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2023-03-22T13:49:54+0000

Kfz-Versicherer beraten über Zukunft des Schadenmarktes

Mit rund 1.200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist am Mittwoch (22. März 2023) der Messekongress für Schadenmanagement und Assistance in Leipzig zu Ende gegangen. Zwei Tage lang diskutierten Versicherer und Schadendienstleister bei einem umfangreichen Vortragsprogramm. Die Hauptthemen steckte Jens Ringel, Geschäftsführer der Versicherungsforen Leipzig, bereits in seiner Eröffnungsrede ab: „Die Schadenwelt wird immer komplexer“, betonte er. Treiber dieser Entwicklung seien unter anderem die Inflation, das Streben nach nachhaltigem Handeln sowie künstliche Intelligenz. Zudem sorgt die Mobilitätswende für Veränderungen – und wirkt als Katalysator für neue Prozesse, auch in Kfz-Versicherungsbranche. ## HUK-Coburg auf dem Weg zum Mobilitätsdienstleister Die Mobilitätswende und deren Auswirkungen auf den Wirkungskreis eines Kfz-Versicherers wurden im Vortrag von Sebastian Lins, Geschäftsführer der HUK-Coburg Mobilitätsholding, deutlich. Denn der Versicherer geht davon aus, dass der Anteil privat versicherter Pkw in den kommenden Jahren durch Veränderung des Mobilitätsverhalten deutlich zurückgehen werde. Daher sei es genau jetzt an der Zeit, den Versicherungskunden durch andere für ihn relevante Angebote an sich zu binden. Sebastian Lins und die HUK-Coburg sprechen in diesem Zusammenhang von der HUK-Autowelt und vom Aufbau eines sogenannten „Mobilitäts-Ökosystems“. Gemeint ist der Transformationsprozess vom Kfz-Versicherer hin zum Mobilitätsdienstleister. Die wesentlichen Bausteine sind der Ankauf inklusive Fahrzeugbewertung sowie der Verkauf von Gebrauchtwagen, das Auto-Abo und als vierter Punkt der HUK-Autoservice. Dieser ist bei der HUK-Coburg bereits seit 2016 im Aufbau. [Als eine Konsequenz daraus ist der Versicherer im Juli vergangenen Jahres bei der Werkstattkette Pitstop eingestiegen.](https://schaden.news/de/article/link/42959/huk-baut-erneut-autoservice-um-und-steigt-bei-pitstop-ein) Durch die Bausteine der HUK-Autowelt könne der Versicherer dem Autofahrer – und dabei spricht die HUK-Coburg nicht nur die eigenen Versicherungskunden an – alle Services im gesamten Lebenszyklus des Autos bieten. Wichtiger Bestandteil sei dabei auch die Web-Plattform für Kfz-Versicherte, die dem Autofahrer auf Grundlage der eigenen Telematik-Daten auch Produktempfehlungen je nach Saison – beispielsweise zum Räderwechsel – inklusive sofortiger Terminbuchungsoption biete. Sebastian Lins zeigte sich auf Nachfrage von schaden.news überzeugt: „Dem Weg vom Kfz-Versicherer zum Mobilitätsdienstleister müssen sich Assekuranzen stellen, wenn Sie zukünftig im Markt Bestand haben wollen.“ ## Riparo zweiter Schadensteuerer bei Axa Versicherung Auch die digitale Werkstattsteuerung war Thema in Leipzig. Daniel Engels (Product Owner Kfz-Schaden AXA Konzern AG) und Björn Hinrichs (Senior Vice President Insurcance/Health 3C Deutschland GmbH) stellten der Branche erstmals das volldigitale Routing eines Schadenfalls von der Schadenmeldung über die Einbindung von Sachverständigen und Reparaturfreigabe bis hin zur Fertigstellung der Instandsetzung vor. Dabei gab Chef-Stratege Daniel Engels während seines Vortrages auch einen Überblick über die Dienstleister, mit denen die Axa Versicherung zusammenarbeitet. Neben der Innovation Group wurde als weiterer Schadensteuerer auch Riparo
