2024-05-07T08:13:38+0000

Sachverständigenrisiko: BGH stärkt Kfz-Gutachtern den Rücken

Mit seinem jüngsten Urteil (VI ZR 280/22) hat der Bundesgerichtshof nun erneut für Aufsehen in der Schadenwelt gesorgt. Nachdem die höchste richterliche Instanz in Deutschland zu Beginn des Jahres das Werkstattrisiko präzisiert hat, folgte im März eine weitere richtungsweisende Entscheidung rund um die Sachverständigenkosten. Darin heißt es: „Die Grundsätze zum Werkstattrisiko, die der Senat in seinen Urteilen vom 16. Januar 2024 […] fortentwickelt hat, gelten auch für überhöhte Kostenansätze eines Kfz-Sachverständigen“. Doch wie schon bei den Entscheidungen aus Januar gibt es auch dieses Mal wieder Einfalltore, die Kfz-Versicherer und Prüfdienstleister für sich nutzen könnten, weiß Rechtsanwalt Henning Hamann. Der Geschäftsführer der Kanzlei Voigt hatte deswegen vergangene Woche zum Sonderwebinar geladen. Mit fast 1.000 Anmeldungen und 700 Teilnehmenden waren das Interesse und die Beteiligung so hoch wie nie. ## Analogie zu Werkstattrisiko Durch das Werkstattrisiko und das nun geltende Sachverständigenrisiko ist der Geschädigte maximal geschützt, wie Henning Hamann ausführt. Dabei gelten im Grundsatz genau die gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen: Es kommt beispielsweise nicht darauf an, ob die Gutachterrechnung bereits bezahlt wurde oder nicht. Im laufenden Verfahren muss im Zweifel jedoch bei noch nicht vollständig bezahlten Rechnungen der Klageantrag umgestellt und Zahlung an den Sachverständigen verlangt werden, damit das Sachverständigenrisiko weiterhin gilt. Von Klagen aus abgetretenem Recht rät Henning Hamann den Zuhörenden dringend ab: „Die machen keinen Sinn mehr. Da stehen Sie in der vollen Beweislast und können sich nicht auf das Sachverständigenrisiko berufen.“ Dafür stärkt der Bundesgerichtshof die Preisautonomie der Sachverständigen noch einmal erheblich. So heißt es wortwörtlich: „Einem Kfz-Sachverständigen steht es frei, neben einem Grundhonorar für seine eigentliche Sachverständigentätigkeit Nebenkosten, auch in Form von Pauschalen, für tatsächlich angefallene Aufwendungen abzurechnen.“ ## Wird die Laienerkennbarkeit zum neuen Einfallstor für Versicherer? Dennoch bietet auch diese Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus Sicht von Henning Hamann wieder Angriffspotenzial für Kfz-Versicherer. Denn anders als in seinen Entscheidungen rund um das Werkstattrisiko hat der BGH allerdings dieses Mal klar definiert, wo die Grenzen der Laienerkennbarkeit liegen. Im eigenen Interesse soll der Geschädigte die Preise einer Plausibilitätskontrolle unterziehen. Bei deutlich und auch für Laien erkennbar überhöhten Preisen könnte ihn sonst beispielsweise ein Auswahlverschulden treffen. Und auch die Rechnung sollte dahingehend überprüft
werden, dass diese nicht von den vorab getroffenen Honorarvereinbarungen abweicht oder z.B. erkennbar überhöhte Nebenkosten veranschlagt wurden – andernfalls trifft den Geschädigten ein Überwachungsverschulden. Aus Sicht von Kanzlei-Geschäftsführer Henning Hamann könnte genau dieser Umstand der Laienerkennbarkeit als neues Einfallstor für Kfz-Versicherer und Prüfdienstleister dienen. Denn, so der Experte: „Die Versicherer werden argumentieren, dass diese oder jene Kosten überhöht und für den Geschädigten erkennbar waren. Doch was ist denn erkennbar überhöht? Genau diese Frage wird uns die nächsten Wochen und Monate beschäftigen, davon bin ich überzeugt.“ ## Rollt die nächste Regress-Welle auf die Branche zu? Da sowohl das Werkstatt- als auch das Sachverständigenrisiko die bisher üblichen Kürzungen massiv erschweren, bleibt den Kfz-Versicherern nach Meinung des Rechtsanwaltes nur der Regress. „Die Versicherer werden quasi gezwungen, Regressprozesse zu führen“, so Henning Hamann. Schon jetzt zeige sich in der außergerichtlichen Praxis, dass die Allianz Abtretungen sammelt. Zwar seien aktuell noch keine Prozesse eröffnet, dies sei jedoch nur eine Frage der Zeit, ist sich Henning Hamann sicher. ## Tipp vom Profi: Detaillierte Honorarvereinbarung Um sich vor Regressen zu schützen, empfiehlt Henning Hamann den zuhörenden Sachverständigen, mit detaillierten Honorarvereinbarungen zu arbeiten. Denn im Regressfall gilt nicht mehr das Schaden-, sondern das Werkvertragsrecht. Heißt konkret: Es gilt das, was vertraglich vereinbart wurde und nur sofern es keine vertragliche Vereinbarung gibt, gilt das, was üblich ist. „Warum beziehen die Sachverständigen sich seit Jahren auf dieses dünne Brett der Üblichkeit, wenn sie doch die Möglichkeit haben, im Rahmen einer Honorarvereinbarung ganz klar zu regeln, welche Kosten für den Geschädigten anfallen?“, fragte der Rechtsanwalt offen in die Runde und gab in diesem Zusammenhang direkt den Hinweis, dass der Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen (BVSK) bereits daran arbeite, ein entsprechendes Muster für eine Honorarvereinbarung zu entwickeln. ## Exkurs: Allianz kürzt Honorare nach BVSK Aus aktuellem Anlass ging der Kanzlei-Geschäftsführer außerdem kurz auf aktuelle Kürzungsversuche der Allianz ein. Dafür zeigte er mehrere Prüfberichte von ControlExpert. Darin heißt es: „Es konnte keine Mitgliedschaft im BVSK […] festgestellt werden. Daher kommt die Berechnung des Grundhonorars gemäß BVSK-Tabelle oder einer vergleichbaren Tabelle nicht in Betracht.“ Der Anwalt stellt klar: „Das spielt überhaupt gar keine Rolle. Die BVSK-Tabelle ist eine Schätzgrundlage, natürlich können Sie sich daran orientieren, ohne Mitglied im BVSK zu sein.“ ## Was sollten Sachverständige jetzt tun? Abschließend gab der Geschäftsführer der Kanzlei Voigt noch einmal Tipps, was Sachverständige nun beachten sollten. Neben dem Rat, künftig Honorarvereinbarungen zu treffen, bleibt eine enge Abstimmung mit der Werkstatt unabdingbar, um bei Bedarf das Gutachten zu erweitern. Generell sollten sich die Sachverständigen nicht durch die Kürzungsversuche der Kfz-Versicherer verunsichern lassen, denn, so Henning Hamann: „Gutachter haben immer einen gewissen Beurteilungsspielraum und auch zwei sich technisch widersprechende Reparaturwege können trotzdem beide vertretbar sein.“
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