Gastkommentar zu Beilackierung: „Die Notwendigkeit ist nahezu durchgängig gegeben“

_Immer wieder wird die Notwendigkeit eines Farbangleichs nach einer teilweisen Neulackierung von Versicherern bestritten. Dabei bestätigen unzählige Gerichtsurteile – zuletzt eine Entscheidung des Oberlandesgericht München – die Erforderlichkeit der Beilackierung. In einem Gastkommentar fasst Rechtsanwalt Dr. Wolf-Henning Hammer von der ETL Kanzlei Voigt die aktuelle Rechtslage noch einmal zusammen._ Gäbe es eine Hitliste der Kürzungspositionen, die Kosten der Beilackierung würden bestimmt einen der vorderen Plätze belegen. Denn vergleichbar den Verbringungskosten – bei denen Versicherer und Prüfdienstleister immer wieder gerne behaupten, die Abholung der Fahrzeuge durch Lackierbetriebe erfolge üblicherweise kostenfrei – führt die Verweigerung des vollständigen Schadensausgleichs auch bei den Beilackierungskosten immer wieder vor Gericht. ## Die Grundsätze des Schadensrechts gelten auch für die Beilackierung Es gehört inzwischen schon fast zum Allgemeinwissen, dass Schäden vollständig zu beseitigen und der aus § 249 BGB folgende Grundsatz nach wie vor gilt, dass die Schädiger – bzw. deren Versicherer – die notwendigen Kosten zu erstatten haben (ausführlich: AG Brandenburg, Urt. v. 08.01.2016, Az. 31 C 111/15). Bei gesetzeskonformer Regulierungspraxis müsste daher kein Geschädigter um sein Recht kämpfen. Dass es sich hierbei um Wunschdenken handelt, hat indes neuerlich ein Verfahren vor dem OLG München (Az. 10 U 6761/19 v. 24.03.2021) belegt, bei dem es auch um die Erstattung der Kosten einer notwendigen Beilackierung ging. Denn obgleich sich das LG München I (Az. 14 O 4181/19, v. 25.10.2019) bereits ausführlich mit der Sache befasst hatte und die Beilackierung einer Tür durch das Sachverständigengutachten als erforderlich attestiert wurde, wollte der Versicherer dennoch nicht vollständig entschädigen und ging in Berufung. ## Auf die Farbe kommt es an Das OLG München vertritt zwar die Ansicht, dass eine Beilackierung „zwar nicht der unmittelbaren Beseitigung des Unfallschadens dient.“ Es konkretisiert dies aber dahingehend, dass eine Beilackierung „dann zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands erforderlich (ist), wenn auch aufgrund der teilweisen Neulackierung von beschädigten Teilen eine Farbangleichung von nicht durch den Schaden selbst betroffenen angrenzenden Fahrzeugteilen notwendig wird“ (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 28.03.2017, Az. 26 U 72/16). Und diese Notwendigkeit ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nahezu durchgängig gegeben. Die Aussage, wonach eine die Beilackierung nicht beschädigter Fahrzeugteile lediglich optischen Zwecken diene und mit der Beseitigung des Schadens nichts zu tun habe, mag aus Sicht des Schädigers durchaus charmant erscheinen. Sie übersieht aber, dass reparaturbedingte Farbunterschiede – insbesondere bei hochpreisigen Fahrzeugen – den Wert negativ beeinflussen (vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 27.09.2012, Az.: 2/23 O 99/12) und die Rechtsprechung eben nicht nur den Ersatz beschädigter Fahrzeugteile, sondern eben auch die Beilackierung ausdrücklich als Teil
der Beseitigung des durch den Unfall verursachten Schadens einstuft (AG Lübeck, Urt. v. 09.11.2020, Az. 26 C 759/19, m.w.N.). ## Die Qualität entscheidet Wer daran zweifelt, sei auf S. 11 des IFL-Merkblatts Beilackierung, 2. Aufl. 2017 verwiesen. Dort heißt es, dass Kunden ein Ergebnis erwarten dürfen, dass Farbtonunterschiede unsichtbar macht und die Qualität der Reparaturarbeit eben primär gemessen wird. Hinzu kommt, dass es „angesichts der immer komplizierteren Farbtöne moderner Autolacke .... für den Lackierfachmann gerade bei aktuellen Farbtönen nahezu unmöglich (ist), den ausreichend genauem Farbton einer Reparaturlackierung zu treffen.“ Betroffen sind daher nicht nur Fahrzeuge mit Metalliclackierung oder Brillanteffekt, auch wenn dies hier unmittelbar einleuchtet (s.a. LG Saarbrücken, Urt. v. 07.06.2019, Az. 13 S 50/19; AG Bonn, Urt. v. 18.05.2018, Az. 111 C 25/18; LG Aachen, Urt. v. 13.09.2017, Az. 8 O 451/16; AG Fulda, Urt. v. 29.09.2016, 32 C 214/15). Zudem wird gerne übersehen, dass sich die Uni-Lackierungen eben nicht nur auf RAL-Farbtöne beschränken und auch eingefärbte Klarlacke keine Seltenheit mehr sind. ## Absolute Gewissheit ist nicht erforderlich! Es konnte daher auch nicht weiter verwundern, dass der BGH in einem Urteil vom 17.09.2019 (Az. VI ZR 396/18) unmissverständlich klarstellte, dass die Feststellung der Notwendigkeit einer Beilackierung keine absolute Gewissheit erfordere. Ausreichend sei vielmehr bereits eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Dass diese bei ca. 40.000 marktgängigen Farbtönen und Nuancen naheliegt, ist nachvollziehbar und die Behauptung, wonach sich die Erforderlichkeit einer Beilackierung erst nach durchgeführter Reparatur sicher beurteilen ließe, dürfte damit ins Leere gehen. Abgesehen davon spricht der Umstand, dass Farbunterschiede auch dann auftreten können, wenn Bauteile herstellerseitig lackiert bzw. eingefärbt ausgeliefert werden (Saarländisches OLG, Urt. v. 08.05.2014, Az.: 4 U 61/13), eher für die Notwendigkeit einer Beilackierung als dagegen. ## Die Erstattungspflicht gilt auch bei fiktiver Abrechnung! Zur Erstattungsfähigkeit bei fiktiver Abrechnung rekurriert das OLG-München auf die Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von sog. UPE-Aufschlägen. Der Grundsatz, dass auch bei einer fiktiven Abrechnung die Kosten für Maßnahmen zu erstatten sind, die zur sach- und fachgerechten Reparatur erforderlich sind (25.09.2018, Az. VI ZR 65/18; LG Düsseldorf, Urt. v. 31.08.2011, Az. 2b O 25/11), gilt auch für die Beilackierung (ausführlich: AG Rheine, Urt. v. 31.08.2020, Az. 10 C 30/20). Das Urteil des OLG München hat daran nichts geändert.
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