2025-07-23T08:33:34+0000

Fatale Pauschalisierung: Warum verunfallte E-Autos differenziert bewertet werden müssen

Der Umgang mit verunfallten Elektrofahrzeugen bleibt ein umstrittenes Thema im Unfallreparaturmarkt. [Im letzten Jahr berichtete die schaden.news-Redaktion über die unterschiedlichen Vorgehensweisen bei verunfallten batterieelektrischen Fahrzeugen und die konträren Ansichten rund um Sicherheitsmaßnahmen und Qualifikationen.](https://schaden.news/de/article/link/44172/spiel-mit-der-angst-wie-gefaehrlich-sind-verunfallte-e-autos-wirklich) Seitdem scheint es stiller im Markt geworden zu sein, das Thema steht nicht mehr so sehr im Fokus. Was sich in den letzten zehn Monaten getan hat, darüber sprach schaden.news-Redakteurin Carina Hedderich im Videointerview mit Philipp Fuchs vom Kraftfahrzeugtechnischen Institut. Der Projektleiter E-Mobilität gibt Einblicke in aktuelle Entwicklungen, neue Erkenntnisse und die Arbeit des KTI. ## VW-Richtlinie: Maximal 24 Stunden Quarantäne, wenn keine Auffälligkeiten Nach wie vor beobachten die Unfallreparaturforscher des KTI zwei unterschiedliche Herangehensweisen im Markt: Auf der einen Seite pauschale Quarantänemaßnahmen, auf der anderen Seite differenzierte und strukturierte Bewertungen. Dabei gibt es mittlerweile auch von Seiten der Hersteller konkrete Vorgaben zum Umgang mit verunfallten E-Autos. Als Beispiel führt Philipp Fuchs die Quarantäne-Richtlinien von Volkswagen an: „Diese besagt, dass das Fahrzeug vom Abschleppunternehmen maximal 24 Stunden in Quarantäne gestellt werden darf, sofern es keine thermischen Auffälligkeiten gibt.“ Nach Ablauf der 24-Stunden-Frist muss laut VW eine detaillierte Erstbewertung und Gefährdungsklassifizierung erfolgen, um weitere Maßnahmen zu begründen. ## Gefahrguttransport oder nicht? Rechtlicher Rahmen schafft Orientierung Ein weiterer Irrtum betrifft den Transport von beschädigten E-Fahrzeugen: Diese sind zwar als Gefahrgut einzustufen, jedoch ist der Transport in bestimmten Situationen von den sonstigen Vorgaben des ADR freigestellt. Philipp Fuchs konkretisiert: „Laut ADR-Sondervorschrift 667 ist der Transport von der Unfallstelle zur ersten Verwahrstelle ausgenommen, wenn ein sicheres Entnehmen der Zelle oder Batterie nicht möglich ist oder wenn der Zustand nicht überprüft werden kann – und das trifft in der Regel auf das Abschleppen vom Unfall- zum Verwahrort zu.“ Zudem begegnen dem KTI immer wieder Fälle, in denen die Hochvolt-Batterie nach dem Eintreffen am Verwahrort ausgebaut wird. Dabei gibt es auch dazu klare Vorschriften im ADR, wie der KTI-Projektleiter erläutert: „Gemäß der Sondervorschrift 667, Abschnitt B Absatz 2, muss die Batterie für den weiteren Transport entnommen werden, wenn die Beschädigung oder der Defekt einen maßgeblichen Einfluss auf die Sicherheit der Batterie hat. Diesen maßgeblichen Einfluss kann man natürlich nur feststellen, indem man eine Bewertung und Gefährdungsklassifizierung durchführt.“ Zudem betont er noch einmal: „Ein pauschales Ausbauen der Batterie kann
natürlich nicht der Weg sein. Das verkompliziert den weiteren Prozess, sorgt für hohe Kosten und sorgt auch dafür, dass Batterien, die eigentlich in einem technisch einwandfreien Zustand sind, dann entsorgt werden.“ ## „Datenlage bei Fahrzeugherstellern ist sehr gut“ Das Kraftfahrzeugtechnnische Institut macht sich deshalb für einen strukturierten Umgang mit verunfallten E-Autos anhand technischer Erforderlichkeiten stark. Mit Informationsveranstaltungen und Fachsymposien versucht das Team um Philipp Fuchs alle am Schadenprozess Beteiligten zu sensibilisieren. Gemeinsam mit dem Verband der Bergungs- und Abschleppunternehmen (VBA) hat das KTI in diesem Jahr zudem eine Schulung für Abschleppunternehmen mit Fokus auf die Erstbewertung und Gefährdungsklassifizierung gemäß Herstellervorgaben konzipiert. Denn, so Philipp Fuchs: „Die Datenlage von Seiten der Hersteller ist inzwischen sehr gut und die Abdeckung sehr hoch.“ Demnach stellen alle etablierten Fahrzeughersteller Informationen rund um den Prozess mit verunfallten HV-Fahrzeugen, die Erstbewertung sowie die Gefährdungsklassifizierung zur Verfügung. Einziges Manko aus seiner Sicht: „Wenn man nicht jeden Tag mit den entsprechenden Herstellerportalen arbeitet, kann es herausfordernd sein, die entsprechenden Informationen zu finden, aber sie sind inzwischen von fast jeder Marke vorhanden.“ ## Blick ins Innere: Röntgentechnik validiert Ergebnisse durch Herstellervorgaben Um die Aussagekraft der Herstellervorgaben auch wissenschaftlich zu belegen, hat das KTI gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für integrierte Schaltungen (EZRT) ein einzigartiges Forschungsprojekt gestartet: [Unfallbeschädigte Hochvoltfahrzeuge werden aufwändig geröntgt, um den Zustand der Hochvolt-Batterien bis auf Zellebene zu prüfen.](https://schaden.news/de/article/link/44100/kti-kooperation-fraunhofer-institut-batterie-roentgen) Bisher wurden drei Fahrzeuge analysiert: ein durch DEKRA gecrashter VW e-Up, ein Opel Corsa Electric mit erheblichen Front- und Heckschaden sowie ein Mini Electric mit einem Brandschaden, der vermutlich durch das 12-Volt-Netz ausgelöst wurde. Das Ergebnis: In allen Fällen bestätigte sich, dass die Batterien trotz massiver äußerer Fahrzeugbeschädigung unversehrt waren. „Wir haben vorher die Bewertung anhand der Herstellervorgaben durchgeführt. Diese ergab, dass alle Batterien unbeschädigt waren. Diese Ergebnisse konnten wir mithilfe der Röntgen- und CT-Technik in Fürth validieren“, resümiert der KTI-Projektleiter. Im Interview mit Philipp Fuchs wird klar: Die technischen Möglichkeiten zur sicheren Bewertung verunfallter E-Fahrzeuge sind vorhanden – sie werden jedoch teilweise nicht konsequent genutzt oder womöglich aus wirtschaftlichem Interesse nicht angewendet. Philipp Fuchs und das Team des KTI arbeiten deshalb weiter intensiv daran, eine standardisierte Vorgehensweise anhand technischer Erforderlichkeiten im Markt zu etablieren.