2025-11-05T12:43:26+0000

Wie dreht sich die Schadenwelt der Allianz, Herr Artz?

_Die Allianz Versicherung hat sich in den letzten drei Jahren zum Motor der Veränderung im Schadenmarkt entwickelt. Doch wie geht es nach den Übernahmen von Innovation Group, GT Motive und Control Expert nun weiter? Im exklusiven Interview mit schaden.news spricht Stefan Artz, Leiter Kraftfahrt-Schaden der Allianz, über künftige Entwicklungen, gemeinsame Ziele von Versicherern und Werkstätten und den weiteren Umgang mit gebrauchten Ersatzteilen._ ___Herr Artz, in den vergangenen Monaten gingen die Unfallzahlen und damit auch die Auslastung in den Reparaturfachbetrieben zurück. Wie blicken Sie auf die aktuelle Situation im Schadenmarkt?___ __Stefan Artz:__ Wir sehen ein Schadenjahr mit vergleichsweise niedrigen Elementarschäden. Bisher hat es kaum gehagelt. Warten wir aber ab, was noch bis Ende des Jahres passieren kann. Ich gehe aber schon davon aus, dass sich an dem Trend nichts mehr ändern wird. Was die Unfallschäden in der Kasko- und Haftpflichtversicherung angeht, sehen wir keinen solchen Rückgang. Wir bewegen uns in dem Rahmen, den wir erwartet haben – aber auch nicht mehr. Also wird es, was die Frequenz und Reparaturvolumen betrifft, wohl eher ein ruhiges Jahr. Was die Schäden allerdings nicht günstiger macht. ___Sie sprechen die Reparaturkosten an. Wo sehen Sie die Steigerungen und wie geht die Allianz damit um?___ __Stefan Artz:__ Wir haben die Schaden-Kosten-Quote ganz gut im Griff. Das heißt aber nicht, dass die Entwicklung gut ist. Wir sehen schon einen anhaltenden Trend in den Preissteigerungen der vergangenen Jahre. Das hat schließlich dazu geführt, dass insgesamt in der Branche ein hoher Bedarf bestanden hat, die Kfz-Versicherungsprämien den steigenden Reparaturkosten anzupassen. Jetzt sehen wir in diesem Jahr eine weitere Steigerung. Damit meine ich konkret die anhaltenden Steigerungen bei den Stundensätzen der Werkstätten, den Ersatzteilen aber auch beim Lackmaterial. Das alles zusammen macht die Lage aus dem Blickwinkel der Kfz-Versicherung nicht einfacher. Fazit: Wenn die Frequenz der Unfallschäden gleichbleibt, aber die Schadenkosten steigen, ist das unterm Strich für die Kfz-Versicherer und Kundinnen und Kunden keine gute Entwicklung. ___Jetzt gibt es mehrere Stellschrauben, um an der Reduzierung der Kosten zu drehen. Zum einen steuern Sie verstärkt in das Werkstattnetz des von der Allianz übernommenen Schadensteuerers Innovation Group, zum anderen Beschleunigen Sie die fiktive Abrechnung. Über ihren Schadenprozess mit KI zahlen Sie bei der fiktiven Abrechnung Reparaturkostenersatz von bis zu 2.000 Euro innerhalb von 24 Stunden aus. Das System ist zudem in der Lage nach freien Kapazitäten in Partnerwerkstätten zu suchen und kann ermitteln, ob Ersatzteile verfügbar sind. Die Allianz ist bei dem Thema Einsatz von KI schon sehr weit.___ __Stefan Artz:__ Ja, tatsächlich treiben wir seit Jahren die Digitalisierung von Schadenprozessen, wie Sie richtig beschreiben, mit aller Kraft voran. Ich glaube schon, dass wir als Allianz sehr weit vorne sind. Sie sind jetzt über die Kostenreduzierung eingestiegen, die zwar auch immer wichtig ist. Viel wichtiger ist für uns aber, dass sowohl
