2024-06-26T12:18:55+0000

Web-TV: „Für Betriebe gilt: Nicht nachlassen! Mindestens 90 Prozent aller Autos werden in Zukunft einen Stecker haben“

Der Absatz von Elektroautos schwächelt und das für 2035 beschlossene Verbrenner-Aus wird immer häufiger infrage gestellt. Grund genug, die Entwicklung der Elektromobilität beim Schadentalk im Web-TV erneut in den Fokus zu stellen. In der am 20. Juni ausgestrahlten Ausgabe diskutierte Moderator Christian Simmert mit einer hochkarätig besetzten Expertenrunde über relevante Entwicklungen und die Auswirkungen auf das Reparatur- und Servicegeschäft. ## „Qualifizierung im Umgang mit E-Autos richtig und wichtig“ Einer, der die Geschichte der Elektromobilität in Deutschland entscheidend mitgeprägt hat, ist Prof. Dr. Günther Schuh. Der Erfinder des Streetscooters betonte zu Beginn der Sendung: „Die Verkehrswende hat fulminant begonnen. Es hätte idealtypisch laufen können, das hat es aber nicht.“ Der Ingenieur und Lehrstuhlinhaber an der RWTH Aachen University sprach von einem Sättigungseffekt. Die Stromer im Speziellen und neue Fahrzeuge im Allgemeinen seien zu teuer, zudem hätte man in Deutschland den Fehler gemacht, den Hybridantrieb nur als Übergangslösung zu deklarieren. Dennoch zeigte sich der Experte überzeugt: „Morgen oder übermorgen werden mindestens 90 Prozent aller Autos einen Stecker haben. Insofern gilt für Werkstätten: Auf keinen Fall nachlassen“. Die Qualifizierung im Umgang mit Elektroautos sei die richtige und notwendige Kompetenz für die Zukunft. Das bestätigte auch Andreas Brodhage, Geschäftsführer des Werkstattnetzes Global Automotive Service (G.A.S.), in dessen Zentrale in Dorsten die Web-TV-Sendung aufgezeichnet wurde. Das Werkstattnetz hat sich in den letzten Jahren konsequent auf die Reparatur von Elektrofahrzeugen ausgerichtet, übernahm 2017 Service und Wartung der StreetScooter-Flotte der deutschen Post, 2022 folgte eine exklusive Kooperation mit dem chinesischen Automobilhersteller NIO – diese soll künftig weiter ausgebaut werden. Wichtigster Aspekt bisher und in Zukunft: „Qualifizierungen und Schulungen – denn nur so werden die Werkstätten befähigt, diese Fahrzeuge zu reparieren“, so der G.A.S.-Geschäftsführer. Um das zu gewährleisten, wurde die Zentrale in Dorsten um ein eigenes Schulungszentrum erweitert – seit diesem Jahr werden die G.A.S.-Werkstätten dort im modellspezifischen Umgang mit NIO-Fahrzeugen geschult. ## NIO: Reparatur- und Wartungsbedarf in der Fläche steigt Mit Fabian Holst saß auch ein Vertreter von NIO in der Runde. Der Serviceleiter für Deutschland betonte in der Diskussion immer wieder die Bedeutung eines funktionierenden Reparatur- und Servicenetzwerkes: „Wir haben Anfang dieses Jahres eine neue Kooperationsvereinbarung mit der Firma G.A.S. unterschrieben und uns darauf geeinigt, dass Werkstattnetz zu erweitern, weil wir mehr Bedarf haben, das Netzwerk auch in die Fläche auszubauen.“ Bis zu 4.000 Reparaturen und Wartungen – inklusive Reifengeschäft – seien im letzten Jahr hierzulande durchgeführt worden,
Tendenz steigend. Parallel zur Partnerschaft mit G.A.S. soll deswegen auch ein eigenes Werkstattnetz aufgebaut werden, wie Fabian Holst berichtete. Die Anforderungen an künftige Werkstattpartner von NIO seien dabei – je nach dem, ob es sich um einen Karosserie- und Lackierbetrieb oder einen Mechanik-Betrieb handele – unterschiedlich. Am wichtigsten sei aus Sicht von Fabian Holst jedoch „der Wille und die eigene Motivation der Werkstatt, an der Elektromobilität teilzunehmen.