2023-02-15T09:38:27+0000

Web-TV: „Achtung! Die Versicherer passen die Bedingungen zu ihren Gunsten an“

Ob Schadenrecht, Kaufrecht oder Gewährleistungsrecht – Werkstätten werden im Rahmen einer Unfallschadenreparatur mit vielen rechtlichen Rahmenbedingungen konfrontiert. „Fast jeder Handschlag in der Werkstatt hat einen rechtlichen Bezug. Wir haben das Datenschutzrecht in der Kundenansprache, kaufrechtliche Elemente beim Verkauf von Ersatzteilen. Wir haben natürlich das Gewährleistungsrecht, wenn wir Reparaturen durchführen. Und wir haben das riesengroße Thema Schadenrecht“, erklärt Rechtsexperte Henning Hamann beim Schadentalk im Web-TV vergangene Woche (09.02.). Denn: Rechtliche Themen mögen für K&L-Betriebe undurchsichtig oder gar lästig sein, aber sie sind essenziell! In der ersten Ausgabe des Jahres gab der renommierte Branchenanwalt deshalb im Dialog mit Moderator Christian Simmert einen Überblick über die wichtigsten aktuellen Änderungen und Tipps im Umgang mit einzelnen Rechtsthemen. Der Rechtsanwalt ist Geschäftsführer der auf Verkehrsrecht spezialisierten Kanzlei Voigt, die mit über 300 Mitarbeiter an 29 Standorten mehrere 10.000 Fälle im Jahr bearbeitet. ## Achtung: Wichtige Grundsatzentscheidung für Werkstätten Doch warum ist es für Werkstätten überhaupt wichtig, auch in puncto Rechtsthemen am Ball zu bleiben? „Weil das Schadenrecht so sehr veränderlich ist“, lautete die Antwort von Henning Hamann. Das zeige sich einmal mehr an einer aktuellen Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum subjektiven Schadenbegriff. Dieser besagt, dass der Geschädigte auf die Richtigkeit eines Sachverständigengutachtens und die auf dieser Basis erfolgte Reparatur vertrauen darf. Deshalb sei der subjektive Schadenbegriff im Kampf gegen Rechnungskürzungen bisher ein sehr scharfes Schwert gewesen – auch für Werkstätten, die aus abgetretenem Recht geklagt haben. Im letzten Jahr hat der Bundesgerichtshof jedoch entschieden, dass, wenn sich die Werkstatt die Ansprüche des Geschädigten gegen den Versicherer abtreten lässt, der Geschädigte außen vor. Heißt konkret: „Ab dieser Sekunde gilt der subjektive Schadenbegriff zugunsten der Werkstatt nicht mehr“, betont Henning Hamann. Werkstätten könnten sich vor Gericht also künftig nicht mehr auf den subjektiven Schadenbegriff berufen. Der Rechtsexperte rät deshalb dringend von einer Klage aus abgetretenem Recht ab. ## Reparaturen an E-Autos – Das sollten Betriebe unbedingt beachten Im Vorfeld der Sendung hatten K&L-Betriebe die Möglichkeit, Fragen einzusenden, die Henning Hamann während der Sendung beantwortet. Diese Chance nutzte unter anderem Maximilian Mälzer, Betriebsnachfolger und Mitglied der Geschäftsleitung bei isicar in Leipzig. Der Familienbetrieb ist bereits seit einigen Jahren zertifizierter
Fachbetrieb für Elektromobilität. Maximilian Mälzer wollte vom Rechtsexperten wissen, ob es neue Regelungen im Haftpflicht- oder Kaskofall gibt, die hinsichtlich der Reparatur von E-Autos beachtet werden müssen. Henning Hamann betonte in diesem Zusammenhang, dass mit den steigenden Zulassungs- und Reparaturzahlen von Elektroautos die Kfz-Versicherer angefangen hätten, ihre Versicherungsbedingungen auf die Besonderheiten von E-Autos anzupassen – „und zwar zu ihrem Gunsten“, wie der Anwalt erklärt. Laut dem Experten hätten viele Versicherer Höchstentschädigungsgrenzen bis zu 2.500 Euro in den AKB eingezogen, zum Beispiel für die Batterieentschädigung. In den aktuellen AKB der HUK Coburg vom 1.1.2023 heißt es zum Beispiel: „Versichert sind zusätzliche Schäden am Antriebsakku bis zu einer Grenze von 20.000 Euro.“ Das sei nach Einschätzung des Experten „nicht schlecht“. Zum direkten Vergleich: Die Sparkassen Versicherung zahlt für Schäden am Antriebsakku nur bis zu einer Summe von 10.000 Euro. Das reiche bei hochwertigen Fahrzeugen meist schon nicht mehr aus. In den AKB der Allianz wird für die sogenannte Zustandsdiagnostik – also die Zustandsprüfung der Hochvoltbatterie durch Temperaturmessungen oder ähnliches – eine Höchstgrenze von 1.500 Euro festgelegt. Für Ausbaukosten im Falle einer Batterieentsorgung liegt die Grenze bei 2.500 Euro, Stellplatzkosten für Quarantäneplätze werden nur für 14 Tage übernommen. Insgesamt seien die Höchstgrenzen auch bei anderen Versicherern ähnlich. ## „Ohne Kenntnis der AKB kein E-Auto reparieren“ Der Rechtsexperte warnt noch einmal deutlich: „Im Kaskofall bei Elektroautos ist Vorsicht geboten, und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens muss natürlich, bevor hier irgendwelche Kosten auslösenden Faktoren unternommen werden, mal geschaut werden: Ist das eigentlich versichert? Und wenn ja, bis zu welcher Höhe.