in Kasko als auch in Haftpflicht für unsere Kunden und die Geschädigten transparent, schnell und nachvollziehbar ein sehr guter Service geboten wird. Warum ist das so wichtig? Unser oberstes Kriterium muss sein, dass wir Kunden und Geschädigte begeistern. Nur dann können wir erfolgreich sein, Policen-Treue erreichen und neue Versicherungsnehmer gewinnen. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir nur mit einer klaren Fokussierung auf die Begeisterung unserer Kunden, mit den passenden Prozessen und den richtigen Partnern ein Gesamtsystem zur Verfügung stellen, das Kundenzufriedenheit schafft und gleichermaßen ökonomische Stabilität. Deshalb glauben wir, dass wir damit gerade aus der Kunden- und Geschädigtenperspektive schon sehr viele und sehr gute Ansätze haben, die auch technisch exzellent und fortschrittlich umgesetzt werden. ___Wenn man sich Ihre Herangehensweise vor dem Hintergrund der Übernahmen der letzten Jahre von Control Expert über GT Motive bis hin zu Innovation Group anschaut, dann ist das letztendlich diese Umsetzung der Strategie, die Sie beschreiben. Anders ausgedrückt: Täuscht der Eindruck oder schafft sich die Allianz gerade ihr ganz eigenes Schadenuniversum aus dem die Kunden gar nicht mehr aussteigen können?___ __Stefan Artz:__ Ich würde eine andere Formulierung wählen. Wir erkennen, dass Menschen zunehmend mehr Lösungen suchen, die nicht sequenziell sind. Was meine ich damit? Früher wurde der Schaden an der einen Stelle gemeldet, der Mietwagen an einer anderen Stelle gebucht, die Werkstatt hat repariert und am Ende hat die Versicherung gezahlt. Das war sehr sequenziell. Wir entwickeln uns nun im Kontext von digitalen Lösungen immer mehr in die Richtung, dass die Menschen darauf vertrauen, dass ihr Gesamtanliegen von einer Stelle gelöst wird. Das gilt besonders für die Schadenregulierung. Die Allianz will also alle Möglichkeiten mit der gleichen Zuverlässigkeit bieten, mit dem gleich hohen Service-Erlebnis und mit der gleich hohen technischen Qualität. Im Sinne eines integrierten Serviceanliegens ist Ihre Formulierung richtig. Wir wollen die Menschen begeistern und wenn wir gut sind, müssen wir uns auch keine Sorgen machen, dass die Menschen unser Gesamtsystem verlassen. ___Aus dem Blickwinkel der Werkstätten sieht das Schadenuniversum der Allianz ein bisschen anders aus. Hier wird viel über die Marktmacht der Allianz diskutiert. Nach der Übernahme des Schadenschutzverbandes SSV kommen 1.200 weitere Werkstätten zu dem ohnehin schon von der Allianz gekauften Werkstattnetz von Innovation Group hinzu. Im Markt wird es für Betriebe in der Schadensteuerung schon enger. Bis hin zur Frage, ob in Zukunft nur noch mit GT Motive-Daten kalkuliert werden darf.___ __Stefan Artz:__ Also ganz klar: Als Allianz Versicherungs-AG sind wir nur Kunde der Innovation Group. Deswegen kann ich in meiner Funktion zu diesen Themen keine Stellungnahme abgeben. Ich will Ihnen aber meine grundsätzliche Erwartungshaltung als Kunde gegenüber Werkstattnetzen darlegen, egal ob es sich dabei um Innovation Group oder ein anderes Werkstattnetz handelt. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Konsolidierung in den technischen Schadenabwicklungsstandards dem gesamten deutschen Schadenmarkt sehr gut tun würde – auf einer technischen Ebene. Heute bedient die Werkstatt verschiedenste Kunden vom Kfz-Versicherer bis hin zu Flotten und Leasing, mit ganz verschiedenen Prozessen. Das hat sich in letzten Jahren durch Digitalisierung, durch Harmonisierung über Schnittstellen verbessert, bleibt aber