“ Darüber hinaus sei aufgrund der statischen Kalibrierung mit spezifischen Matten vor allem ausreichend Platz bei künftigen NIO-Partnern erforderlich, wie der NIO-Serviceleiter erklärt. ## Wie verändert sich das Schadenmanagement? Das aktuell verhaltene, aber dennoch kontinuierliche Wachstum der Zulassungszahlen von E-Autos macht sich natürlich auch in der Schadensteuerung bemerkbar, wie Andreas Gertges von DMS während der Sendung erklärt. Der Anteil gewerblich genutzter E- und Hybrid-Autos sei dabei deutlich höher als im Privatkundenbereich. „Stand heute sind fünf Prozent der reparierten Schäden bei der DMS Elektrofahrzeuge, Tendenz steigend“, betont der Leiter Werkstattnetz. Um HV-Fahrzeuge auch künftig in dafür qualifizierte Reparaturbetriebe routen zu können, benötige DMS mehr Informationen als bisher. „Wir sind gerade dabei, ein neues Anforderungsprofil zu erstellen. Für uns ist natürlich extrem wichtig: Welches Auto können wir in welchen Betrieb steuern? Das ist unsere Hausaufgabe für die nächste Zeit“, so Andreas Gertges. ## NIO: „Bei Arbeitszeitwerten ist viel Kommunikation auf technischer Ebene gefragt“ Informationen und Daten bilden auch innerhalb der Kooperationen von G.A.S. und NIO das Herzstück, denn ohne die relevanten Reparaturinformationen und das damit einhergehende Vertrauen könne die G.A.S. ihr Werkstattnetz nicht für die Reparatur der chinesischen Stromer befähigen – darüber waren sich Andreas Brodhage und Fabian Holst einig. Gleichzeitig bestätigte der NIO-Serviceleiter dass es bei den aus China vorgeschriebenen Arbeitszeitwerten gelegentlich zu Unstimmigkeiten komme. Hier sei aktuell noch viel „interkulturelle Kommunikation auf technischer Ebene“ gefragt, um das gegenseitige Verständnis für die Werkstattabläufe in Fernost und Europa zu fördern. ## E-Auto neu gedacht? e.Volution entwickelt neues Chassis-Konzept Der Elektrofahrzeuge-Pionier Günther Schuh setzt hingegen auf ein ganz anderes Konzept als NIO. Der Maschinenbauingenieur arbeitet mit seinem Unternehmen e.Volution derzeit an reparatur- und wartungsärmeren E-Fahrzeugen. Denn in der Lebensdauer der Fahrzeuge liegt aus seiner Sicht der Schlüssel für die Zukunft, um diese insgesamt kostengünstiger für Endverbraucher zu machen und auch, um den Restwert zu erhöhen. Denn der aktuelle Trend, den Restwert nach vier Jahren auf rund ein Drittel vom Listenneupreis zu setzen, führe bei Ersatz einer Batterie zum wirtschaftlichen Totalschaden des Elektroautos. „Die Lösung, an der wir mit e.Volution arbeiten, ist das 50-jährige Fahrzeug“, betont der Elektromobilitäts-Pionier und erklärt auch, wie diese Lösung konkret aussieht: „Wir trennen Exterieur und Interieur von der Tragestruktur des Chassis. Wir haben kein integriertes Chassis-Body-Konzept, sondern wir haben ein Chassis mit maximaler Steifigkeit.“ Dadurch werde die Antriebsbatterie maximal geschützt. Der verhältnismäßig geringe Kapitaleinsatz für den Bau dieser Fahrzeuge in Verbindung mit der langen Lebensdauer führe laut Günther Schuh dazu, dass das Fahren von E-Autos insgesamt günstiger werde und der Wiederverkaufswert nach ein paar Jahren stabil bleibe. ## G.A.S. wird Werkstattnetz für e.Volution Zudem soll das Fahrzeug so konzipiert werden, dass es in regelmäßigen Abständen in den Servicewerkstätten Upgrades erfährt. Ein funktionierendes Wartungs- und Servicenetzwerk – auch mit Blick auf mögliche notwendige Reparaturen – sei deshalb essenziell, bestätigte Prof. Dr. Günther Schuh während des Talks. Dafür setzt der Entwickler – wie schon beim Streetscooter – auf das Werkstattnetz der G.A.S. Wichtige Faktoren bei dieser Entscheidung waren dabei der über G.A.S. gesteuerte Ersatzteilabruf sowie zentralisierte Prozesse durch das Online-System GOL des Werkstattnetzes. Wie Global Automotive Service die Kooperation mit e.Volution künftig umsetzt und ob es auch für diese Fahrzeuge ein eigenes Schulungskonzept gibt, wird sich in Zukunft zeigen. ## „Betriebe verschließen sich nicht vor der Zukunft“ Fakt ist, ob nun NIO, e.Volution, Tesla oder andere Stromer: Elektrofahrzeuge werden nicht wieder verschwinden vom Markt und die Durchdringung wird mittel- bis langfristig kommen – darin waren sich die Gäste beim Schadentalk im Web-TV einig. DMS-Werkstattnetzleiter Andreas Gertges betonte zudem mehrfach, dass ein Großteil der Werkstätten in Deutschland bereits gut aufgestellt ist in Sachen E-Mobilität. „Viele Betriebe haben sich auf die Entwicklung sehr gut eingestellt und tun viel, um diese mitzugehen – das stellen wir immer wieder fest. Natürlich betrachten manche die Entwicklung vielleicht mit etwas mehr Gelassenheit oder auch mal mit Sorge, aber keiner verschließt sich vor der Zukunft.“