2022-05-04T07:50:44+0000

„Der ausbildende Betrieb schafft einen Mehwert für den gesamten Markt“

_Eine schnelle Erholung des Ausbildungsmarktes ist weiter nicht in Sicht. Laut aktuellen Zahlen des statistischen Bundesamts wurden 2021 zwar wieder etwas mehr Ausbildungsverträge geschlossen als in den Vorjahren, doch mit 467.100 neuen Azubis klafft gegenüber 2019 (513.300) immer noch eine immense Lücke. Auch in der Reparaturbranche hat die Pandemie die Erosion des Fachkräftenachwuchses nochmals deutlich beschleunigt – unter anderem bei den Fahrzeuglackierern, wo gegenüber 2019 fast 18 Prozent (Quelle: ZDH) weniger Ausbildungsverträge unterschrieben wurden. Im Interview erklärt Torsten Schmidt, Bereichsleiter Fahrzeuglackierer im Bundesverband Farbe Gestaltung Bautenschutz, welche Faktoren er bei der Ausbildung für entscheidend hält und was er und sein Verband unternehmen, um junge Menschen für dieses Handwerk zu gewinnen._ __Im gesamten Handwerk gibt es immer weniger junge Menschen, die eine Ausbildung beginnen wollen. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung und wie lässt sich gegensteuern?__ __Torsten Schmidt:__ Das Handwerk benötigt Aufmerksamkeit. Es ist einfach zu wenig bekannt, welche Entwicklungsmöglichkeiten junge Menschen in Handwerksberufen haben. Natürlich wollen sich Jugendliche erst einmal mit dem Beruf in Verbindung bringen, mal reinschnuppern. Das hat in den letzten zwei Jahren aufgrund der Pandemie so nicht stattgefunden und lässt sich nur bedingt durch digitale Angebote auffangen. Es ist Handwerk und wir sind Macher. Ein weiterer Punkt ist, wie präsent die Handwerksberufe an den Schulen sind. Wie werden die Berufe ab dem 6. Schuljahr vorgestellt? Ich bin der Meinung, gerade das Schulwesen über alle Schularten hinweg – also auch Gymnasien und weiterführende Hochschulen und somit auch Universitäten – müssten das Handwerk viel stärker ins Auge fassen und publizieren. Nur wer aktuell auch im Gespräch bleibt, hat auch die Möglichkeit, Nachwuchs zu gewinnen. Das müssen natürlich auch die Betriebe spiegeln, um so verstärkt auf sich aufmerksam zu machen. __Welche konkreten Maßnahmen gibt es hier seitens des Bundesverbandes?__ __Torsten Schmidt:__ Für alle, die Berufsausbildung zeigen wollen, also Schulen, Handwerkskammern oder Innungsbetriebe – [haben wir unsere neue Broschüre „AUF FARBE ABFAHREN – Weil Du es liebst!“ konzipiert, die ab sofort im Online-Shop auf www.fahrzeuglackierer.de einsehbar und erhältlich ist.](https://bvf.odd.de/fahrzeuglackierer/nachwuchsflyer-auf-farbe-abfahren.html) Auf 24 Seiten beschreiben wir darin klar das Berufsbild und die Weiterbildungs- und Qualifikationsmöglichkeiten in unserem Handwerksberuf, gepaart mit tollen Fotos und Statements. Junge Fahrzeuglackiererinnen und -Lackierer zeigen ihre Freude an einem der schönsten Handwerksberufe der Welt. Diese Begeisterung wollen wir auch auf der diesjährigen Automechanika vermitteln, wo der Bundesverband Farbe / BFL vom 13. bis 17. September 2022 in der Galeria als Repräsentant des Berufsbildes Fahrzeuglackierer vertreten sein wird. Schülerinnen und Schüler werden dort die Möglichkeit haben, sich selbst live auszuprobieren und den Beruf näher kennenzulernen. Ein weiteres Projekt sind unsere Lackheroes. In Kooperation mit dem Lackhersteller Axalta haben wir eine spezielle Community-Plattform auf Instagram und Facebook für unsere Nachwuchskampagne geschaffen. Geboren werden die Lackheldinnen und Helden allerdings in den Fachbetrieben unseres Handwerks! Bei den praktischen
Leistungswettbewerben für Fahrzeuglackierer/innen zeigen sie dann, was sie während ihrer Ausbildungszeit gelernt haben. Die oder der Beste hat die Chance, an internationalen Vergleichen, wie bspw. den Euro- oder Worldskills teilzunehmen. Dafür geht es im Vorfeld sogar ins „Trainingslager“. __Wie schätzen sie die Auswirkungen der gegenwärtigen Preisentwicklung im Markt auf die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe ein?__ __Torsten Schmidt:__ Auf den Betrieben lastet heute ein enormer Leistungs- und Kostendruck, der Einfluss der Schadenlenkung, knappere Margen und Zeitdruck sitzt ihnen im Nacken. All diese Faktoren spielen in die Ausbildung mit hinein. Wir müssen unseren jungen Menschen aber eine Perspektive geben und ein positives Signal setzen – auch wenn der Azubi dann nach der Lehre möglicherweise den Ausbildungsbetrieb verlässt. Junge Menschen denken und orientieren sich heute anders. Die Weiterqualifizierungsmöglichkeiten und das Umfeld spielen für sie eine wichtige Rolle für zukünftige Entscheidungen ihres Berufswegs. Das bedeutet nicht, wer im Ausbildungsbetrieb lernt, bleibt auch da. Deshalb ist eine Grundeinstellung wie z. B. „Ich bilde doch keinen mehr aus – der bleibt ja eh nicht bei mir.