2023-11-01T10:34:36+0000

Vorschäden: BGH-Urteil erleichtert Beweisführung, doch Vorsicht vor Fallstricken!

Die angespannte Kostensituation hat sich auch auf das Reparaturverhalten der Kunden ausgewirkt. Die Zahl fiktiver Abrechnungen – gerade im Bagatellschadenbereich – steigt und Gebrauchsschäden werden häufig nicht mehr beseitigt. In der Folge sind mehr Fahrzeuge mit Vorschaden auf Deutschlands Straßen unterwegs. ## 80 Prozent der Teilnehmer haben gelegentlich oder ständig Probleme bei Vorschäden Aus diesem Grund hat die Kanzlei Voigt in ihrem 10. Automotive Online Forum die aktuelle Rechtsprechung zur Vorschadenproblematik in den Fokus gerückt. Denn häufig lehnen Kfz-Versicherer die Erstattung der Reparaturkosten pauschal ab, sobald sich dieser im Bereich eines Vorschadens befindet. Ein Problem, dass auch fast 80 Prozent der über 400 Teilnehmer kennt, die laut Kurzumfrage gelegentlich oder sogar ständig Probleme mit Kfz-Versicherern bei Vorschäden haben. „Problematisch ist das, weil die Ablehnung oftmals erst beim Abrechnungsversuch geschieht, also wenn Sie bereits Teile bestellt oder schon Reparaturarbeiten geleistet haben“, erklärt Dr. Mathias Allmansberger, Rechtsanwalt der Kanzlei Voigt und Niederlassungsleiter München und Landshut. Um die hohen Hürden der Regulierung im Falle eines Vorschadens zu meistern, gab der Rechtsexperte den Zuhörenden deshalb während seines Vortrages wichtige Tipps im Umgang mit Vorschäden an die Hand. ## Gängige Praxis der Versicherer: Pauschale Ablehnung In der Praxis verweisen Kfz-Versicherer in solchen Fällen gern auf die vollständige Beweislast des Geschädigten und begründen, dass durch eine teilweise Überlagerung der Schäden keine genaue Bestimmung des Schadens möglich sei. Dabei beziehen sie sich häufig auf ein Urteil des Kammergerichts Berlin aus dem Jahr 2015. Laut diesem „muss der Geschädigte nachweisen, dass und wie er den Vorschaden beseitigt hat. Kann er das nicht, kann er nicht belegen, welcher Schadenanteil neu ist bzw. wie der Wiederbeschaffungswert ist.“ Das gilt laut Urteilsschrift sogar dann, wenn der Geschädigte das Fahrzeug gebraucht gekauft und keine Kenntnis vom Vorschaden hat. Zudem werden auch Zeugen, wie beispielsweise die damals zuständige Werkstatt oder ein Sachverständige, nicht zum Beweis zugelassen. „Es stellt sich also die Frage, was der Geschädigte überhaupt machen kann“, fasst Dr. Mathias Allmansberger zusammen. ## Was Sachverständige und Werkstätten beachten sollten Tatsächlich steht dem Berliner Urteil jedoch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes von 2019 entgegen. Darin heißt es, dass der Pkw-Halter – sofern er keine Kenntnis von
einem Vorschaden hatte – sehr wohl Zeugen berufen darf, die die fachgerechte Reparatur des Vorschadens bestätigen. Um es jedoch im Zweifelsfall auch Zeugen benennen zu können oder es im besten Fall gar nicht so weit kommen zu lassen, empfiehlt der Rechtsanwalt Sachverständigen und Werkstätten folgendes: „Sprechen Sie mit dem Fahrzeughalter, informieren Sie ihn über die Problematik und lassen Sie sich die Unfallfreiheit in Reparaturauftrag und Gutachten bestätigen.“ Zudem rät er Werkstätten dazu, auch im Bagatellschadenfall ein sogenannten „Gutachten light“ erstellen zu lassen. Dieses ist gleichzusetzen mit einem qualifizierten Kostenvoranschlag, die voraussichtlichen Kosten dafür liegen nach seiner Schätzung zwischen 80 und 90 Euro netto und wurden von diversen Gerichten auch als erstattungsfähig bestätigt (z.B. AG Böblingen, Urteil vom 28.01.2014 – 2C 2391/13 oder AG München, Urteil vom 13.01.2023 – 338 C 4032/21). ## Neues BGH-Urteil entkräftet pauschale Ablehnung Die gute Nachricht ist: Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 6.6.2023, AZ VI ZR 197/21) erleichtert Geschädigten jetzt die Beweisführung und entkräftet auch die bisher pauschal begründeten Ablehnungsschreiben der Kfz-Versicherer. In dem vorliegenden Fall ging es um den Lkw eines Gerüstbauunternehmens, welches parkend von einem vorbeifahrenden anderen Lkw beschädigt wurde. Wie ein vom Geschädigten bestellter Gutachter feststellte, hatte der Spezialaufbau zwar bereits Gebrauchsschäden, wurde aber durch den neuen Unfall irreparabel verzogen. Denn laut Herstellerfirma sei eine punktuelle Reparatur der Aufbaukonstruktion nicht möglich, weshalb ein vollständiger Neuaufbau notwendig wird. Die Kosten liegen bei rund 25.000 Euro. Der vom Gericht bestellte Gutachter bewertet dies jedoch anders und nahm keine Abgrenzung der Gebrauchsschäden zu den unfallbedingten Schäden vor, obwohl dies laut den Feststellungen im Gutachten problemlos möglich gewesen wäre. Das Landgericht Berlin sowie das Berufungsgericht haben die Klage des Geschädigten deshalb abgewiesen. Hiergegen wendete sich der Kläger mit einer Nichtzulassungsbeschwerde, die den Fall letztlich vor den Bundesgerichtshof führte. Die höchste richterliche Instanz in Deutschland stellte in diesem Fall einen sogenannten Gehörverstoß fest. Der Verkehrsrechtsanwalt erklärt, was das bedeutet: „Die Einwände des Klägers gegen das gerichtliche Sachverständigengutachten hätte das Gericht ernst nehmen und den Sachverhalt aufklären müssen.“ Hierfür hätte das Gericht die schriftliche Ergänzung des Gutachtens veranlassen können. Kann der Gutachter die Einwände nicht ausräumen, hätte der Tatrichter im Rahmen seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Sachaufklärung ein weiteres Gutachten einholen müssen. Entgegen der Meinung der Versicherer muss der Geschädigte in diesem Zusammenhang die Gebrauchsschäden auch nicht vortragen, da diese erkennbar waren. „Außerdem wies der BGH noch einmal deutlich daraufhin, dass im Falle von Gebrauchsschäden zumindest ein Mindestschaden – sprich ein Neu-für-Alt-Abzug – ermittelt werden muss und die Erstattung nicht einfach pauschal abgelehnt werden kann“, so Dr. Mathias Allmansberger. ## Tipps für Sachverständige Auch oder gerade weil die BGH-Entscheidung die Beweisführung künftig erleichtert, sollten Sachverständige und Werkstätten möglichst alle ihnen zur Verfügung stehenden Informationen zu einem Vorschaden berücksichtigen. Der Fachanwalt für Verkehrsrecht betont in Richtung der Sachverständigen: „Befragen Sie die Geschädigten oder auch die reparierende Werkstätten intensiv zu einem möglichen Vorschaden. Und ziehen Sie, falls vorhanden, das alte Gutachten des reparierten Vorschadens hinzu- und auch ein in Ihr Gutachten, ebenso wie die Rechnung.“ Die Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes sollte dabei ebenfalls unter Einbeziehung des Vorschadens erfolgen.
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