2021-12-15T12:57:34+0000

„Eine Frau als Fahrzeuglackiererin wollte Mitte der 80er Jahre keiner einstellen“

Als Frau in einem vermeintlichen Männerberuf wurde Linda Morhard oft belächelt. „Noch heute kommt es vor, dass Neukunden, die mich nicht kennen, irritiert sind, wenn sie nach dem Meister fragen und ich dann vor ihnen stehe“. Doch die Fahrzeuglackierermeisterin nimmt es gelassen. Seit über 30 Jahren führt sie inzwischen den elterlichen Karosserie- und Lackierbetrieb Weng GmbH im baden-württembergischen Calw – und das sehr erfolgreich. ## „Ich wollte es den Männern beweisen“ „Ich habe die Selbstständigkeit damals als Chance für mich gesehen, die zwar mit Pflichten aber auch mit Freiheiten einhergeht“, erzählt Linda Morhard im Gespräch mit schaden.news. Die Ausbildung zur Fahrzeuglackiererin war für sie ein logischer Schritt, um den Familienbetrieb übernehmen zu können. „Mir war wichtig, dass ich weiß, was ich tue und das Handwerk verstehe“. Ihre Ausbildung absolvierte sie folglich auch direkt im Betrieb ihrer Eltern, erhielt Mitte der 80er-Jahre ihren Gesellenbrief als 1. Innungs-, 1. Kammer- und 2. Landessiegerin. „Danach hätte ich gern woanders gearbeitet, um Erfahrungen zu sammeln. Aber keiner wollte mich einstellen. Eine Frau als Fahrzeuglackiererin? Für viele war das ein Unding. Wenn überhaupt habe ich eine Stelle als Praktikantin bekommen, ohne Bezahlung.“ Doch Linda Morhard ließ sich dadurch nicht entmutigen. Im Gegenteil: „Diese Denkweise spornte mich an. Ich wollte es den Männern beweisen, in dem ich immer top Ergebnisse liefere.“ Und das tat sie, erlangte schließlich als Jahrgangsbeste den Meistertitel und übernahm 1990 die Geschäftsführung der Weng GmbH. ## „Viele Eltern sind dagegen, dass ihre Tochter einen ‚dreckigen und anstrengenden‘ Beruf lernt Als Unternehmerin und Meisterin liegt ihr die Nachwuchsarbeit besonders am Herzen. „Ich habe über 30 Auszubildende betreut, darunter viele junge Frauen. Denn es ist mir persönlich wichtig, Frauen eine Chance zu geben.“ Zwar habe sich in puncto Akzeptanz in den letzten Jahrzehnten viel getan innerhalb der Branche, dennoch müssen weibliche Auszubildende sich auch heute noch stärker bewähren als männliche Kollegen. „Das fängt meist schon zuhause an. Viele Eltern sind dagegen, dass ihre Tochter einen ‚dreckigen und anstrengenden‘ Beruf lernt. Aber auch innerhalb der Ausbildung müssen sich Frauen mehr anstrengen, um sich zu beweisen.“ Genau das sei auch der Grund, glaubt Linda Morhard, warum Fahrzeuglackiererinnen bei Wettbewerben so stark vertreten sind und so gute Ergebnisse erzielen. ## Vertrauen ist das A und O Im eigenen Betrieb ist der zweifachen Mutter vor allem ein familiäres Klima wichtig. „Vertrauen, Teamarbeit, Chancengleichheit und flache Hierarchien – darauf kommt es an. In monetärer Sicht können Betriebe wie wir mit der umliegenden Autoindustrie wie Porsche und Mercedes nicht mithalten. Wir können nur über das familiäre Klima punkten“, betont sie. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit untereinander, aber auch mit dem Kunden sei übrigens auch das, was einen Betrieb langfristig für die Zukunft ausrichtet. „Wir sind seit
über 60 Jahren ein freier Betrieb und bewusst nicht in der Schadensteuerung aktiv. Unsere Kunden wissen, dass sie bei uns immer sehr gute Qualität und einen hervorragenden Service erhalten, und das hat sich rumgesprochen. “ So sei das Unternehmen bisher auch gut durch die Pandemie-Situation gekommen. „Es gibt immer ein Auf und Ab in unserer Branche. Wichtig ist, Ruhe zu bewahren und nicht in Hysterie zu verfallen“, erklärt die Geschäftsführerin ihr Patentrezept. ## Faszination Fahrzeuglackierung Übrigens: In der Lackierkabine steht Linda Morhard nur noch selten, wird meist nur bei kniffligen Sonderaufträgen dazu gerufen. Dennoch: „Die Fahrzeuglackierung wird mich immer faszinieren. Der Beruf ist abwechslungsreich, individuell, anspruchsvoll und auch nachhaltig. Zu sehen, wie etwas Kaputtes am Ende des Tages wieder aussieht wie neu, und wie die Kunden sich darüber freuen und glücklich sind, ist toll.“
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