aufwändig. Meiner Meinung nach ist es sinnvoll, in größeren Skalen und Standards zu denken. Wenn sich alle Kundengruppen der Werkstatt an einheitliche Standards über eine Plattform halten müssen, wie im Netz von Innovation Group, dann hilft das allen dort angeschlossenen Versicherern und den Kooperationsbetrieben – und am Ende auch den Kundinnen und Kunden . Denn so werden Prozesse verlässlich und transparent beschleunigt. ___Einheitliche Standards bedeutet dann künftig auch, dass eben nur noch mit der Software der Allianz Tochter GT Motive kalkuliert wird?___ __Stefan Artz:__ GT Motive ist eine dritte Kalkulationssoftware neben den beiden großen Anbietern. Historisch gesehen hat die eine Werkstattgruppe eher mit DAT, die andere mit Audatex die Reparaturkosten kalkuliert. Wenn es jetzt einen dritten Anbieter gibt, der das mindestens genauso gut oder vielleicht besser kann, warum nicht? Unsere Erwartung an die Innovation Group und auch an die anderen Netzbetreiber, mit denen wir zusammenarbeiten ist, dass die Prozesse für die Werkstatt handelbar sein müssen. ___Ich muss noch einmal auf die Marktmacht der Allianz zu sprechen kommen. Control Expert, GT Motive, Innovation Group, jetzt noch das Werkstattnetz der HDI-Versicherung. Das ist schon viel Power in einer Hand, die in den letzten vier Jahren durch eine Kaufstrategie entstanden ist.___ __Stefan Artz:__ Ich würde es deutlich anders einordnen. Sie haben von Innovation Group gesprochen, von GT Motive und von Control Expert. Ja, das sind Konzernunternehmen der Allianz Gruppe, das stimmt. Alle diese drittmarktorientierten Unternehmen bieten Lösungen für den gesamten Schadenmarkt an. Nehmen wir das Beispiel Innovation Group, wenn wir über Schadensteuerung sprechen: Wir als Allianz Versicherung, einer der Auftraggeber, sind vielleicht einer der größten Kunden, gemessen am Marktanteil, aber deswegen habe ich nicht mehr oder weniger Einfluss darauf, was eine Solvd oder Innovation Group strategisch unternehmen. Das heißt im Klartext: Es wird kein geschlossenes Ökosystem Allianz gebaut, an dem dann niemand anders teilnehmen können, sondern es gibt Marktlösungen, die alle nutzen können. Diese Marktlösungen können auch nur erfolgreich funktionieren, wenn dort ausreichend Reparaturvolumen von ausreichend vielen Marktteilnehmern abgewickelt wird. Ich denke, das ist noch einmal ganz wichtig zu betonen. ___Blicken wir auf eher operative Themen, die in der Reparaturbranche in diesem Jahr diskutiert und auch von der Allianz maßgeblich angestoßen wurden. Den Kfz-Versicherern sind die hohen Ersatzteilpreise ein Dorn im Auge. Sie haben die Verwendung von gebrauchten Karosserieersatzteilen vorangetrieben. Wie gehen Sie mit dem Thema weiter um?___ __Stefan Artz:__ Wir sind davon überzeugt, dass die Gebrauchteile ein wichtiger und sinnvoller Einsatz in der Unfallschadenreparatur sein können. Hier haben wir ganz wesentliche Qualitätskriterien erarbeitet, die belastbar sind. Zudem gibt es funktionierende Lieferstrukturen. Aber lassen Sie mich noch eins voranschicken: Gerade das Thema Instandsetzen vor Erneuern ist uns noch wichtiger. Da treffen sich unsere Interessen mit denen der Werkstatt. Schließlich ist diese Reparaturmethode
wirtschaftlicher für beide Seiten und eben auch nachhaltiger. Zum Thema Gebrauchtteile: Dort wo passende gebrauchte Karosserieteile für Fahrzeugmodelle verfügbar sind, werden bei der Unfallschadenreparatur Kundinnen und Kunden angesprochen. Wenn diese zustimmen, dann reparieren wir mit gebrauchten Teilen. Wir sehen grundsätzliche Bereitschaft bei den Autofahrerinnen und Autofahrern dafür. Allerdings sehen wir, dass das Ansprechen der Versicherten durch die Werkstatt schwierig ist. