2022-03-02T09:58:30+0000

Kaskokürzungen: Das sollten Sie wissen und beachten!

Welche Möglichkeiten haben Reparaturwerkstätten, wenn Versicherer im Kaskoschadenfall den Rotstift ansetzen? Dieser Frage widmete sich die ETL Kanzlei Voigt in der vergangenen Woche in einem Sonder-Webinar. Rund 700 Teilnehmer verfolgten den rund 60-minütigen Vortrag des Geschäftsführers Henning Hamann. Dabei gibt es einen ganz wesentlichen Unterschied zu Haftpflichtschäden, den Henning Hamann gleich zu Beginn noch einmal hervorhob: Beim Haftpflichtfall handelt es sich um Schadenrecht, beim Kaskofall um Vertragsrecht. Bei letzterem lautet die zentrale Frage also: Was steht im Versicherungsvertrag? Der Versicherungsvertrag fußt auf den sogenannten AKB, den Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung. Ein entsprechendes Muster wird den Versicherungsunternehmen vom GDV zur Verfügung gestellt, darüber hinaus kann jeder Versicherer individuell festlegen, was in dem jeweiligen Kasko-Vertrag versichert ist und was nicht. ## Konkrete Tipps zur Schadenschätzung Ein Kaskoschaden fängt an mit der Schadenschätzung. Da Sachverständigenkosten i.d.R. und laut Muster-AKB des GDV (Stand Mai 2021) nicht erstattet werden, bleiben zur Schadenschätzung folgende Optionen, wie Henning Hamann ausführt: Kostenvoranschlag durch die Werkstatt, eigenen Gutachter des Kunden bzw. der Werkstatt sowie – als dritte Option – ein Gutachter des Versicherers. Das Problem: Der Kostenvoranschlag der Werkstatt ist laut § 632 Abs. 3 BGB „im Zweifel nicht zu vergüten“. Um diese Zweifel zu beseitigen, rät der Rechtsanwalt zu einer schriftlichen Vereinbarung mit dem Kunden, der einen „kostenpflichtigen Kostenvoranschlag zur Beseitigung des Unfallschadens“ beauftragt. Bei einem Reparaturvolumen über 2.500 Euro empfiehlt der Experte zudem, einen eigenen Sachverständigen hinzuzuziehen – auch, wenn die Kosten für dieses Gutachten nicht erstattungsfähig sind. Warum? Weil die Spanne der Reparaturkosten zwischen eigenem Gutachter und dem Gutachter der Kaskoversicherung nicht selten mehrere Hundert bis mehrere tausend Euro beträgt. Wird der Versicherer mit dem zweiten Gutachten konfrontiert, stehen die Chancen gut, dass die Reparaturkosten noch einmal nach oben angepasst werden. „Dann hat sich der verhältnismäßige geringe finanzielle Aufwand für ein eigenes Gutachten über die Reparaturkosten wieder amortisiert“, betont Henning Hamann. Wird eine Schätzung durch einen Gutachter des Versicherers veranlasst, sollten Reparaturfachbetriebe über ihre Kunden unbedingt die Vorlage des Gutachtens fordern und im Zweifel von eigenen Gutachtern prüfen lassen. ## Haftpflichtschadenrecht als Auslegungshilfe BGH hat in einem Urteil 2015 entschieden, dass „für die Kaskoentschädigungen allein das vertragliche Leistungsversprechen des Versicherers“ maßgeblich ist. Aber mit einer
wichtigen Ausnahme, wie Henning Hamann erklärt: „Immer dann, wenn im Versicherungsvertrag nichts speziell geregelt ist, gilt das Haftpflichtschadenrecht als Auslegungshilfe.“ Die Werkstatt sollte also in jedem Kasko-Schadenfall prüfen, ob einzelne Auspruchsgrundlagen, Schadenpositionen oder Kappungsgrenzen ausdrücklich im Kaskovertrag geregelt sind. Ist das nicht der Fall, tritt das Haftpflichtschadenrecht als Auslegungshilfe in Kraft. ## „Es gilt der Stundenverrechnungssatz, den Sie verlangen“ Die konkreten vertraglichen Vereinbarungen beziehen sich laut Rechtsanwalt übrigens nicht nur auf den Stundenverrechnungssatz, sondern auch auf UPE-Aufschläge, Kosten für Desinfektionsmaßnahmen oder auch Glasschäden. Es gilt immer: „Gibt es im Vertrag eine spezielle Vereinbarung dazu? Wenn nicht, dann gilt das Haftpflichtschadenrecht und die Kosten sind im Rahmen der ‚erforderlichen Kosten‘ der Reparatur zu erstatten“. Diesen Grundsatz wiederholte Henning Hamann im Laufe des Webinars wie ein Mantra, um es den Zuhörenden einzuschärfen. Und für all diese Rechnungspositionen gibt es ganz klare Regelungen und Urteile im Haftpflichtschadenrecht. In diesem Zusammenhang gab der Experte einen weiteren wichtigen Hinweis: „Es müssen keine Einkaufs- oder Fremdrechnungen vorgelegt werden, sofern dies nicht unmittelbar in den AKB verlangt wird.“ ## Wie verhält es sich bei der Restwertermittlung? Übrigens: Auch bei der Ermittlung des Restwerts kommt das Haftpflichtschadenrecht als Auslegungshilfe zum Einsatz. Diesbezüglich gibt es ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshof aus dem vergangenen Jahr, demnach der regionale Markt zur Ermittlung des Restwertes in den Blick genommen werden muss. ## Abtretungsverbot hinfällig, aber Achtung bei Altverträgen Zudem haben es Werkstätten seit dem 1. Oktober 2021 deutlich leichter, eventuelle Ansprüche gegenüber dem Versicherer aus abgetretenem Recht einzuklagen. Denn mit Inkrafttreten des „Gesetzes für faire Verbraucherverträge“ ist das Abtretungsverbot unwirksam. „Sowohl in den Muster-AKB des GDV als auch in fast allen aktuellen AKB der Versicherer wurde die Klausel zum Abtretungsverbot bereits rausgestrichen“, betont Henning Hamann. Dennoch warnte der Rechtsanwalt: „Aufgrund der Rückwirkungssperre steht das Abtretungsverbot in Altverträgen noch drin, darauf müssen Werkstätten unbedingt achten.“ Zudem müssten Standard-Formulare zur Abtretung auf Vollständigkeit geprüft werden, hier müssten zwingend auch die Ansprüche gegen den Kasko-Versicherer vom Kunden abgetreten werden. ## Alternative zur Klage: Versicherungsombudsmann Wer nicht immer direkt den Weg vor Gericht gehen will, dem legte Henning Hamann den sogenannten Versicherungsombudsmann ans Herz. So habe die Kanzlei Voigt jetzt mehrfach Erfolge bei gekürzten Rechnungen der HUK-Coburg verbuchen können, indem der Versicherungsombudsmann um Prüfung der gekürzten Rechnungspositionen gebeten wurde. „Das ist ein probates Mittel, denn die Entscheidung des Ombudsmannes ist für den Versicherer bindend und es entstehen für die Prüfung keine Kosten“, erklärt Henning Hamann abschließend.
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