „Wie will man denn tatsächlich beweisen, dass eine Holraumversiegelung durchgeführt wurde?“ Erste Urteile dazu
sind bereits da, fallen aber komplett unterschiedlich aus. Kürzungsklagen gegen Kfz-Versicherer zu gewinnen wird nach dieser Entwicklung jedenfalls deutlich schwieriger und die Dokumentation der Instandsetzung in den Werkstätten gewinnt eine noch größere Bedeutung. ## „Die Nachbesetzung einer gekündigten Stelle dauert bis zu einem Jahr“ Auch ein Thema in Würzburg: der immer stärkere Fachkräftemangel in K&L-Betrieben. Während der Konferenz wurde deutlich, wie wichtig es ist, sich als Werkstatt von Wettbewerbern in der Region zu unterscheiden. „Schauen Sie sich an wie die Stellenausschreibungen anderer Unternehmen ihrer Branche aussehen“, erklärte Headhunterin Stephanie Krüger. „Sie müssen sich unterscheiden.“ Ein weiterer Faktor, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, sei eine moderne technische Ausstattung. „Wer eine attraktiven Arbeitsplatz bietet, hat einfach bessere Chancen engagierte Beschäftigte zu finden.“ Die Erfahrung von Stephanie Krüger lautet zudem, dass es nach einer Kündigung fast bis zu einem Jahr dauert, ehe die Stelle nachbesetzt sei. „Deshalb müssen Sie auch nach der Neueinstellung mit einer Personalführung auf Augenhöhe dranbleiben, sonst können auch neue Mitarbeiter schnell wieder gehen.“ ## Wege zu mehr Energieeffizienz Der Lackhersteller PPG Nexa Autocolor thematisierte bei den Karosserie- und Schadenstagen die rasant gestiegenen Energiekosten und stellte Maßnahmen vor, den Strom- und Gasverbrauch zu reduzieren. „Die Energiepreise werden nicht mehr auf das günstigere Vorkrisen-Niveau zurückfallen“, erklärte Thomas Leuchten, Manager bei PPG Deutschland. Vor allem das Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber auch der Einsatz moderner Technik sei in K&L-Betrieben ausschlaggebend, um die Kostensituation anhaltend zu verbessern. PPG-Nachhaltigkeitsmanager Nils Voskuhl nannte Hotspots an denen besonders viel Energie verloren geht und Einsparpotenziale:
„Nach Öffnung eines Rolltores kann die Temperatur in der Werkstatt um bis zu 10 Grad absinken.“ Es sei sehr teuer immer wieder nachzuheizen. Vor allem beim Lackier- und Trocknungsprozess gebe es viele Wege, die zu mehr Energieeffizienz führen können. Die Drosselung der Kabinentemperatur von 24 auf 20 Grad bringt nach Angaben von PPG schon mehr als 19 Prozent Kosteneinsparung. Ebenso wichtig das Fahren der Kabine im Umluftbetrieb oder der Einsatz lufttrocknender Lacksysteme. „Wichtig ist, dass es bei den Nutzern ein Bewusstsein dafür gibt, den Energie- und Ressourcenverbrauch zu reduzieren.“ Deshalb bietet PPG Nexa Autocolor ein Energie-Audit mit Coaching der Mitarbeiter in K&L-Betrieben und ein Monitoring der Maßnahmen an. Thomas Leuchten zeigte sich überzeugt, dass es schon sehr bald nicht mehr nur um die Reduzierung von Energiekosten gehe, sondern vor allem darum den CO2-Verbrauch nachweislich zu senken. ## Unterstützung für Betriebe Die Optimierung der Prozesse und damit einhergehend die Steigerung der Energieeffizienz stand auch beim Vortrag von Jens Wagner, Technical Management BASF Coatings, im Fokus. Im Impuls Café erläuterte er den Anwesenden[ das neue digitale Bewertungstool Body Shop BOOST von Glasurit](https://schaden.news/de/article/link/43199/schadentalk-web-tv-nachberichterstattung-kennzahlen-november-2022). BOOST liefere eine ganzheitliche Betrachtung des Reparaturprozesses inklusive aller wichtigen Kennzahlen und soll den Betrieben Optimierungspotenzial aufzeigen – auch in puncto Energieverbrauch. „Dabei schauen wir uns nicht nur singulär den Lackierprozess an, sondern alle Betriebsabläufe von Schlüsselabgabe bis Fahrzeugübergabe“, so Jens Wagner. Anschließend werde der Betrieb zwölf Monate bei der Umsetzung begleitet, über ein individuelles Dashboard habe jedes Unternehmen zudem all seine Zahlen und Prozesse im Blick. ## Corona-Lethargie ist vorbei Bei den Karosserie- und Schadenstagen in Würzburg wurde deutlich, mit wie vielen unterschiedlichen Themen die Branche derzeit beschäftigt ist. Doch anders als noch im vergangenen Jahr, arbeiten die Betriebe nun an Lösungen, um die Herausforderungen anzupacken und zu meistern. Die Corona-Lethargie ist auch in der Werkstattwelt vorbei.
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