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2021-07-06T09:10:16+0000

AZT Schadenforschung E-Fahrzeuge: „Schadenbilder wie bei Verbrennern“

Jährlich nehmen die Schadenforscher beim Allianz Zentrum für Technik mehrere hundert Schäden an Elektrofahrzeugen genauer unter die Lupe: „Regelmäßig schauen wir uns beispielsweise Schadenbilder an, bei denen Hochvoltfahrzeuge in Brand geraten sind", berichtet Carsten Reinkemeyer. Er ist Leiter des Referats für Fahrzeugtechnik beim Allianz Zentrum für Technik. Die Analyse von Schäden an E-Fahrzeugen ist eines seiner Schwerpunktthemen. ## Forderung nach Standards bei Vorgehen im Brandfall Bei derart schwerbeschädigten HV-Fahrzeugen reicht der Qualifikationsstand von Werkstattmitarbeitern nicht mehr aus. „In diesen Fällen muss zwingend der Hersteller mit einbezogen werden", betont Carsten Reinkemeyer. Momentan gebe es für das weitere Vorgehen in solch einem Schadenfall jedoch noch keine Standards, sondern jeder Hersteller verfolgt einen anderen Weg. Um einen einheitlichen Standard für die Verfahrensweise von verunfallten E-Fahrzeugen mit Brandgeschehen zu erreichen, hat das AZT gemeinsam mit dem GDV bereits die Hersteller und die Verbände VDA und VDIK angesprochen. Insbesondere müssen praxisgerechte Informationen zum Umgang mit solchen Fahrzeugen und spezifischen Prozessen für alle Beteiligten einfach verfügbar gemacht werden. ## „Die modulare Reparatur muss zukünftig möglich sein" Auch hinsichtlich der Verbauweise hat das AZT Forderungen an die Automobilhersteller: „Die modulare Reparatur muss möglich sein, sonst entstehen bereits durch kleinere Kollisionsschäden oder Marderschäden schnell Totalschäden – das ist völlig entgegen dem Werterhaltungsgedanken und hat mit Nachhaltigkeit nichts zu tun." Hintergrund: Bestimmte Teile im E-Fahrzeug sind momentan noch so komplex mit anderen verbaut, dass diese im Schadenfall nur in Gesamtheit ausgetauscht werden können – ein immenser Kostentreiber bei der Reparatur. Das betrifft insbesondere pauschale Austauschvorgaben bei der Hochvolt-Batterie, die schon bei noch jungen Fahrzeugen mit hohen Werten eine Reparatur unrentabel machen können. Teure Leitungssätze oder arbeitsintensive Austauschmaßnahmen können dann einem etwas älteren HV-Fahrzeug schnell den Garaus machen. ## Stetig wachsender Datenpool für Untersuchung von Schäden an E-Fahrzeugen Für die Forschungen greifen Carsten Reinkemeyer und sein Team inzwischen auf einen umfangreichen Pool an Schäden an E-Fahrzeugen zurück. Die steigende Anzahl an neuzugelassenen Autos mit Elektro-Antrieb ist für das AZT-Team dabei von Vorteil. Carsten Reinkemeyer zieht einen Vergleich: „Von 1985 bis 2017 haben wir für unsere Untersuchungen die Daten von 343 Vollkaskoschäden von Fahrzeugen mit Elektro-Antrieb und nennenswerter elektrischer Reichtweite – darunter noch zahlreiche Umbauten– nutzen können. Allein für den Zeitraum 2019 bis 2020 greifen wir schon auf mehr als 3.700 Vollkasko Schäden an solchen HV-Fahrzeugen zurück." Bereits in den Jahren vor 2017 wurden ganz analog als Trendsetter die Hybrid-Fahrzeuge ohne große elektrische Reichweite beobachtet, deren Erkenntnisse laut Carsten Reinkemeyer zur Einschätzung der
neueren Erfahrungen nun hilfreich sind. ## „Das Schadengeschehen wird sich normalisieren" Grundsätzlich sieht der Experte gerade bei E-Fahrzeugen jedoch eine lange Lebensdauer, begründet durch weniger verschleißanfällige Bauteile. Gerade der Batterietausch werde über lange Sicht eine wesentliche Rolle beim Umgang mit E-Fahrzeugen spielen. Auch die Reichweiten der E-Fahrzeuge werden sich zukünftig noch weiter verändern, ist sich Carsten Reinkemeyer sicher. „Durch die in der Folge veränderte Nutzung wird es zukünftig auch ein anderes Schadengeschehen geben: Dieses wird sich normalisieren und keine großen Unterschiede zu Verbrennerfahrzeugen mehr aufweisen. Zudem werden zukünftig mehr und mehr Hochvolt-Fahrzeuge in den älteren Bestand durchsickern, was laut Carsten Reinkemeyer zum Abwandern von der spezialisierten Markenwerkstatt hin zur freien Werkstatt sorgen wird. Die Folge: „Zukünftig werden immer mehr normale K&L-Betriebe mit der Reparatur der E-Fahrzeuge beauftragt werden. Diese sollten sich daher jetzt schon mit ihrem Know-how und ihrer Ausrüstung so gut wie möglich auf das Segment einstellen", rät Carsten Reinkemeyer den Werkstätten. ## E-Mobilität Schwerpunkt bei SV-Schulungen Das Wissen, das das AZT aus seinen Forschungen und Analysen gewinnt, fließt auch in die Schulungen der Allianz-Sachverständigen ein. Im jährlich neu aufgelegten Schulungsprogramm des AZT ist das Thema E-Mobilität daher ein wichtiger Schwerpunkt. Carsten Reinkemeyer erklärt: „Die Sachverständigen sind hier einmal mehr das Bindeglied zur Werkstatt. Sie müssen wissen, was die Reparaturziele für die Betriebe sein müssen und durch welche Wege diese eine fachgerechte Reparatur sicherstellen können." Für die Zukunft sieht der Experte in Elektro-PKW nur eins von vielen Segmenten, das sich hinsichtlich der E-Mobilität weiterentwickeln wird. Er ist sich sicher: „Elektroantrieb wird sich zukünftig auch für Lkw und Nutzfahrzeuge verstärkt durchsetzen."