“ Er appelliert deshalb an die Reparaturbetriebe: „Eine Werkstatt sollte es tunlichst unterlassen, einen Kaskofall ohne Kenntnis der AKB zu reparieren.“ Und Achtung: Wird der Kaskoschaden über einen Schadensteuerer wie Innovation Group oder SPN gesteuert, dann gelten im Zweifel die Konditionen des Schadensteuerers und nicht das, was in den AKB steht. Der Rat des Anwalts lautet deswegen: „Vor dem Hintergrund der geänderten AKB müssen die Werkstätten dringend in die Vereinbarungen mit ihren Schadensteuerern schauen und gucken, wo ist hier noch Nachbesserungsbedarf.“ ## Fahrzeugdesinfektion – ja oder nein? Melanie Süß von der freien Reparaturwerkstatt spotrepair M. Süß aus Hohen Neuendorf bei Berlin wollte zudem wissen, wie es sich mit den Corona-Desinfektionsmaßnahmen verhält und ob diese jetzt noch sinnvoll wären. Der Branchenanwalt verwies hier noch einmal auf die [kürzlich vom Bundesgerichtshof gefällte Entscheidung](https://schaden.news/de/article/link/43266/desinfektionskosten-bundesgerichtshof-urteilt): „Der BGH hat gesagt, Desinfektionskosten sind gesonderte Kosten und dürfen auch gesondert berechnet werden.“ Aber aufgrund der pandemischen und gesellschaftlichen Entwicklung seit Mitte des letzten Jahres, haben und werden Gerichte für Unfälle, die sich ab Sommer 2022 ereigneten, keine Desinfektionskosten mehr
zusprechen. Die klare Antwort des Experten lautet deshalb: „Natürlich ist es sinnvoll, die Desinfektion weiterhin durchzuführen. Aber sind die Kosten schadenrechtlich zu erstatten? Nein.“ ## Haftet die Werkstatt für fehlerhafte Remote-Kalibrierungen? Torsten Stüting, Inhaber der Werner Bollwinkel GmbH in Bremen, wollte wissen, wer bei einem Unfall haftet, für den ein per Ferndiagnose fehlerhaft kalibriertes Fahrerassistenzsystem verantwortlich ist. Henning Hamann stellt hierfür erst einmal klar: „Gibt ein Kunde eine Reparatur in Auftrag, entsteht zwischen Werkstatt und Kunden ein Auftragsverhältnis. Dafür ist es irrelevant, ob die Werkstatt alle Arbeiten im Rahmen der Reparatur selbst durchführt oder durch einen Subunternehmer vollbringen lässt. Im Auftragsverhältnis haftet immer die Werkstatt, auch wenn am herausgegebenen Fahrzeug ein Mangel – ob eigen oder fremdverschuldet – besteht.“ Sofern die Werkstatt – zum Beispiel für Kalibrierungen oder Lackierungen – mit Subunternehmern arbeitet, sollte diese also dringend ihre Auftragsverhältnisse auf eventuell enthaltene Haftungsfreistellungen oder Haftungsklauseln prüfen. Übrigens: Auch der Schadensteuerer Innovation Group bietet über den sogenannten Innovation Diagnostik Service künftig eine Remote-Kalibrierung per Ferndiagnose an, wie Moderator Christian Simmert noch einmal betonte. Werkstätten, die diesen Service nutzen wollen, sollten also vorab auch hier die Vereinbarung genauestens prüfen. ## Ersatzteilverzug – Wer zahlt? Eine Frage, die vermutlich viele Betriebe aktuell beschäftigt, stellte André Hoffmann von Identica Hoffmann aus Berlin: „Die Ersatzteil Situation ist momentan ein Graus. Wer bezahlt mir denn den Mietwagen bei Lieferverzug von Teilen?“ Im Haftpflichtschadenfall ist dies eindeutig geregelt, der Schädiger muss die Ausfallzeiten bezahlen, sofern der Geschädigte die Verzögerungen in der Reparatur nicht zu verantworten hat. Das gelte sowohl für eventuell anfallende Standkosten als auch für Kosten des Ersatzfahrzeuges. Eine zeitliche Obergrenze gäbe es dabei nicht, so verweist der Anwalt auf Urteile, in denen Gerichte Ausfallentschädigungs- und Mietwagenkosten für fast ein Jahr zugesprochen haben. Ist allerdings schon bei der Schadenannahme klar, dass sich die Ersatzteilbeschaffung über mehrere Monate hinziehen wird, dann stellt sich laut Henning Hamann die Frage nach einer Interims- beziehungsweise Notreparatur. ## Sind gebrauchte Ersatzteile eine Lösung? Aktuell wird übrigens immer häufiger über den Einsatz gebrauchter Ersatzteile diskutiert – sowohl aufgrund fehlender Ersatzteile als auch im Sinne der Nachhaltigkeit. Doch wie sähe die rechtliche Situation hier aus, wenn an einem eingebauten, gebrauchten Ersatzteil ein Mangel entsteht? Klare Antwort vom Experten: „Im Verhältnis zum Kunden steht immer die Werkstatt in der Haftung und die muss dann prüfen, wo das gebrauchte Ersatzteil herkommt.