2021-06-23T10:49:51+0000

Web-TV: Die Branche steckt im digitalen Umbruch

Wer zahlt die Digitalisierungskosten? Auf welche Daten greifen Innovation Group und HUK-Coburg in den Partnerwerkstätten zu? Und wird bei der Reparaturvermittlung künftig stärker selektiert? Dies waren nur einige Fragen, die beim [Schadentalk im Web-TV Mitte Juni](https://www.youtube.com/watch?v=Foh8eHg_HkQ) diskutiert wurden. Erstmals sprachen bei der Live-Sendung die „treibenden Kräfte der Digitalisierung in unserer Branche“ über ihre Pläne. Zu Gast waren Thomas Geck, Leiter Schadenprozessmanagement HUK-Coburg, und Matthew Whittall, Vorstandsvorsitzender der Innovation Group Deutschland sowie Erik Jahn, Mitglied der Geschäftsleitung von Audatex AUTOonline und Gerald Beese, Geschäftsführer des Schadenschutzverbandes (SSV), dem Werkstattnetz der HDI-Versicherung. ## Corona: Wie ist die aktuelle Lage? Zu Beginn der Sendung fragte Moderator und schaden.news-Chefredakteur Christian Simmert nach der aktuellen Entwicklung im Unfallschadenmarkt. Nach einem schlechten Jahresstart für SSV, HUK-Coburg und Innovation Group sei nun „Licht am Ende des Tunnels zu sehen“, wie Gerald Beese mit Verweis auf die positive Entwicklung seit März in der Sendung betonte. Bei Innovation Group bessere sich die Situation von Woche zu Woche und inzwischen lägen die gesteuerten Schäden laut Aussage von Matthew Whittall auf einem Niveau von 90 Prozent im Vergleich zu 2019. Ähnlich schätzt auch Thomas Geck die Lage bei der HUK-Coburg ein, der von einer „Trendumkehr“ sprach. Erik Jahn von Audatex AUTOonline bezweifelte mit Blick auf die Kalkulationen von Carisma jedoch, dass die klaffende Lücke durch die Krisenmonate Anfang des Jahres wieder aufgeholt werden könne. ## 15 Prozent der Schäden werden über Gateway gesteuert Ebenso wie bei der Markteinschätzung waren sich alle Beteiligten auch darin einig, dass die Corona-Krise nun auch in der Branche für einen Digitalisierungsschub sorgen wird. „Der Kfz-Schaden ist die letzte Bastion, die noch nicht gefallen ist“, sagte Matthew Whittall in Bezug auf die nahezu vollständige Digitalisierung im Alltag. Das will der der Schadensteuerer ändern. Mit dem cloudbasierten Schadenrouting Gateway, das seit Jahresbeginn im Markt ausgerollt wird. „Etwa 10 bis 15 Prozent unseres Geschäfts laufen bereits darüber. Aktuell mit den Versicherern WWK, Rheinland, Continental Europa und Ergo“, erklärte Matthew Whittall. Im laufenden Prozess arbeite man nun fortwährend an Verbesserungen, einer Verschlankung des Prozesses und der Umsetzung der immer strikteren Datenschutzbestimmungen. Die Vision sei jedoch jetzt schon Realität betonte er in dem Zusammenhang: „Wir können einen Schaden komplett auf dem Handy bearbeiten.“ ## Wie weit geht die HUK-Coburg? Das Digitale Autohaus, das von der HUK-Coburg in Kooperation mit Gudat Solutions jetzt im Werkstattnetz eingeführt wird, ist indes noch nicht ganz so weit. Aktuell endet der Prozess der Schadenmeldung für den Endkunden bei der Auswahl der Werkstatt. Hier solle künftig das Digitale Autohaus ansetzen, über welches der Kunde dann direkt einen Termin in der Werkstatt buchen kann und welches ihm über aktuelle Statusmeldungen zum Reparaturstand auf dem Laufenden hält. Thomas Geck, der während der Sendung
aus Coburg zugeschaltet war, erklärte: „Aktuell können wir nicht in Echtzeit mit den Werkstätten kommunizieren. Das ist das, was wir mit dem Digitalen Autohaus implementieren wollen.“ Über eine Cloud sollen dann Daten wie Reparaturbeginn, Verzögerung, Fertigstellung und Auslieferung zur Verfügung gestellt werden. ## HUK-Coburg: Kein Interesse an Ressourcen- und betriebswirtschaftlichen Daten In seinem Statement nahm Thomas Geck auch Bezug auf die drei Stunden zuvor gehaltene [Grundsatzrede von ZKF-Präsident Peter Börner](https://schaden.news/de/article/link/42365/interview-mit-zkf-praesident-peter-boerner) und stellte klar: „Nein, wir wollen nicht an die Ressourcen und die betriebswirtschaftliche Auswertung ran. Wir wollen genau an die genannten Daten, nicht mehr und nicht weniger.“ Der Zugriff auf den Werkstattkalender sei dabei natürlich erforderlich. Dieser solle im Idealfall live gepflegt und für alle offen sein, betonte er mit Verweis auf die Innovation Group, die – wie Matthew Whittall betonte – bereits eine Schnittstelle mit Gudat Solutions plant. „Uns interessiert, wie viel Aufträge kann und möchte eine Werkstatt wann von uns annehmen. Jetzt gibt es die Möglichkeit dazu und das birgt Chancen für uns alle“, betont der Vorstandsvorsitzende des Stuttgarter Schadensteuerers. Unter- oder Überlastungen könnte man so umgehen. ## Kommt die Schadensteuerung nach Preisindex wie bei Allianz und SPN? Moderator Christian Simmert fragte HUK-Coburg und Innovation Group konkret nach der Steuerung von Reparaturaufträgen, die sich am Stundenverrechnungssatz der Werkstatt orientiert. Die Allianz Versicherung hatte über das Werkstattportal von SPN nach einem entsprechenden Preisindex gesteuert. „Können Sie ausschließen, dass künftig nach Preis gesteuert wird?