2020-05-13T12:53:24+0000

Allianz lässt Kosten für Corona Schutzmaßnahmen streichen

Der Vorgang passt so gar nicht in die aktuelle Lage und die Maßnahmen der Corona-Krise in Deutschland. Während die Republik auf Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen setzt und damit offenbar erfolgreich die Pandemie eingrenzt, lässt die Allianz Versicherung die Kosten für notwendige Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen von Fahrzeugen der Versicherungsnehmer aus den Werkstattrechnungen streichen. Damit beauftragt ist der Langenfelder Prüfdienstleister Control Expert, an dem der Kfz-Versicherer seit März dieses Jahres mehrheitlich beteiligt ist. ## Control Expert: Waschen der Hände übervorsorglich, Ansteckung unwahrscheinlich In mehreren der Redaktion vorliegenden Prüfberichten, die Control Expert für die Allianz durchführte, sieht der Prüfdienstleister besondere Hygienemaßnahmen während der Corona-Pandemie für nicht erforderlich. In einem Prüfbericht heißt es: „Die geltend gemachten Desinfektionskosten stellen keine erforderlichen Kosten iSd § 249 BGB dar und werden nicht erstattet. Eine Ansteckung durch Oberflächenkontakt halten Virologen für extrem unwahrscheinlich und empfehlen übervorsorglich das Waschen der Hände.“ ## Auffassung von Prüfdienstleister und Allianz „falsch und unverantwortlich“ Die Begründung von Control Expert, die im Prüfbericht für die Allianz Versicherung verwendet wird, basiert auf nicht näher genannten Annahmen von Virologen. Diese geäußerte Meinung teilen die Experten des Robert Koch Instituts nicht. [Dort ist in den aktuellen Informationen zum Coronavirus nachzulesen: „Eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen ist insbesondere in der unmittelbaren Umgebung des Infizierten nicht auszuschließen.“](https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText1) Auch Rechtsanwalt Henning Hamann hält die Argumentation für fadenscheinig: „Laut einer im The New England Journal of Medicine veröffentlichten Studie konnte Covid-19 auf Plastik 72 Stunden und auf Edelstahl 48 Stunden nachgewiesen werden“, erklärt der Geschäftsführer der ETL Kanzlei Voigt gegenüber schaden.news und meint weiter: „Die Auffassung der Allianz ist in meinen Augen also nicht nur falsch, sondern auch unverantwortlich. Wenn eine ohnehin von der Krise in der Existenz bedrohte Werkstatt sich nun an behördliche Empfehlungen hält und zusätzlichen Aufwand betreibt, um die eigenen Mitarbeiter und Kunden vor einer Infektion zu schützen und damit einen Beitrag dazu leistet, dass die Infektion sich weniger stark verbreitet, dann kann man über die von Control Expert kommunizierte Begründung der Allianz eigentlich nur den Kopf schütteln.“ ## Allianz: „Eine Desinfektion verhindert keinen Unfall und ein Unfall kann auch nicht die Ursache für Corona sein“ Fast zynisch anmuten muss ein Schreiben aus der Sachschaden Abteilung der Allianz Versicherung, das der Redaktion ebenfalls vorliegt. Dort heißt es zur Begründung der Kürzung: „Eine Desinfektion verhindert keinen Unfall und ein Unfall kann auch nicht die Ursache für Corona sein.“ Der Aufwand müsste bereits in den Gemeinkosten enthalten sein, heißt es aus der Allianz Abteilung. Zitat: „Ein vergleichbares Beispiel ist das Tragen von Sicherheitsschuhen zum eigenen Schutz während der Reparatur. Auch dies wird nicht gesondert geltend gemacht.“ In der Schadenwelt lösen solche Formulierungen
