2021-09-29T13:43:28+0000

Künstliche Intelligenz soll Schadenregulierung verändern

Der Schadenmanagement-Kongress der Versicherungsforen in Leipzig zählt auch während der Pandemie zu den wichtigsten Tagungen für die Versicherungswirtschaft. Erstmals nach knapp eineinhalb Jahren trafen sich rund 730 Teilnehmer im Congress-Center der sächsischen Wirtschaftsmetropole. Hier diskutierten an zwei Tagen auch die Schaden-Chefs der Kfz-Versicherer sowie Schadendienstleister künftige Entwicklungen der Schadenregulierung und die Vorträge der Experten. Ein richtungsweisendes Treffen, denn oftmals zeichnen sich in Leipzig Trends ab, die in wenigen Jahren auch die Unfallreparaturbranche beeinflussen. ## Wie stark lassen sich Prozesse automatisieren? Das zentrale Thema in diesem Jahr war der Einsatz Künstlicher Intelligenz, um Regulierungsprozesse zu automatisieren. Klar ist: die Schadenwelt befindet sich durch die Digitalisierung im Umbruch. Gerade selbstlernende IT-Systeme werden die Prozesse der Schadenregulierung in den nächsten Jahren weiter beschleunigen. Allerdings fragen sich nicht nur Kfz-Versicherer wohin die Entwicklung tatsächlich führt und wem sie nutzt. Kritisch gesehen werden von einigen Schaden-Chefs Geschäftsmodelle, die eine vollständige Automatisierung von Entscheidungen, Schadenbildbewertungen und Regulierungsprozessen ermöglicht. ## ControlExpert: „In fünf Jahren wird es keine Schadenabteilung mehr geben“ Viel beachtet wurde der Vortrag von Nicolas Witte, Geschäftsführer der Control Expert GmbH. Er rechnet in den nächsten Jahren mit einer „exponentiellen Zunahme“ der Automatisierung in der Schadenregulierung, die das Langenfelder Unternehmen selbst vorantreibt. Seine provokante These: „In fünf Jahren wird es keine Schadenabteilung mehr geben.“ Control Expert ist der Meinung, dass durch das frühzeitige und umfassende Sammeln von Daten, der Verarbeitung durch IT-Technologie und vorhandenes Know-how Entscheidungen im Regulierungsprozess automatisiert werden können – und hat dazu den sogenannten „Claims Adviser“ entwickelt. Zentraler Baustein ist die Bilddatenerfassung, bei der der Autofahrer möglichst viele Daten über sein Smartphone selbst eingeben soll. „Je mehr und je frühzeitiger wir Datenpunkte sammeln, desto schneller können wir eine Prognose über Schadenumfang und Schadenhöhe treffen“, betonte Nicolas Witte. Das Ziel: Die KI soll anhand der Parameter eine Entscheidung treffen, ob der Autofahrer einen Vorschlag zur fiktiven Abrechnung oder ein Reparaturangebot erhält – oder ob es sich um einen Totalschaden handelt. ## Prognose statt Gutachten Eine kurze Anmerkung des Geschäftsführers von Control Expert dürfte zu Diskussionen unter Sachverständigen, Kfz-Versicherern und Werkstätten führen: „Wir stellen der Werkstatt dann die Reparaturkalkulation zur Verfügung“, hieß es bei der Vorstellung des ganzheitlich automatisierten „End-2-End-Prozesses“. Offen blieb allerdings, auf welcher
Datenbasis diese Kalkulation tatsächlich erfolgt. Scheinbar handelt es sich um eine Kalkulation auf Grundlage einer durch KI erstellte Prognose, ohne das ein Sachverständiger hinzugezogen wurde. Ein Weg, der während des Kongresses bei Teilnehmern auf Kritik stieß. [Darüber hinaus wurde in Gesprächen am Rande des Treffens in Leipzig grundsätzlich über die künftige Rolle der Langenfelder diskutiert - gerade im Hinblick auf die Übernahme von Control Expert durch die Allianz Versicherung im vergangenen Jahr und die dadurch in Frage gestellte Unabhängigkeit.](https://schaden.news/de/article/link/41513/allianz-uebernimmt-control-expert) ## DAT setzt auf Sachverstand und KI Als neutrale Dateninstanz der Automobilwirtschaft versteht sich hingegen die Deutsche Automobil Treuhand DAT, die ebenfalls mit einem Vortrag beim Messekongress in Leipzig vertreten war. Chef-Stratege Raphael Dammann stellte