“ Sollte die Reparatur mit gebrauchten Ersatzteilen irgendwann in Deutschland erlaubt werden, dann müsse klar vertraglich geregelt werden, wer bei einem Mangel an den Teilen zur Rechenschaft gezogen wird. Rein unter dem Nachhaltigkeitsaspekt und aus schadenrechtlicher Sicht sieht der Anwalt bei gebrauchten Ersatzteilen aber kein Problem. ## Umgang mit Leasingfahrzeugen Ebenfalls im Zusammenhang mit der schlechten Ersatzteilverfügbarkeit fragte Clemens Preuss von Fix Auto Dresden West, ob ein Leasinggeber darauf bestehen kann, dass bei
Leasingrückläufern erneuert statt instandgesetzt wird. Henning Hamann stellt hierzu klar: „Grundsätzlich ist der Leasinggeber der Eigentümer des Fahrzeugs und könnte prinzipiell darauf bestehen, dass immer alles ausgetauscht wird. In der Praxis ist es aber so, dass der Leasinggeber eine fach- und sachgerechte Instandsetzung vereinbart – das kann sowohl ein Austausch als auch eine Instandsetzung sein und ist letztlich vom Sachverständigen zu klären.“ Die Frage sei viel eher: Was ist denn beauftragt? Die Beauftragung erfolgt durch den Leasingnehmer und wenn die Werkstatt gemäß der Vereinbarung sach- und fachgerecht instandsetzt, kann der Leasinggeber sich zwar hinterher beschweren, aber nicht bei der Werkstatt, sondern beim Leasingnehmer. Eine eventuelle Wertminderung bei der Leasingrückgabe hätte also der Leasingnehmer zu zahlen und nicht die Werkstatt. ## Kaufrecht birgt erhebliche wirtschaftliche Risiken für Händler und Betriebe Ebenfalls von enormer Bedeutung ist für alle Betriebe mit angeschlossenem Autohandel das zum 1.1.2022 in Kraft getretene Kaufrecht. [Bereits seit 2021 klären die Rechtsanwälte der Kanzlei Voigt die Branche unermüdlich über die damit einhergehenden Änderungen für den Autoverkauf auf.](https://schaden.news/de/article/link/42692/kanzlei-voigt-kaufrecht-droht-klagewelle-durch-verbrauchenschuetzer) Dennoch seien viele Händler und Betriebe noch nicht darauf eingestellt. Auch, weil, wie Henning Hamann anmerkte, das geänderte Kaufrecht aufgrund der Verknappung von Gebrauchtwagen bisher keine Auswirkungen hatte. „Aber jetzt kommt es im Markt an, wir haben eine hohe Inflation und häufig bei Kunden das Thema Kaufreue. Der Gesetzgeber rechnet mit einer signifikanten Anzahl von mehr Gewährleistungsfällen. Und das ist auch das, was passiert und was wir sehen.“ Der geänderte Sachmangelbegriff und die auf 12 Monate erhöhte Beweislastumkehr schützen den Verbraucher beziehungsweise Käufer seit letztem Jahr stärker als zuvor. Zudem sind die Hürden für die Geltendmachung eines Mangels sehr niedrig geworden. „Händler und Betriebe haben eine enorme Aufklärungs- und Hinweispflicht. Wenn sie diese nicht wahrnehmen oder verletzen, kann der Käufer die Ware beziehungsweise das Fahrzeug reklamieren oder zurück geben“, so der Anwalt. Dies berge aus Sicht des Experten „erhebliche wirtschaftliche Risiken“ für die Verkäufer. ## Tipp vom Profi Zum Abschluss des rund 50-minütigen Talks fasste Henning Hamann zusammen: „Die Rechtsprechung und Gesetzgebung ist in so einem starkem Wandel – wenn man da nicht vollständig abgehängt werden möchte, muss man sich mit dem Thema auseinandersetzen. Aber es ist auch klar: Es kann und muss nicht die Kernkompetenz der Werkstatt sein. Deshalb mein Rat: Halten Sie sich informiert und arbeiten Sie zusätzlich mit einer auf Verkehrsrecht spezialisierten Kanzlei zusammen.“ Die Kanzlei Voigt bietet für K&L-Betriebe, Autohäuser und Sachverständige regelmäßige Weiterbildungsveranstaltungen. Zum Beispiel in Form des Automotive Online Forums aber auch über direkte Vor-Ort-Schulungen. Vor allem größere Betriebe sollten – so der Rat des Experten – eine Person definieren, die sich um rechtliche Themen kümmert und sich dahingehend auch informiert hält.
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