“, fragte der schaden.news-Chefredakteur ganz bewusst. Thomas Geck entgegnete daraufhin: „Ich halte es nicht für sinnvoll, nur nach Preis zu steuern.“ Das bestätigte auch Matthew Whittall „Wir steuern nicht im Einzelfall nach Preis, wir haben fünf unterschiedliche Faktoren die in das Routing einfließen.“ ## Audatex AUTOonline: „Wir wollen für einen Interessenausgleich sorgen“ Die größte Herausforderung der Digitalisierung in der Schadenregulierung bestünde darin, betonte Erik Jahn mehrfach während der Sendung, alle am Prozess beteiligten auf diesem Weg mitzunehmen. „Bis die Prozesse umgestaltet sind und tatsächlich genutzt wird, was die Technik heute schon kann, wird es noch einige Jahre dauern“, gab er darüber hinaus zu bedenken. Er stellte fest: „Die Branche steckt mitten im digitalen Umbruch.“ Audatex AUTOonline käme im Digitalisierungsprozess eine „Connectoren“-Rolle zu, wie Erik Jahn sagte, „um unterschiedliche Systeme aneinander andocken zu lassen, damit die Werkstatt am Ende des Tages verschiedene Anbieter bedienen kann“. Eine Schnittstelle von Carisma zu Gateway befinde sich aktuell in der Pilotphase und werde vermutlich in einigen Wochen in den Markt gehen. Auch zum Digitalen Autohaus soll es später eine Verbindung geben. „Was jedoch letztlich über diese Schnittstellen ausgetauscht wird, das vereinbaren die Versicherung und die Werkstatt miteinander.“ ## SSV: Schadenmeldungen per Telefon werden weiterhin die Regel sein Der Schadenschutzverbandes (SSV), das Werkstattnetz der HDI-Versicherung, hat
hingegen eine andere Einschätzung und hält die persönliche Kommunikation in der Unfallschadenregulierung nach wie vor für entscheidend. „Wir müssen omni-kanalfähig sein und digitale Angebote machen, aber ob das immer genutzt wird, wird sich zeigen“, betonte Gerald Beese. Denn, so der SSV-Geschäftsführer, nach wie vor ginge ein Großteil der Schadenmeldungen bei der SSV per Telefon ein. Im SSV-Netzwerk sei die Digitalisierung deshalb Sache der Werkstatt. „Wir erwarten und sehen auch, dass unsere Partner in Digitalisierung investieren, aber wir machen keine harten Vorschriften.“ Statt in Digitalisierung habe man während der Corona-Zeit „massiv in die Qualität der Partnerbetriebe investiert“. Ein Ansatz, der offensichtlich gut funktioniert – auch gegenüber den Endkunden: „98 Prozent unserer Kunden sind mit dem Gesamtprozess von Schadenmeldung bis Schadenregulierung zufrieden.“ ## Innovation Group will Provisionszahlungen nicht erhöhen Unterschiedliche Herangehensweisen gibt es auch bei der Finanzierung der digitalen Strukturen. So betonte Matthew Whittall, dass die Integration von Gateway für die Partnerbetriebe kostenfrei erfolge. Auf direkte Nachfrage von Moderator Christian Simmert bestätigte er zudem, dass die Provisionszahlungen in Zusammenhang mit Gateway nicht erhöht werden. ## „Wir sehen uns nicht in der Pflicht, das Ganze zu bezahlen“ Anders sieht es beim Digitalen Autohaus von der HUK-Coburg aus. [Wie schaden.news bereits im April berichtete, werden eine Einrichtungsgebühr pro Standort von 2.100 Euro und weitere 195 Euro Lizenzkosten monatlich fällig.](https://schaden.news/de/article/link/42239/huk-coburg-rekordergebnisse-im-krisen-jahr) Warum Deutschlands größter Direktversicherer trotz eines Jahresüberschuss von 400 Millionen Euro im Jahr 2020, die Finanzierung nicht übernimmt, erklärte Thomas Geck wie folgt: „Das digitale Autohaus ist eine Software, die der Werkstatt dient und sie tatsächlich unterstützt.“ Das System arbeite im Falle einer Ersatzteilverzögerung vollautmotisch und nehme der Werkstatt damit viel Arbeit ab. „Und da sehen wir uns auch nicht in der Pflicht das Ganze zu bezahlen.“ Zudem liege, so Thomas Geck weiter, der monatliche Lizenzpreis deutlich unter dem, was Betriebe sonst investieren müssten, um ein vergleichbares System beim Wettbewerb einzukaufen. ## Mehr Vertrauen, mehr Offenheit für die Zukunft Abschließend äußerten sich die Talkgäste dazu, was alle am Markt Beteiligten jetzt gemeinsam anpacken müssen, um die Digitalisierung in der Branche reibungslos zu gestalten. Gerald Beese bezeichnete dies als „Philosophie und Haltungsfrage“ und beantwortete diese mit einem stetigen Verbesserungswillen aller Beteiligten. Thomas Geck forderte mehr „Grundvertrauen“ und „mit dieser Misstrauensdiskussion aufzuhören“. Matthew Whittall appellierte für „Offenheit auf beiden Seiten“ und Erik Jahn betonte abschließend: „Unsere Last, die wir alle gemeinsam tragen müssen, liegt daran, alles so umzusetzen, dass es kundengerecht und wirtschaftlich ist.“
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