2023-06-21T07:38:12+0000

Mobilitätswandel: Nutzungsverhalten, Kundenstruktur, Digitalisierung – Das ändert sich

Im Kampf gegen die Klimakrise spielt die Mobilitätswende eine entscheidende Rolle, wie Experten wiederholt betonen. Zwar muss der Mobilitätswandel und die damit einhergehende Antriebswende in erster Linie von Politik und Automobilhersteller vorangetrieben werden, jedoch wird das auch massive Auswirkungen auf den Unfallreparaturmarkt haben – und zwar kurz- bis mittelfristig und nicht erst in ein paar Jahren. Welche das sind, darüber diskutierte Moderator Christian Simmert beim Schadentalk im Web-TV vergangene Woche (15.06.) mit einer prominent besetzten Talkrunde. Während der Branchendiskussion in der Lehr- und Versuchswerkstatt des Kraftfahrzeugtechnischen Instituts (KTI) in Kassel gab Dr. Carsten Krebs, Leiter der Unternehmenskommunikation bei Volkswagen Financial Service, einen Einblick in die Pläne von VW Financial Service. Thomas Geck, Leiter Schadenprozessmanagement bei der HUK-Coburg, sprach über den Weg vom Kfz-Versicherer zum Mobilitätsdienstleister und ZKF-Präsident Peter Börner sowie Andreas Brodhage, Geschäftsführer des Werkstattnetzes Global Automotive Service (G.A.S.) erklärten, vor welchen Herausforderungen die Werkstätten künftig stehen. KTI-Geschäftsführer Helge Kiebach, der zugleich Gastgeber der 5. Ausgabe des Web-TV-Formates in diesem Jahr war, sprach zudem über die reparaturtechnischen Folgen. ## Auf dem Weg zum Mobilitätsdienstleister Doch was meint überhaupt „Mobilitätswende“? Dr. Carsten Krebs beantwortete diese Frage wie folgt: „Innerhalb der Mobilitätswende sehen wir die Antriebswende hin zur E-Mobilität und einen Wandel, weg vom Besitz hin zur flexiblen Nutzung eines Fahrzeugs. Der Mobilitätsmix wird in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.“ Gemeint sind damit vor allem die wachsende Bedeutung des Fahrrads sowie Carsharing- und Autoabo-Modelle. „Das führt dazu, dass wir ganz anders denken müssen, weshalb wir uns vom klassischen Automobilhersteller zum Mobilitätsdienstleister entwickeln müssen.“ Wie der Automobilhersteller das konkret erreichen will, zeigte Dr. Carsten Krebs an verschiedenen Beispielen auf. Unter anderem ist VW Financial Service bereits 2017 in das Leasinggeschäft von E-Bikes und Fahrrädern eingestiegen. In diesem Jahr wurden zudem rund 5.000 Autoabo-Verträge abgeschlossen, weitere sollen in Kürze für die Marke Skoda folgen. Vereint werden sollen all diese Aktivitäten künftig auf einer digitalen Mobilitätsplattform. „Wir werden Ende diesen, Anfang nächsten Jahres eine App auf den Markt bringen, auf der wir alle Mobilitätswünsche der Kunden bündeln – also Vermietung, Autoabo, Leasing und über Partner auch Carsharing, ÖPNV, Fahrrad. Das ist der Weg vom Automobilhersteller zum Mobilitätsdienstleister, den wir beschreiten.“ Einen ähnlichen Transformationsprozess durchschreitet aktuell auch Deutschlands größter Kfz-Versicherer, wie die HUK-Coburg u.a. bereits auf ihrer Bilanz-Pressekonferenz im März sowie beim Schadenmanagement-Kongress in Leipzig aufzeigte. Thomas Geck betonte während der Web-TV-Sendung erneut: „Wir rüsten uns
für den Mobilitätswandel, damit wir unseren Kunden Mobilität in aller Breite anbieten können – deshalb auch unsere Aktivitäten rund um HUK-Autoservice und HUK-Autowelt.“ ## HUK-Coburg klassifiziert künftig nach Kompetenzen Doch was heißt das nun konkret für die Schadensteuerung und Betriebe, die Unfallschäden für Kfz-Versicherer und Schadensteuerer instandsetzen? Die HUK-Coburg hat hier bereits einen konkreten Plan, wie Thomas Geck ausführte: „Wir werden den Schaden im Rahmen der Schadenaufnahme mit moderner Technik kategorisieren und dann in die passende, dafür qualifizierte Werkstatt steuern.“ Dieses System sei mit Betrieben in Hamburg und Würzburg bereits pilothaft getestet worden, verriet der Leiter Schadenprozessmanagement. Auf Nachfrage bestätigte er außerdem, dass die Qualifizierung in Form von spezieller Ausrüstung und Weiterbildung der Mitarbeiter auch mit einem anderen Stundenverrechnungssatz entlohnt werden soll. Die Befürchtung, dass kleinere Betriebe bei der Steuerung damit durchs Raster fallen, entkräftete Thomas Geck. „Wir werden auch in Zukunft genug ‚Brot- und Buttergeschäft‘ haben. Einfache Schäden werden wir auch weiterhin in die Fläche steuern. Es geht darum, Schäden herauszufiltern, die wirklich komplexer sind.