2018-11-22T05:05:54+0000

Kfz-Versicherer auf der Suche nach Strategien

Die Veränderungen im Schadenmarkt nehmen weiter kräftig Fahrt auf. Big Data, Connected Drive, Telematik oder eine sich grundlegend verändernde Pkw-Halterstruktur – die Versicherungswirtschaft scheint vor einer Vielzahl von Herausforderungen zu stehen, die auch direkten Einfluss auf die Werkstattwelt haben. Schaden-Chefs führender Kfz-Versicherer diskutierten beim BusinessForum 21 in Köln die Weiterentwicklung des aktiven Schadenmanagements. Unter den Teilnehmern waren auch Werkstattketten wie ATU oder Fix Auto Deutschland, der Prüfdienstleister ControlExpert, Schadensteuerer wie Innovation Group oder das Flottenkonzept Car-to-Go. ## Engpässe bei Reparaturkapazität Die Branche geht in Zukunft vor allem von einem Rückgang der Unfallschäden aus. Eine Entwicklung, die zumindest für die aktuelle Situation im gesteuerten Schadengeschäft wohl eher nicht zutrifft. Thomas Geck, Leiter Schaden Prozessmanagement HUK-Coburg, stellte in Köln erstmals öffentlich fest: „Der Werkstattmarkt hat sich gedreht. Wir haben Engpässe bei den Reparaturkapazitäten in den Partnerwerkstätten aufgrund des
Fachkräftemangels und steigender Steuerungsquoten.“ Im Jahr 2017 haben die Coburger rund 540.000 Schadenfälle in ihr Werkstattnetz gelenkt. Dazu zählen sowohl Karosserie- und Lackreparaturen sowie Glasschäden. Zum schwerwiegendsten Problem der Branche mit starker Bremskraft in der Schadensteuerung entwickle sich der Fachkräftemangel, hieß es in Köln. Thomas Geck kündigte an, dass sich die HUK-Coburg hier künftig stärker im Interesse der Betriebe engagieren wolle, um dem Fehlen qualifizierter Mitarbeiter entgegen zu wirken. ## Wo liegen für die HUK-Coburg die Herausforderungen der Zukunft? Für Werkstätten und Netzbetreiber sieht der Schaden-Chef zudem große Herausforderungen im Umgang mit der Digitalisierung, neuen fahrzeugtechnischen Entwicklungen und bei der wachsenden Reparaturkomplexität. Er formulierte einen klaren Anspruch: „Auch in Zukunft müssen 95 Prozent aller Schäden in unseren freien Partnerwerkstätten repariert werden können.“ Die Betriebe müssten hierzu in ihre Elektronik-Kompetenz, das Know-how ihrer Mitarbeiter und in eine moderne Werkstattausrüstung investieren. Die HUK-Coburg sei bereit, hierfür die Rahmenbedingungen zu schaffen. ## Streit um Weiterberechnung der Lackmaterialkosten Zu einem offenen Schlagabtausch kam es während der Veranstaltung in Köln
zwischen BVdP-Geschäftsführer Robert Paintinger und Thomas Geck. In seinem Vortrag betonte der Schaden-Chef, dass die Betriebe auch künftig über ausreichend Investitionskraft verfügen müssten, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. Eine Weiterberechnung der Lackmaterialkosten lehnte Thomas Geck jedoch weiterhin ab. Robert Paintinger forderte die HUK-Coburg öffentlich auf, in diesem Punkt auf die Betriebe zu zugehen, damit die Partnerwerkstätten eine ausreichende Rendite erwirtschaften könnten. Thomas Geck konterte: „Es wird künftig in den Betrieben keine zweistelligen Renditen mehr geben.“ ## Selektierung beim Routing von Schäden und Online-Buchung von Werkstattterminen Gerade in Bezug auf digitale Schadenprozesse sieht Thomas Geck die HUK-Coburg nach wie vor als Vorreiter. „Wir haben immer sehr frühzeitig auf neue Herausforderungen reagiert, sei es mit Kasko-Select im Jahr 2016 oder bei der Einführung der elektronischen Kommunikation im Jahr 2012.“ Daher entwickle man in Coburg die elektronische Schadenakte weiter. „Schon heute verfügen Partnerwerkstätten wie Markenbetriebe über Kundendaten, Schadenumfang oder VIN als strukturierten Datensatz in dem Managementsystem – das sorgt für eine deutliche Optimierung der Schadenbearbeitung.“ Künftig sieht Thomas Geck die Aufgabe des Kfz-Versicherers vor allem darin, den gesamten Prozess von der Schadenannahme bei der HUK bis hin zur
Werkstatt komplett durchgängig ohne Brüche zu digitalisieren. Dazu gehört für ihn auch die Online-Buchung von Werkstattterminen oder die „Selektierung von Schäden beim Routing in die Werkstatt“, je nach benötigter Reparaturkompetenz. ## Angespannte Lage in der Werkstattwelt Dass sich die wirtschaftliche Lage der Fachbetriebe negativ entwickelt, davon zeigte sich ZKF-Hauptgeschäftsführer Thomas Aukamm überzeugt. „Auf der einen Seite werden die Herausforderungen zahlreicher und die Reparatur immer komplexer. Andererseits geht die Rendite in den Betrieben seit Jahren zurück und Fachkräfte wie auch Auszubildende fehlen.“ Selbstkritisch fügte Thomas Aukamm jedoch hinzu: „Unsere Branche hat zu lange zu wenig bezahlt, gerade bei der Ausbildungsvergütung.“ So sei der Karosseriebauer nun einer der am schlechtesten vergüteten Autoberufe. Auch bei den Meisterprüfungen sei die Zahl der Absolventen deutlich rückläufig. Das gleiche Bild zeige sich bei der Betriebsnachfolge. Stichwort technische Entwicklung: Der Zentralverband geht für die nächsten Jahre davon aus, dass Strukturschäden an Fahrzeugen weiter zurückgehen. Aufgrund der rasant steigenden Ersatzteilpreise würden auch die Totalschäden weiter zunehmen. Die Reparaturkosten würden bis zum Jahr 2030 um 15 Prozent steigen, der Grund dafür sei die immer aufwändigere Instandsetzung.