aufgeführt. Nur eine Randnotiz, aber doch ein Statement. [Denn nach der Übernahme der Innovation Group durch die Allianz Versicherung denken Kfz-Versicherer die mit den Stuttgartern kooperieren verstärkt über Alternativen nach.](https://www.schaden.news/de/article/link/43121/schadenmarkt-allianz-uebernimmt-innovation-group-vollstaendig) Die Axa Versicherung hat für das gesteuerte Schadengeschäft nun einen Plan B. ## Steuerung von Mercedes Benz-Schäden als Kundenbindungsinstrument Dass auch die speziell auf einen Hersteller zugeschnittene Lösungen im Schadenmanagement funktionieren, zeigte der Vortrag von Gerald-Alexander Beese (Geschäftsführer des Schadenschutzverbands SSV – dem Schadensteuerer der HDI-Versicherung) und Andreas Bauer (Leiter Key Account Management Service Pkw bei Mercedes Benz) dargestellt: Bereits seit zwölfeinhalb Jahren kooperieren der SSV und Mercedes Benz bei der Steuerung von Fahrzeugen des Herstellers. Die Maßgabe des Premium-Service mit dem Namen „Care & Drive“: Ein bei der HDI versicherter Mercedes Benz wird ausschließlich in einen Markenbetrieb des Herstellers geroutet. Im Mittelpunkt stehe dabei der Kunde, der von der Verbindlichkeit, einer Kommunikation auf Augenhöhe sowie eines schnellen Freigabe- und Reparaturprozess profitiere. Diese Prozesse seien über die Jahre in Zusammenarbeit vom SSV mit den Mercedes Benz-Reparaturbetrieben definiert worden und werden kontinuierlich weiterentwickelt und weiter digitalisiert. So dauere der Reparaturfreigabe-Prozess mittlerweile nur noch Minuten. Gerald-Alexander Beese und Andreas Bauer betonten während des Vortrags: „Diese Kooperation funktioniert als starkes Kundenbindungsinstrument.“ ## Innovation Group pusht Gateway Auch die Innovation Group nutzte den Schadenmanagement-Kongress, um ihre Webplattform Gateway als Branchenlösung für die Steuerung von Kasko-Schäden vorzustellen. IT-Vorstand Markus Unterberger zeigte interessierten Kfz-Versicherern gemeinsam mit Betriebsjunior Maximilian Mälzer (Isicar Leipzig) und Axel Krüger, Key Account Manager von DAT, wie das Portal funktioniert. [Nach den Schwierigkeiten beim Start von Gateway soll das Webportal nun vom gesamten Schadenmarkt genutzt werden.](https://www.schaden.news/de/article/link/42736/innovation-group-gesamter-schadenmarkt-soll-gateway-nutzen) In Leipzig wirkte die Vorstellung des digitalen Prozesses sehr rund. Nach wie vor gibt es aus der Werkstattwelt allerdings kritische Stimmen. So soll es weiterhin Probleme gerade bei der Auszahlung von Reparaturrechnungen geben. Dennoch ist die Richtung klar: Gateway wird in Zukunft in der Schadensteuerung eine bedeutende Rolle spielen. Vor allem aber wohl bei Innovation Group selbst. Denn nach der Übernahme durch die Allianz Versicherung hat sich die Welt für die Stuttgarter verändert. ## Reparaturstatus gewinnt an Bedeutung Apropos Veränderung. Beim Treffen der Kfz-Versicherer wurde sehr deutlich, wie weit Digitalisierung vorangeschritten ist. In den vergangenen Jahren ging es in Leipzig in erster Linie um Insellösungen, wie die Schadenmeldung via App oder Reparaturkostenkalkulation anhand von Bilderkennung. Nun steht der vollständig digitalisierte Schadenprozess im Mittelpunkt. Das sorgt auch für Veränderungen bei den Partnerwerkstätten. Ein konkretes Beispiel: Die Angabe des Reparaturstatus gewinnt weiter an Bedeutung. Bei Innovation Group werden Reparaturvermittlung, Terminvereinbarung mit dem Kunden, Freigabe des Kostenvoranschlages, Reparaturstart