die Bilderkennung und Schadenanalyse der DAT als Prozessbeschleuniger vor. Dabei erläuterte er die Funktionsweise des End-2-End Prozesses DAT7XM. Auch hier spielen die Bilddatenerfassung und automatisierte Schadenerkennung für die Erstellung der Schadenkalkulation eine zentrale Rolle. Deutlich hervorgehoben wurde, dass das System auf Daten der Kalkulationssoftware SilverDAT 3 zurückgreift. Anders als bei Control Expert setzt DAT auch auf das Expertenwissen von Sachverständigen oder Betrieben. Der automatisierte Prozess kann entsprechend angepasst werden. Dennoch beschleunige sich nach Angaben von DAT der Regulierungsprozess: „Die Versicherung sowie die Werkstatt des Fahrzeughalters bekommen alle relevanten Informationen zum Schaden noch bevor ein Experte das Fahrzeug begutachtet hat.“ Somit soll eine komplett automatisierte Schadenkalkulation in weniger als 10 Minuten erstellt werden können. ## Audatex treibt Kalkulation anhand von Schadenbilderkennung voran Diesen Zeithorizont bestätigte auch Peter Ballé, Head of Strategic Key Account Management für die Kfz-Versicherungswirtschaft bei Solera Audatex AUTOonline. Mit Quapter Intelligent Estimating hat der Schadendienstleister eine Möglichkeit geschaffen, Schäden digital zu erfassen und anhand von Bildern eine erste automatisierte Kalkulation vorzunehmen. „Einer unserer Pilothändler aus dem Stuttgarter Raum bestätigte, dass sich durch diese Lösung der Kalkulationsprozess von rund 20 Minuten auf sieben Minuten verkürzt hat“, führt Peter Ballé in Leipzig aus. Eine erste Auswertung von über 2.000 mit dem Programm durchgeführten Kalkulationen zeige, dass in 82 Prozent der Fälle die automatisierte Kalkulation korrekt war. „Bei den übrigen 18 Prozent gab es Anpassungen, z.B. aufgrund von Vorschäden“, so der Experte. Als neutraler Marktteilnehmer will Audatex AUTOonline jedoch nicht nur die Kalkulation effizienter gestalten, sondern alle Prozessschritte – und zwar für alle am Schadenprozess Beteiligten. So geschehen bereits bei BMW ProNET, einem neuen digitalen E-2-E-Schadenprozess, den das Berliner Softwareunternehmen entwickelt hat. Dieser sorge insgesamt für eine Effizienzsteigerung von über 60 Prozent von der Annahme bis zum Zahlungseingang. Und, so Peter Ballé, „durch mit dem Versicherer abgestimmte und hinterlegte Regeln im Freigabe- und Kalkulationsprozess braucht sich die Werkstatt hinterher keine Sorgen um Rechnungskürzungen machen.“
## „Akzeptanz für motum bei Versicherern gestärkt“ Fester Bestandteil des Messekongresses ist seit 2017 der Claims Rockstar Award. Hier stellen StartUps ihre Lösungen für digitales Schadenmanagement vor. RepairFix-CEO und Mitgründer Dr. Moritz Weltgen präsentierte hier die Werkstattsoftware für den digitalen Kundenservice, motum. Zwar schaffte es der Pitch nicht ins Finale, Moritz Weltgen blickte dennoch zufrieden auf den Besuch in Leipzig zurück: „Wir haben viele interessante Gespräche geführt und konnten ein weiteres Mal dazu beitragen, die Akzeptanz der Versicherer gegenüber der Anwendung von motum in den Werkstätten zu stärken.“ ## Vielfältiges Ausstellungsprogramm Laut Veranstalter waren 71 Aussteller zum 14. Messekongress nach Leipzig gekommen. Darunter das Werkstattnetzwerk Acoat Selected vom Lackhersteller AkzoNobel, das gemeinsam mit dem Schadenmanagementspezialisten carSN das erste standardisierte Reparaturnetzwerk für Caravan aufgebaut hat (siehe dazu Infobox links). Über seine Restwertbörse informierte das Unternehmen CARTV. Zudem waren neben Audatex AUTOonline und DAT auch DEKRA sowie der Autoglas-Spezialist junited AUTOGLAS auf dem Messekongress vertreten. Intelligent Repais Solutions Holding (IRSH) präsentierte sich auf dem diesjährigen Messestand in Leipzig erstmals gemeinsam mit seiner Smart-Repair-Abteilung Dent Wizard.
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