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2022-11-23T11:10:30+0000

„Dieser Job war mein Ziel, seitdem ich 19 war“

Wer Alice Ruthardt trifft und mit ihr über ihren beruflichen Werdegang spricht, der merkt schnell: Diese Frau ist eine Powerfrau. Immer das Ziel vor Augen, beißt sie sich durch, was auch kommen mag. 39 Jahre alt, arbeitet sie seit 2019 als Gebietsleiterin für Frankfurt bei Glasurit. Davor war sie bei dem Lackhersteller Deutschlands erste Vorführmeisterin. „Dieser Job war mein Traum und mein Ziel, seitdem ich 19 Jahre alt war“, berichtet Alice Ruthardt im schaden.news-Interview. Dabei war der Weg dahin hart und steinig. ## Berufswahl sorgte für familiäre Spannungen und Mobbing am Ausbildungsplatz Denn bereits die Entscheidung, ins Handwerk zu gehen und Fahrzeuglackiererin zu werden, brachte für die damalige Abiturientin Spannungen in der Familie mit sich. Diese hatte sich für Alice Ruthardt eher eine akademische Laufbahn gewünscht. „Dabei hab ich schon immer gern Zeit in der Werkstatt verbracht, hatte bereits als Schülerin einen Ferienjob in einer Lackiererei“, berichtet sie über ihre Motivation. Diese hielt auch verschiedene Vorfälle während ihrer Lehre stand: In ihrem Ausbildungsbetrieb hörte sie Sprüche wie „Frauen haben in der Werkstatt nichts zu suchen“, musste Abluftschächte in eisiger Kälte auskratzen und die Zeit, die sie in der Berufsschule verbrachte, im Betrieb nacharbeiten. „Ich hab trotzdem weitergemacht. Weil ich es auch meiner Familie beweisen wollte“, berichtet sie. Erst im dritten Lehrjahr wurden ihre Berufsschullehrer auf die Missstände aufmerksam und unterstützen sie bei der Suche nach einem neuen Ausbildungsbetrieb. So erhielt Alice Ruthardt im Betrieb Brosi in Ludwigsburg ihren Gesellenbrief. ## Das Ziel: „Vorführmeisterin im weißen Dienstwagen“ Etwa zu dieser Zeit hatte sie eine Schulung bei einem Lackhändler und fand Gefallen am Beruf des Vorführmeisters. „Schnell wurde mir klar: Das möchte ich auch werden“, erinnert sie sich. Während die anderen in der Berufsschule es auch mal etwas ruhiger angehen ließen, arbeitete Alice Ruthardt zielstrebig, wurde 3. Kammersiegerin im Leistungswettbewerb 2004 und hatte stets ihre Zukunft vor Augen – „mit weißem Mercedes als Dienstwagen“, wie sie gegenüber schaden.news berichtet. ## Der Traum vom Boing-Lackieren zerplatzt Doch zunächst ging sie 2008 in die USA. Dort hatte sie ein Jobangebot bei einem Flugzeughersteller, um Boings zu lackieren. Dieser Traum zerplatzte mit der Wirtschaftskrise. Nach ihrer Rückkehr arbeitete sie zunächst bei einem Lackhändler und wurde dann Werkstattleiterin in einem K&L-Betrieb. Mit der Anmeldung für die Meisterschule kam die Kündigung von ihrem damaligen Arbeitgeber. In der BMW-Niederlassung in Offenbach leitete sie schließlich die Lackiererei, drückte abends und am Wochenende die Schulbank. „Die Erfahrungen, die ich in dieser Zeit gesammelt habe, sind unbezahlbar“, blickt Alice Ruthardt heute auf diese Zeit zurück. ## „Viele Betriebe wollen auch heute noch keine Frauen einstellen“ 2016 dann kam das Angebot von Glasurit. Eine Stelle als Vorführmeisterin. Sie hatte es geschafft. „Als ich meinen Dienstwagen abgeholt habe, hab ich Rotz und Wasser geheult“, berichtet die Fahrzeuglackierermeisterin. Ihrer Erfahrung nach gibt es inzwischen viele Betriebe, in denen Frauen in der Werkstatt willkommen sind. Aber es sind ihrer Meinung nach noch zu wenige. „Viele Betriebe möchten keine Frauen einstellen, weil sie sich mit dem Thema überfordert fühlen und Angst vor Unruhen in der Belegschaft haben“, äußert sie ihre Erfahrungen. Für Alice Ruthardt liegt auch genau da der Grund für viele Frauen, nicht ihr Berufsleben lang im K&L-Betrieb zu bleiben, sondern in die Industrie zu gehen. „Sie haben einfach keine Lust auf den Krieg in den eigenen Reihen.“ Ihre Botschaft an junge Frauen in männerdominierten Berufen: „Lasst Euch nicht unterkriegen. Wenn ihr ein Ziel vor Augen habt und Euch darauf fokussiert, dann könnt ihr genau dieses Ziel erreichen.“
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