“, nicht von Vorteil für unseren zukünftigen Arbeitsmarkt. Das kann halt passieren. Aber jeder ausbildende Betrieb - und darüber sollten wir uns im Klaren sein- schafft damit einen Mehr-Wert für den gesamten Markt. Allein dieser Gedanke ist diese Investition wert, denn jeder Einzelne unserer Branche könnte selbst eines Tages einen Nutzen daraus ziehen. Ich glaube, vielen ist diese Dimension gar nicht so bewusst. Das globale Denken ist in den Köpfen noch nicht genügend verankert. __Die Betriebe sollten also mehr über den eigenen Tellerrand hinausblicken?__ __Torsten Schmidt:__ Auf jeden Fall. Die meisten denken, wir müssen immer nur Autos reparieren und leben rein vom Unfallgeschäft. Betriebe, die sich komplett der Schadenlenkung verschrieben haben und nach einem weiteren Standbein oder einem Ausweg suchen, sollten nach alternativen Möglichkeiten in ihrem direkten Umfeld nachschauen. Das kann das Industriegebiet um die Ecke als auch die direkte Nachbarschaft sein. In der Kleinserienproduktion bestimmter Unternehmen kann es beispielsweise Bedarf an professioneller Lackiertechnik geben. Da ist der Innungsfachbetrieb ein gern gesehener Partner und völlig unabhängig von der Schadenlenkung. Hier bestimmt der Lackierbetrieb den Preis. Gewinnt er die Ausschreibung, muss er anschließend nicht Rechnungskürzungen Dritter akzeptieren bzw. bearbeiten. Da der Fahrzeuglackierberuf viele Facetten aufzeigt, lackieren wir halt nicht nur Fahrzeuge. Das macht uns aus und den Beruf so vielseitig und spannend! __Auf was sollten Betriebe achten, wenn sie ausbilden? __ __Torsten Schmidt: __ Wer ausbildet, muss sich darüber im Klaren sein, dass nicht alles von jetzt auf gleich rund läuft und Fehler passieren können. Werden diese gewissenhaft aufgearbeitet, bietet das viel Potential zur Weiterentwicklung. Früher haben wir immer gesagt „Die Ausbildung der eigenen Facharbeiter ist die Beste.“ Alles, was ich selbst zeige und zu vermitteln suche – das kann ich irgendwann einmal ernten. Wenn ich allerdings eine ungenügende Ausbildung anbiete, kann ich nicht erwarten, dass da ein „Herkules“ herauskommt. Der Ausbildungsbetrieb hat die Pflicht, die erforderlichen Fertigkeiten- und Kenntnisse bestmöglich zu vermitteln. Das Gleiche gilt im Umkehrschluss natürlich auch für die Auszubildenden. Die Pflichten, die im Ausbildungsvertrag verankert sind
und vereinbart wurden, bilden die Basis für ein erfolgreiches Miteinander. Fühlen sich die Mitarbeiter im Unternehmen wohl, ist das Selbige i.d.R. erfolgreich am Markt. Die Unternehmenskultur im Betrieb ist hierbei ein wesentlicher und entscheidender Faktor. __Welchen Anforderungen wird sich die betriebliche Ausbildung in Zukunft stellen müssen?__ __Torsten Schmidt:__ Der Markt entwickelt sich rasant, Prozessabläufe ändern sich. Das gab es in dieser Intensität so in meiner Lehrzeit nicht. Von der Digitalisierung über Hochvolttechnologien der zukünftigen Mobilität bis hin zu neuartigen Lacksystemen und Lackierverfahren – das muss ein Betrieb erst einmal im täglichen Reparaturprozess umsetzen und praktizieren können. Da müssen nicht vorhersehbare Investitionen in kürzester Zeit getätigt werden, um am Markt zu bestehen. Für diese Anforderungen ist nicht der „0815-Handwerker“ die erste Wahl, sondern Mitarbeiter, die bereit sind sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen. Das ist mit Lernprozessen und stetiger Weiterbildung behaftet. Da führt kein Weg dran vorbei. Diese neuen Reparaturprozesse rund um die Mobilität werden sich in der zukünftigen Ausbildung zum Fahrzeuglackierer spiegeln. Ich bin froh, dass wir noch nicht Fahrzeuge am PC lackieren können und der handwerkliche Beruf im Vordergrund steht. Dadurch bleibt der Beruf Fahrzeuglackierer attraktiv, denn die entsprechenden Fähig- und Fertigkeiten werden nach wie vor uneingeschränkt benötigt. Zukünftig bietet die Qualifizierungsrichtung „Restaurator im Handwerk“ eine neue Möglichkeit, mit der sich Fahrzeuglackierermeister/innen im Bereich Classic Cars spezialisieren können. Den Markt der Zukunft und die Hochvolt-Technik haben wir natürlich ebenfalls fest im Blick. Das Neuordnungsverfahren für unser Berufsbild wird diese Dinge berücksichtigen. Damit unsere Betriebe up to date bleiben, bieten wir allen Interessenten ohne elektrotechnische Vorkenntnisse in Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer Rhein-Main und dem ZKF vom 01. bis 11. August 2022 auch in diesem Jahr einen Hochvoltlehrgang nach DGUV 209-093 an, der mit der [Qualifikation 2S-Fachkundige Person (FHV)](https://www.maler-akademie.de/alle-veranstaltungen/liste/details/event/lehrgang-nr-2022l019-fachkundiger-fuer-arbeiten-an-fahrzeugen-mit-hochvoltsystemen-ohne-grundlag/) abgeschlossen wird. Nähere Informationen hierzu auf [www.fahrzeuglackierer.de](https://www.fahrzeuglackierer.de/) __Vielen Dank für das Gespräch!__
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