“ ## „Digitalisierung ist der Schlüssel“ Darüber hinaus arbeiten die Coburger weiterhin konsequent an der Schadenmeldung und einer fotobasierten Schadenaufnahme per App, der Online-Terminbuchung sowie dem Schadentracking. Denn, so Thomas Geck, „der Schlüssel für die Schadensteuerung der Zukunft ist die Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette.“ Mithilfe digitaler Tools ließen sich dort vor allem im administrativen Bereich noch viele unnütze Schritte automatisieren, was letztlich auch mit Blick auf den Fachkräftemangel Arbeitszeiten freisetze. Eine „massive Digitalisierung“ ist auch aus Sicht von Dr. Carsten Krebs unerlässlich, um die Erwartungen der Kunden in Zukunft erfüllen zu können. ## Mehr IT-Kompetenz gefordert Für die Werkstätten steht aktuell vor allem der Antriebswandel im Fokus. „Der größte Dreh- und Angelpunkt ist die Qualifizierung und Zertifizierung“, meint Andreas Brodhage, der das Werkstattnetz von Global Automotive Service bereits seit mehreren Jahren auf Elektromobilität ausrichtet. Zudem sei es – vor allem mit Blick auf den asiatischen Hersteller NIO, der als erster Automobilhersteller eine künstliche Intelligenz in Form des Bordassistenten Nomi auf den Markt brachte – für Werkstätten erforderlich, entsprechende IT-Kompetenzen aufzubauen. Dafür sei es unerlässlich, das Schulungsangebot auf diesem Gebiet auszubauen. Die IT-Kompetenz wird auch aus Sicht von Helge Kiebach vom Kraftfahrzeugtechnischen Institut ein wichtiger Schlüssel für Werkstätten. Nicht nur in Bezug auf die zunehmende Konnektivität der Fahrzeuge, sondern vor allem mit Blick auf die Reparaturdaten. „Nicht nur das Vorhandensein der Information ist wichtig, sondern auch die Frage, wie komme ich schnell und sicher an gewisse Daten und wie gehe ich mit diesen um – da gibt es noch viel Handlungsbedarf.“ Durch die zunehmende Dynamik der Entwicklungen und immer
kürzere Innovationsschritte müsse das Team um Helge Kiebach inzwischen sehr viel flexibler in der Schadenreparaturforschung reagieren. Das Ziel sei dabei immer, technologische Trends und deren Konsequenzen für die Reparatur zu bewerten. Der Geschäftsführer zeigte sich dahingehend jedoch optimistisch: „Neue technologische Lösungen sind händelbar, mit den richtigen Informationen und mit qualifiziertem Fachpersonal.“ ## „Riesige Chance für den freien Markt“ Eine Meinung, die auch ZKF-Präsident Peter Börner teilt. Die Weiterbildung von Mitarbeitern und die technische Ausrüstung rund um die Reparatur von Elektrofahrzeugen sei „eine Herausforderung, die wir stemmen werden.“ Er zeigte sich ob der großen Veränderungen sogar positiv gestimmt: „Ich freue mich auf die nächsten zehn Jahre, denn es wird sich viel verändern. Und ich habe keine Angst davor, im Gegenteil, ich sehe die Veränderung als riesige Chance für den freien Markt, sich neu zu positionieren.“ Spannend sei in diesem Zusammenhang das sich verändernde Kundenprofil. „Der Fahrzeugeigentümer wird nicht mehr der sein, der es heute ist – das ist in Zukunft entweder eine Bank, eine Flotte, ein Carsharer, aber nicht mehr der Privatkunde“, gab der ZKF-Präsident zu bedenken. ## Ausrichtung der Betriebe und langfristige Personalplanung Ein wirklich großes Problem sei aus Betriebssicht der Mangel an Fachkräften und die künftige Anpassung an die sich verändernde Marktlage. Peter Börner appellierte deshalb erneut an die Betriebe, den eigenen Kundenstamm sowie die regionale Marktlage zu analysieren und ein langfristiges Konzept für die Personalplanung zu erstellen. „Da gibt’s noch viele Defizite, weil das Alltagsgeschäft den Betrieben aktuell keine Zeit dafür lässt. Aber das sind überlebenswichtige Konzepte“, betonte er abschließend. Die betriebliche Ausrichtung ist übrigens auch laut Prof. Dr. Stefan Bratzel entscheidend, um auch nach vollzogener Mobilitätswende am Markt bestehen zu können. Der Mobilitätsexperte und Gründer des Center of Automotive Management erklärte in einem Videoeinspieler: „Die Elektromobilität und die Digitalisierung werden erhebliche Auswirkungen im Bereich Aftersales haben. Der Service-Aufwand von Elektrofahrzeugen wird unseren Schätzungen zufolge rund 40 Prozent geringer ausfallen als bei Verbrennern. Das ist ein zentraler Punkt, warum man sich als Servicebetrieb weitere Wertschöpfungsfelder suchen muss, um das auszugleichen.“ Aber, und das brachte G.A.S.-Geschäftsführer Andreas Brodhage zum Schluss der Sendung auf den Punkt: „Die größte Herausforderung und die Basis für alles wird künftig der Wille des Betriebes sein, sich anders aufzustellen. Denn ohne den absoluten Willen etwas zu verändern, macht es keinen Sinn.“