und voraussichtliches Reparaturende sowie die Fertigstellung der Instandsetzung erfasst. Auf Nachfrage von schaden.news erklärte Daniel Engels (Axa Versicherung) in diesem Zusammenhang: „Hier ist es wichtig, die Balance zu wahren. Bei einem normalen Reparaturprozess reichen die wesentlichen Statusinformationen zu Reparaturstart und -dauer sowie der Fertigstellung.“ Darüber hinausgehende Informationen seien nur dann erforderlich, wenn es „Abweichungen vom Standardprozess“ gäbe, also wenn es zu Verzögerungen kommt. „Da ist es wichtig, nach allen Seiten transparent zu sein“, so Daniel Engels. ## Automatisierung auch im Kalkulationsprozess Innerhalb des volldigitalen Schadenprozesses spielt die Schadenerfassung und -kalkulation eine wichtige Rolle. Mit Qapter haben die Software-Experten von Solera Audatex AUTOonline dafür bereits vor zwei Jahren ein Tool entwickelt. Am Dienstag demonstrierten Dr. Ingo Blöink, Arben Ndue und Soeren Schulze live, wie die Kalkulationserstellung auf Basis von Visual Intelligence funktioniert. Dafür wurden eigens ausgedruckte Schadenfotos erneut mit dem Handy abfotografiert und per Web-App in Qapter hochgeladen. Binnen weniger Sekunden hat die Software die Schäden anhand der Fotos nicht nur klassifiziert und lokalisiert, sondern auch eine Schadenkalkulation erstellt – inklusive Vorschlägen zu eventuell versteckten Schäden. Für die Kalkulation greift die KI auf eine Datenbank von über 300 Millionen historischen Schadenfällen, über 4,5 Milliarden Fahrzeugbildern, rund acht Millionen Teilenummern, über 190 Hersteller und mehr als 26 Millionen Reparatur-Transaktionen zurück, wie Dr. Ingo Blöink erklärte. Dennoch betonte er noch einmal, dass die automatisierte Kalkulation die Sachverständigen künftig nicht ersetzen, sondern nur unterstützen soll. ## Wie verändern Chatbots das Schadenmanagement? Dass die weitestgehende Automatisierung des Schadenprozesses von Unfall bis Reparatur wohl noch nicht das Ende der Digitalisierung ist, wurde im Vortrag von Prüfdienstleister Control Expert deutlich. Denn die Langenfelder arbeiten – gemeinsam mit zehn weiteren Partnern – aktuell an einer europäischen Version des KI-Chatbots ChatGPT, wie Head of Sales, Michael Kubijowicz, in Leipzig erklärte. Unter dem Namen „Open GPT-X“ soll ein KI-gestütztes Sprachmodell entwickelt werden, dass in der Lage ist Dokumenteninhalte zu interpretieren und zu verarbeiten. „Sprachmodelle sind aus unserer Sicht Gamechanger im Bereich Schadenmanagement, Schadenabwicklung und Versicherung“, so der Vertriebsleiter. Aktuell werde die KI darauf trainiert, Inhalte aus hochgeladenen Schadendokumenten – wie beispielsweise einem Sachverständigengutachten – zu extrahieren. Das sei jedoch „nur der erste Schritt“, betonte Michael Kubijowicz. Ziel sei eine KI, „die Dokumenteninhalte interpretieren kann und so dem Dokumentenverständnis einen Schritt näherkommt.“ Wie der Vertriebsleiter weiter ausführte, könnten Sprachmodelle Inhalte innerhalb weniger Tage oder Wochen
