2022-11-30T10:14:48+0000

Web-TV: „Betriebsführung muss auf Fakten beruhen, nicht auf Bauchgefühl“

Ohne betriebliche Kennzahlen können Betriebsinhaberinnen und -inhaber nicht mehr auf die aktuellen Marktgeschehnisse reagieren – das war die zentrale Botschaft beim letzten Schadentalk im Web-TV (24.11.). Im Lackier- und Karosseriezentrum der Sternauto-Gruppe am Standort Upahl diskutierte Moderator Christian Simmert mit Betriebsinhaber Frank Steinbreder von der Werner Steinbreder GmbH und Niels Bogen, Serviceleiter der Sternauto-Gruppe Ostsee, sowie mit Unternehmensberater Stefan Höslinger (HEPP Unternehmensimpulse) und Tobias Brefeld, BASF Director Automotive Refinish Coatings DACH+. ## Aktueller Lagebericht Die aktuelle Auftragslage sei, wie der Redaktion in den letzten Monaten auch immer wieder bestätigt wurde, sehr gut. Niels Bogen, der als Serviceleiter von Sternauto Ostsee für sechs Standorte verantwortlich ist, betonte in diesem Zusammenhang: „Wir haben eine hervorragende Auftragslage und reparieren aktuell in einer Reparaturtiefe, die in der Vergangenheit so nicht möglich war, was der aktuellen Marktlage geschuldet ist.“ Dennoch sorgen – und das bestätigte auch Frank Steinbreder – vor allem die Themen Personal und Ausbildung, aber auch die Änderung der Energiepreise sowie die Ersatzteilversorgung für eine weiterhin angespannte Lage. Und diese werde sich laut Branchenexperte Stefan Höslinger auch nicht allzu schnell ändern, vor allem in puncto Lieferengpässe von Ersatzteilen: „Experten aus den OEM-Reihen sagen, dass diese Situation noch mindestens zwei Jahre anhalten wird. Das Problem dabei ist, dass die Logistikräume eigentlich immer größer werden müssten und die Liquidität sinkt.“ Denn, so der Experte, Betriebe müssen die Ersatzteile vorfinanzieren – teilweise im Bereich von mehreren hunderttausend Euro. Da sorge auch die kürzlich von der HUK-Coburg verkündete Erhöhung der Stundensätze nicht für Entlastung. Alles in allem fasst Tobias Brefeld zusammen, sei der Markt aktuell extrem dynamisch und vielschichtig. „Wir haben immer weniger Zeit, uns auf veränderte Sachverhalte einzustellen und gute Entscheidungen zu treffen. In Zukunft müssen Betriebe nicht nur faktenbasiert, sondern auch schnell entscheiden“, betont der Business Director. ## Ohne Kennzahlen geht es nicht mehr Und das funktioniert nur auf Basis von betrieblichen Kennzahlen – darüber waren sich alle Talkgäste einig. Denn, so Stefan Höslinger: „Mit Kennzahlen kann ich Szenarien abbilden und entwerfen. Was passiert zum Beispiel, wenn ein Mitarbeiter kündigt oder wenn man einen Kunden verliert.“ Im Umkehrschluss lässt sich mit Hilfe der Betriebsdaten aber auch erkennen, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss, um beispielsweise die höheren Energiekosten abzufedern. Welche Daten dabei im Fokus stehen sollten, erklärte der Unternehmensberater ebenfalls während der Web-TV-Sendung: „Das Kernprodukt ist die verkaufte Stunde. Wie viele Arbeitstage hat der Monat und wie viele personelle Ressourcen hat der Betrieb beziehungsweise wie viele Anwesenheitsstunden? Daraus lässt sich die Gesamtproduktivität ableiten und ein Soll-Zustand definieren.“ Über den Stundenverrechnungssatz ergäben sich zudem Lohn- und Lackmaterialerlöse. Diese Analyse und Auswertung sei zwar aufwendig, helfe dem Betrieb aber absolut weiter, ist
sich Stefan Höslinger sicher. Allerdings nur, wenn der Betriebsinhaber auch aktiv mit den Daten arbeite. „Eine Planung ist dafür da, dass sie gelebt wird. Die Zahlen einmal im Monat aus der Schublade zu ziehen, macht keinen Sinn.“ ## Wie hoch sollte die Rendite sein? Frank Steinbreder, Betriebsinhaber in 3. Generation, arbeitet bereits seit mehreren Jahren aktiv mit seinen Kennzahlen. Dabei sagt er selbst: „Ich bin eigentlich kein Zahlenmensch, ich will nur sach- und fachgerecht Autos reparieren. Aber ohne Kennzahlen kann ich mein Unternehmen nicht führen und controllen.“ Aktuell steckt er in der Jahresplanung für 2023, in diesem Rahmen wird auch wieder überprüft, „welche Kunden sind gewinnbringend, welche nicht.“ [Doch nicht nur die Kundenstruktur ist entscheidend, wie Stefan Höslinger anhand eines konkreten Beispiels erklärte.](https://youtu.be/MjM_Fudr_Vk?t=1492) Bei einem Betrieb mit zehn produktiven Mitarbeitern, einem Jahresumsatz von 1,2 Millionen und einer Schadensteuerungsquote von 60 Prozent lautet das Urteil des Experten: „Gemessen an der Mitarbeiterzahl wäre der Umsatz zu niedrig, um tatsächlich Rendite zu erwirtschaften. Der müsste sich eher um die 1,6 Mio. Euro bewegen. Es müsste also ermittelt werden, warum das so ist. Liegt es an der Anzahl verkaufter Stunden, sind die Anwesenheitsstunden oder der Stundenverrechnungssatz zu niedrig?