Deutliche Kritik übte Thomas Aukamm auf der Konferenz in Köln an willkürlichen Rechnungskürzungen von Prüfdienstleistern und Versicherern. „Wer fordert, dass die Betriebe in moderne Werkstattausrüstung investieren und sich den Herausforderungen der Zukunft stellen sollen, der muss auch akzeptieren, dass die Werkstätten eine ausreichende Rendite erwirtschaften.“ Dies gelte auch für die Ersatzteilmarge, die die Betriebe benötigen, um ihre Kostenstruktur zu stabilisieren. ## Schlechte Konditionen im Schadenmanagement? Auch für BVdP-Geschäftsführer Robert Paintinger entwickelt sich die wirtschaftliche Situation der Partnerwerkstätten eher negativ. „Die Arbeitskosten sind in den letzten Jahren explodiert und die Gesamtkosten doppelt so stark gestiegen wie die Stundenverrechnungssätze.“ Das hätte bei vielen Betrieben Spuren hinterlassen. Nach Angaben des Bundesverbandes der Partnerwerkstätten (BVdP) ist die Betriebsleistungseffizienz in den Partnerwerkstätten immer deutlicher gesunken. Die Folge: „Immer weniger Betriebe können von ihrer handwerklichen Arbeit leben.“ Der BVdP-Geschäftsführer zeigt konkret auf, welche Auswirkungen die Situation auf die Investitionsfähigkeit der Unternehmen habe. „Wir brauchen höhere Stundensätze, um Ausbildungskampagnen, höhere Löhne für Mitarbeiter und neue Werkstattausrüstung wie das Mehrmarkendiagnosegerät EuroDFT zu finanzieren.“ ## Neue Wege und mehr Marketing für die Schadensteuerung Robert Paintinger stellte aber auch neue Entwicklungen vor, die das kooperative
Schadenmanagement weiter voranbringen soll. [Mit der Prüfung der Schadenkalkulation durch QualiCheck](https://schaden.news/de/article/link/40827/rendite-thema-bei-themenforum-in-leipzig) leiste der BVdP und die Partnerwerkstätten einen wichtigen Beitrag, um die Prozesse der Schadenregulierung zu erleichtern und zu beschleunigen. Robert Paintinger: „Wir bieten mit QualiCheck die sichere Wahl des wirtschaftlichsten Reparaturweges, eine schnellere Abwicklung des Reparaturauftrages und einen vollständig digitalen Prozess für mehr Effizienz.“ Perspektivisch könne durch QualiCheck die Prüfung bei Versicherern oder durch externe Prüfdienstleister entfallen. Zum Hintergrund: Der BVdP bietet einem Teil seiner Mitgliedsbetriebe seit diesem Jahr eine Kostenvoranschlagsprüfung durch ClaimsControlling an. Die Schadenkalkulation wird fachlich geprüft und die mit dem Steuerer vereinbarten Konditionen gecheckt. Erst nach positiver Prüfung leitet der Betrieb die Schadenkalkulation an den Versicherer oder Steuerer weiter. Dass der Bundesverband und die Partnerwerkstätten der Schadensteuerung sehr positiv gegenüber stehen, zeigt Robert Paintinger anhand [der neuen Marke m.o.r.e.](https://schaden.news/de/article/link/39753/bvdp-wir-staerken-das-kooperative-schadenmanagement) „Wir haben ein Marketingkonzept entwickelt, das die positiven Seiten des Schadenmanagements für den Kunden deutlich hervorheben soll“, erklärte der BVdP-Geschäftsführer. Ein Konzept, das bei den Kfz-Versicherern gut ankam. ## Positionsbestimmung der Versicherer
In Köln war der Umbruch in der Versicherungswirtschaft deutlich spürbar. Viele Zeichen stehen auf Veränderung. Allerdings ist die Richtung (noch) nicht klar. Fest steht: In den nächsten Jahren setzen die Versicherer verstärkt auf digitale Prozesse. Werkstätten müssen sich darauf einrichten. Auch die Werkstattausrüstung und das Know-how dürften künftig entscheidend dafür sein, welche Schäden die Betriebe zugesteuert bekommen. Innovation Group wird das Routing Stück für Stück ab dem kommenden Jahr über die Leistungsbausteine forcieren, die HUK-Coburg erwähnte das Selektieren von Reparaturaufträgen bei der Zusteuerung in Betriebe beim BusinessForum 21 nur zwischen den Zeilen. Am Rande der Veranstaltung war aber deutlich zu hören, dass die Coburger sehr stark auf digitale Lösungen wie zum Beispiel die Online-Terminvereinbarungen für Werkstattbesuche setzen. Viel scheint in der Schadenwelt in den nächsten Jahren auf den Kopf gestellt zu werden.