verarbeiten, die ein Mensch in seinem ganzen Leben niemals erfassen könnte. „Das bringt einfach spannende Potenziale, die wir entsprechend versuchen zu nutzen.“ Wo Open GPT-X künftig zum Einsatz kommen könnte, blieb letztlich offen. Sicher scheint jedoch, dass ein derartiges Sprachmodell weitere tiefgreifende Veränderungen im Schadenmanagement mit sich bringen könnte. ## Podiumsgespräch: Wo steht die Branche bei der Standardisierung von Schadenprozessen? Gleichwohl der volldigitalisierte Schadenprozess bereits möglich ist, gehört er im Unfallreparaturmarkt noch längst nicht zum Standard. Dass wurde in der Podiumsdiskussion unter dem Motto „Partnerschaft und Innovation – Ein Gewinn für alle“ deutlich, in der Daniel Engels (Axa Versicherung), Matthew Whittall (Innovation Group AG), Michael Pinto (Geschäftsführer des Bundesverbandes der Partnerwerkstätten) sowie Dr. Moritz Weltgen (Mitgründer von RepairFix) über den Status Quo zum Reparaturprozess sprachen. Einig waren sich die Gesprächsteilnehmer, dass alle Beteiligten bei der Standardisierung von Prozessen noch Nachholbedarf haben. Insbesondere der Weg der Daten in die Reparaturbetriebe sei noch nicht standardisiert, kritisierte Michael Pinto. Zudem seien Medienbrüche bei der Digitalisierung und die Menge an unterschiedlichen digitalen Tools für Reparaturbetriebe die größte Herausforderung. Bei aller Standardisierung und Digitalisierung: Einigkeit herrschte im Podium auch darüber, dass die persönliche, menschliche Komponente im Schadenprozess nicht außer Acht geraten darf. So betonte Daniel Engels: „Der Kunde geht nicht routiniert mit einem Schaden an seinem Fahrzeug um. Der erste, persönliche Kontakt zur Werkstatt bleibt daher wichtig.“ Moritz Weltgen von RepairFix ergänzte: Erst die Serviceberater können den Autofahrer dann auf digitale Lösungen hinweisen und ihnen diese schmackhaft machen. Hintergrund: [RepairFix ermöglicht mit der Weblösung motum die digitale Schadenaufnahme durch den Autofahrer an die Werkstatt.](https://schaden.news/de/article/link/43340/digitale-schadenmeldung-motum-marketingtipps) Das Tool ist laut Entwickler in mehr als 250 Betrieben im Einsatz und [wird durch Schnittstellen auch von Schadensteuerern, wie der Innovation Group oder Riparo unterstützt](https://schaden.news/de/article/link/42535/repairfix-baut-kooperation-mit-schadensteuerern-aus). Die Bereitschaft der Werkstätten, digitale Lösungen einzusetzen, ist laut BVdP-Geschäftsführer Michael Pinto prinzipiell vorhanden, an der Umsetzung hapere es in einigen Regionen jedoch noch. Die weit größere Herausforderung für die Werkstätten sieht der BVdP-Geschäftsführer jedoch in den Verzögerungen, die durch mehrfache Kostenvoranschlagsprüfungen seitens der Versicherer entstünde. „Hier muss es doch ein Vertrauensverhältnis zwischen den Partnerbetrieben und Versicherern geben“, appellierte er. Daniel Engels betonte an dieser Stelle, dass die AXA ihren Prüfprozess deutlich verschlankt habe. Der Anteil an maschinell durchgewunkenen Reparaturfreigaben sei seitdem deutlich gestiegen. Weiteres Thema während der Diskussion war Instandsetzen vor Erneuern. Der gemeinsame Apell aller Diskussionsteilnehmer richtete sich hier an die OEMs, I statt E häufiger von vornherein zu erlauben: „Diese Methode ist letztendlich für alle am Schadenprozess Beteiligten eine Win-Win-Situation: Die Werkstatt erzeugt dadurch mehr Durchsatz und kann produktive Stunden abrechnen. Zudem ist es nachhaltiger und das Wichtigste: Der Kunde erhält sein repariertes Fahrzeug schneller und ist zufrieden“, fasste Matthew Whittall zusammen.
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