“ Auf die Frage von Moderator Christian Simmert, wie hoch die Rendite denn sein sollte, antwortete er wie folgt: „Man kann das nicht verallgemeinern, aber in einer Kapitalgesellschaft sollten es rund 10 Prozent sein, bei Personengesellschaften eher mehr, in Richtung 20 Prozent.“ ## „Wir analysieren nicht nur den Lackierprozess, sondern alle Betriebsabläufe“ Doch nicht nur die Kennzahlen liefern wertvolle Ansätze, um die Effizienz zu steigern. Auch eine umfassende Analyse der Betriebsabläufe kann helfen, Prozesse weiter zu optimieren und damit letztlich die Rendite zu verbessern. Der Lackhersteller BASF hat für Betriebe seiner Lackmarke Glasurit deshalb ein neues digitales Bewertungstool namens Body Shop BOOST entwickelt. BOOST liefere eine ganzheitliche Betrachtung des Reparaturprozesses inklusive aller wichtigen Kennzahlen und soll den Betrieben Optimierungspotenzial aufzeigen. „Dabei schauen wir uns nicht nur singulär den Lackierprozess an, sondern alle Betriebsabläufe von Schlüsselabgabe bis Fahrzeugübergabe“, so Tobias Brefeld. Anschließend werde der Betrieb zwölf Monate bei der Umsetzung begleitet, über ein individuelles Dashboard habe jedes Unternehmen zudem all seine Zahlen und Prozesse im Blick. 20 Betriebe seien im Rahmen einer Pilotphase jetzt abschließend „geboostet“ worden. „Obwohl wir uns jetzt erst im Launch befinden, ist die Nachfrage bereits sehr hoch“, verrät der Business Director und ergänzt, dass für das erste Quartal 2023 bereits keine Anfragen mehr angenommen werden könnten. ## Objektive Betrachtung ist wichtig Welchen Nutzen BOOST tatsächlich hat, berichtete Niels Bogen während der Sendung. „Wir sind mit unserem Standort hier in Upahl gerade mittendrin in der Boost-Phase“, so der Serviceleiter. Die Analyse habe unter anderem gezeigt, dass vor allem in der Karosserieabteilung Effizienz verloren geht. „Ein Zwischenergebnis ist, dass wir die Arbeitsplatzsituation im Karosseriebereich insofern optimieren, dass Laufwege reduziert werden und das Werkzeug griffbereit ist.“ Insgesamt habe die Analyse der Boost-Berater „eine Fülle von Sachen aufgedeckt, was uns sehr positiv überrascht hat.“ Und genau
darin sieht Niels Bogen auch den großen Vorteil des Programms: „Natürlich prüft man seine Abläufe regelmäßig, aber das ist eben nur eine eigene Prüfung und keine objektive Betrachtung. Wenn man offen dafür ist, gibt es immer Optimierungs- und Verbesserungspotenzial.“ ## „Mitarbeiter sind unser größtes Gut“ Ob Kennzahlenerhebung, Optimierungsprogramm oder Effizienzsteigerung – zum Erfolg führt all das nur, wenn auch das Team im Betrieb gut funktioniert. Darüber waren sich alle Talkgäste einig. „Man sollte immer offen mit seinen Mitarbeitern umgehen, sie sind unser größtes Gut. Wenn die Mitarbeiter nicht funktionieren, hat man was falsch gemacht oder sie nicht mitgenommen“, brachte es Frank Steinbreder auf den Punkt. Der erfahrene Unternehmer hält deshalb ganz bewusst alle Prozesse in seinem Betrieb transparent. Neben wöchentlichen Standup-Meetings werden in Melle regelmäßig Halbjahresgespräche mit allen Mitarbeitern geführt. „Außerdem schreibe ich alle Vierteljahre Mitarbeiterbriefe, in denen ich aufzeige, welche Ziele wir erreicht haben, wo die Herausforderungen für uns als Unternehmen liegen und wie wir damit umgehen.“ Bei der Sternauto-Gruppe werden die sozialen Faktoren zudem über ein Bonusprogramm verstärkt, über das die Mitarbeiter für effiziente Arbeit zusätzlich entlohnt werden. ## „Mentale Belastung der Unternehmer macht mir Sorgen“ Nicht zuletzt ist ein starkes Team im Rücken auch für die Inhaberinnen und Inhaber selbst enorm wichtig. Denn Unternehmensberater Stefan Höslinger beobachtet seit einigen Monaten einen besorgniserregenden Trend: „Die mentale Belastung der Betriebsinhaber nimmt zu. Viele sehen nicht mehr positiv nach vorn, sondern fühlen sich getrieben und gestresst. Wir spüren eine extreme Verunsicherung – sowohl bei den Konsumenten als auch bei den Inhabern und Mitarbeitern.“ Deshalb gab der Branchenexperte Betrieben abschließend noch einen Rat mit auf den Weg: „Definieren Sie Ihre Aufgaben und schauen Sie, welche davon Sie auch an Mitarbeiter aus Ihrem Team übertragen können. Konzentrieren Sie sich darauf, am Unternehmen und nicht im Unternehmen zu arbeiten.“ Eine klare Aufgabenverteilung mache die Herausforderungen der Zukunft überschau- und händelbarer. Denn – und auch darin herrschte Einigkeit innerhalb der Talkrunde – aufgrund der dynamischen Marktlage ist es aktuell schwierig, Prognosen für das kommende Jahr abzugeben. „Eine realistische Jahresplanung auf Basis von Kennzahlen“ ist gemäß Frank Steinbreder deshalb das einzige Mittel, um überhaupt auf mögliche Unwägbarkeiten zu reagieren – „welche das in Zukunft auch sein mögen“.
Lesens Wert

Mehr zum Thema