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die aufgeregte Diskussion der letzten Monate in unserer Branche, die zu Verunsicherung geführt hat. Natürlich spielen aber auch Themen wie Teileverfügbarkeit, Verlässlichkeit in der Lieferkette und Kostenübernahme bei Aufbereitung von Gebrauchtteilen eine Rolle. An all diesen Bereichen arbeiten wir weiter. Wir brauchen jetzt eine gemeinsame Sicht von Versicherern und Werkstätten auf die Qualitätskriterien. Denn grundsätzlich funktioniert das System. Das Thema wird richtig Fahrt aufnehmen, wenn die Reparatur mit Gebrauchtteilen über die Werkstattnetze der Schadensteuerung gespielt wird. Ob es irgendwann eine gesetzliche Regulierung geben wird, werden wir sehen. Also, wir müssen uns über Standards verständigen, gemeinsame Regeln vereinbaren und die Sorge davor nehmen, dass eine Reparatur mit gebrauchten Ersatzteilen zu finanziellen Nachteilen in den Betrieben führen. ___Ist denn eine grüne Kfz-Police in Planung, die die Reparatur mit gebrauchten Ersatzteilen oder aber auch das Prinzip Instandsetzen vor Erneuern umfasst?___ __Stefan Artz:__ Eine grüne Kfz-Police ist natürlich grundsätzlich denkbar. Allerdings brauchen Sie dafür verlässliche Rahmenbedingungen, wie die permanente Verfügbarkeit von gebrauchten Ersatzteilen. So weit sind wir jedoch noch nicht. Wie schon erwähnt, müssen wir gemeinsam weiter an dem Thema arbeiten. Bis zu einer solchen Police ist es noch ein weiter Weg. Wir kommen, wie gesagt, schneller an dieses Ziel, wenn wir gemeinsam handeln und chancenorientierter diskutieren als in der Vergangenheit. ___Wie sieht es bei der Allianz mit der Verwendung von IAM-Teilen aus?___ __Stefan Artz:__ Den Einsatz von IAM-Teilen verfolgen wir derzeit nicht. Hier fehlen uns eben diese klaren Qualitätskriterien, die wir bei den gebrauchten Originalersatzteilen haben. Anders sieht es zum Beispiel bei Scheinwerfern aus, wenn dort OES-Teile in der Schadenreparatur verbaut werden können, dann wird dies auch im Rahmen der Instandsetzung in unserem Werkstattnetz von Innovation Group erfolgen. ___Das letzte Thema, das ich ansprechen will, liegt etwas mehr als ein Jahr zurück. Beim Schadentalk während der Automechanika in Frankfurt im September 2024 sagten Sie: „Das Ziel muss sein, dass wir möglichst schlanke Prozesse haben, die wenig Reklamationen mit sich bringen und die insbesondere nicht davon geprägt sind, den letzten Euro zu bekommen oder nicht zu bezahlen. Damit haben wir in den letzten 10 bis 15 Jahren einiges übertrieben.“ Es gibt Kritik daran, dass sich bei der Allianz in diesem Punkt bisher nichts geändert hat.___ __Stefan Artz:__ Das Thema hat sich tatsächlich nicht so verbessert, wie ich es mir selbst auf die Fahne geschrieben habe. ZKF-Präsident Arndt Hürter hat in den vergangenen Monaten immer wieder kritisiert, dass wir uns hier nicht bewegt haben. Den Schuh muss ich mir auch anziehen. Ich will auch gerne erklären, warum wir noch nicht da sind, wo wir hinwollen. Zunächst will ich festhalten: Wir regressieren im Augenblick nicht in einem großen Maße. Bei der Rechnungsprüfung haben wir leider in der Vergangenheit zu lange gebraucht, um uns die Prozesse genau anzuschauen und festzustellen, wo es denn wirklich hakt. Also exakt zu wissen, wo der Ärger der Betriebe eigentlich herkommt. Ungefähr 60 Prozent der Rechnungen gehen ohne Abzug durch. Dann kommt ein Teil dazu, bei dem wir prüfen und feststellen, dass alles in Ordnung ist. Ein weiterer Anteil von Rechnungen wird im Dialog mit den Werkstätten geklärt. Dann bleibt ein Rest, bei dem wir nicht genau wissen, warum es hier Probleme gibt. Wir werden jetzt mit dem ZKF in konkrete Gespräche gehen, um zu klären, wie wir grundsätzlich damit umgehen. Eine Idee könnte eine neutrale Schiedsstelle sein. Wir wollen aber auch stärker in den Dialog mit den Betrieben gehen, um die noch bestehenden Probleme aus der Welt zu schaffen. ___Herr Artz, vielen herzlichen Dank, dass Sie sich für unser ausführliches Gespräch Zeit genommen haben.___