Kopfschütteln aus und lassen Zweifel an der „Zurechnungsfähigkeit einer Versicherung“ laut werden, wie ein Gesprächspartner von schaden.news das Verhalten nannte. Auch der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes Karosserie- und Fahrzeugtechnik kritisiert das Vorgehen der Versicherung in einer Stellungnahme scharf: „Durch zweifelhafte Geschäftspraktiken einer sich ständig im und manchmal auch jenseits des Graubereichs bewegenden Firma, die nun zur Allianz-Gruppe gehört, fällt wieder einmal das Langenfelder Unternehmen Control Expert mit einer weiteren Posse bei unseren Mitgliedsbetrieben auf.“ Auch hier zeigt sich nach Meinung von Thomas Aukamm, dass Control Expert mindestens genauso viel Sachverstand in der Virologie wie in der Kraftfahrzeugtechnik habe. „Diese Rechnungsposition mit der dargelegten Begründung zu kürzen, ist unverschämt und zeigt die verantwortungslose Inkompetenz von Control Expert. Wir ermutigen und unterstützen unsere Mitgliedsbetriebe, hiergegen juristisch vorzugehen.“ ## Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen absolut erforderlich zur Risikovermeidung Rechtsanwalt Henning Hamann sieht es vor dem Hintergrund der Ernsthaftigkeit der COVID-19 Erkrankung und der bislang bekannten Infektionswege und Empfehlungen als absolut erforderlich an, jedes Risiko zu vermeiden. Daraus leitet er ab, „Kundenfahrzeuge sowohl vor der Hereinnahme, als auch vor der Rückgabe an den Kunden zu desinfizieren. Das deckt sich auch mit allen behördlichen Vorgaben zur unbedingten Risikovermeidung in alle geschäftlichen und privaten Bereichen des Lebens.“ Auch auf die Auffassung von Control Expert und der Allianz, die Aufwendungen für Corona-Schutzmaßnahmen wären bereits in den Gemeinkosten enthalten, geht der Geschäftsführer der Kanzlei Voigt ein: „Die dafür entstehenden Kosten sind selbstverständlich nicht in den Allgemeinkosten enthalten, was allein dadurch sichtbar wird, wenn man sich ansieht, zu welchen Kosten derzeit Desinfektionsmittel, Schutzmasken, etc. zu erhalten sind.“ ## Allianz misst mit zweierlei Maß Auf Nachfrage von schaden.news hat Dominik Hertel, Leiter Kraftschaden der Allianz Versicherung und SPN-Geschäftsführer Stellung bezogen. [Die Redaktion wollte vor allem wissen, warum SPN-Partnerwerkstätten eine Desinfektions- und Reinigungspauschale in Höhe von 25 Euro erhalten während in anderen Fällen die Desinfektion als nicht notwendig dargestellt und gekürzt wird. Darüber hatte schaden.news Anfang April berichtet.](https://www.schaden.news/de/article/link/41604/kundenverhalten-aendert-sich-in-der-krise) In dem aktuellen Statement von Dominik Hertel heißt es: „Meine Aussagen zu einer zusätzlichen Übernahme einer Desinfektions- und Reinigungspauschale bezog sich ausschließlich auf die Abrechnung bei SPN-Partnerwerkstätten. Bei einer Vermittlung eines Reparaturauftrages durch die SPN werden diese Kosten auch übernommen.“ Aber nicht alle Schadenfälle der Allianz würden über die Partnerwerkstätten der SPN abgewickelt. „In vielen Fällen wählt der Kunde oder der Geschädigte eine Reparaturwerkstatt seiner Wahl. In diesem Falle erfolgt die Rechnungsprüfung nicht im Rahmen der SPN-Beauftragung und der damit verbundenen Zusagen. Die Desinfektions- und Reinigungsmaßnahmen werden infolgedessen nach Sach- und Rechtslage abgerechnet.“ ## Wer trägt die Verantwortung im Falle einer Ansteckung? Dass gerade ein Versicherer so fahrlässig mit dem Thema COVID-19 umgeht, wirft vor allem die Frage auf, wer denn eigentlich die Verantwortung im Falle einer Ansteckung trägt, wenn ein Fahrzeug nach Auffassung der Allianz nicht desinfiziert wird? Henning Hamann meint: „Man sollte die Allianz dazu auffordern, eine Haftungsfreistellung für jegliche Folgen einer etwaigen Infektion zu erteilen. Das wird man vermutlich nicht machen wollen.“
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