2021-05-26T11:53:49+0000

Vorschadenproblematik: „Es gibt gute Gründe, die bestehende Praxis zu ändern“

Die aktuellen Entwicklungen um die Verweigerung der Erstattung von Wiederbeschaffungswert und Sachverständigenkosten spitzen sich weiter zu. Inzwischen ist bekannt, dass auch weitere Versicherer die Kosten im Totalschadenfall nicht erstatten. Henning Hamann, Geschäftsführer der ETL Kanzlei Voigt, Deutschlands größter auf Verkehrsrecht spezialisierten Anwaltskanzlei, lud deswegen vergangene Woche (20.05.) zu einem Sonder-Webinar ein. Über 700 Interessierte waren der Einladung gefolgt. ## Was steht im Schreiben der HUK-Coburg konkret? Im Mittelpunkt des Sonder-Webinars stand das aktuelle Schreiben der HUK-Coburg, welches seit Kurzem Geschädigte erhalten, die in einem Totalschadenfall mit Alt- oder Vorschaden den Wiederbeschaffungswert per Sachverständigengutachten ermitteln lassen haben. Eine interaktive Umfrage während der Live-Veranstaltung ergab, dass erst 25 Prozent der insgesamt über 700 Teilnehmer Kenntnis von diesem Schreiben hatten. In dem Schreiben (siehe Foto oben) verweist der Versicherer auf die „Darlegungs- und Beweislast“ des Geschädigten, dass der geltend gemachte Schaden nicht „durch ein vorheriges Schadenereignis entstanden ist.“ Weiter heißt es: „Konkret bedeutet dies, dass der Geschädigte […] verpflichtet ist, die Vorschäden im Detail […] schlüssig darzulegen“, da andernfalls die Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes nicht nachvollziehbar sei. Weiter heißt es: „Diesen Anforderungen werden die eingereichten Unterlagen nicht gerecht.“ In der Folge wird die Erstattung des Wiederbeschaffungswertes sowie der Sachverständigenkosten – da das Gutachten als unbrauchbar eingestuft wird – verweigert. ## Welche Aussagekraft haben die Urteile? Untermauert werden die einzelnen Passagen mit insgesamt fünf Gerichtsurteilen, die Henning Hamann alle einzeln vorstellt und analysiert. Der Experte kommt zu dem Schluss: „Von den fünf Urteilen betreffen vier keine Totalschäden und geben zudem die seit Jahren bestehende Rechtsprechung wider. Das fünfte Urteil vom Oberlandesgericht Celle in 2017 gilt keinesfalls als gesicherte Rechtsprechung, sondern als Extremfall, weil sich das Gericht über den vom gerichtlichen Gutachter ermittelten Wiederbeschaffungswert hinweggesetzt hat.“ ## Generelles Problem mit Intransparenz? Bezugnehmend auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus 2009 zur korrekten Wertermittlung (eine ausführliche Erklärung zum Urteil erhalten Sie in unserem Studiointerview mit Henning Hamann) betont der Experte: „es besteht eine gewisse Gefahr dafür, dass die Rechtsprechung des BGH auf den Wiederbeschaffungswert
übertragen werden kann.“ Wäre dies der Fall, dann könne es zu „einem generellen Problem kommen, was die Transparenz der Gutachten angeht!“. Das unterstreicht zumindest auch die Auswertung der zweiten in diesem Rahmen durchgeführten Umfrage der ETL Kanzlei Voigt. Lediglich 14 Prozent der Teilnehmer gaben an, „konkrete Wiederbeschaffungswertangebote im Gutachten aufzuzeigen“. ## Gefährliche Entwicklung Im Rahmen seiner Ausführungen betonte der Rechtsanwalt außerdem, dass inzwischen nicht nur die HUK-Coburg derartige Schreiben verschicke, sondern dass nach aktuellem Stand „auch die R+V sowie die Verti-Versicherung auf diesen Zug aufgesprungen sind.“ Dies sei, so der Experte weiter, „eine gefährliche Entwicklung“ und „ein guter Grund, um die bisherige Praxis zu ändern.“ ## „Nutzen Sie Ihren Sachverstand!“ Nach der ausführlichen Darlegung der aktuellen Situation gab der Experte den Teilnehmern zuguter Letzt auch konkrete Handlungsempfehlungen an die Hand: - Verzichten Sie auf Platzhalter und inhaltsleere Textbausteine im Gutachten - Nutzen Sie alle Ihnen zur Verfügung stehenden Recherchemöglichkeiten - Benennen und belegen Sie einen Wertkorridor und fügen Sie diese Vergleichsangebote als Anhang zum Gutachten bei - Bewerten Sie konkret Abzüge von Vor- und Altschäden Abschließend appellierte er: „Nutzen Sie Ihren Sachverstand!“ Auch entsprechende Formulierungsvorschläge lieferte der Experte gleich mit (siehe dazu letztes Foto in der Bildergalerie). Ob diese letztlich vor derartigen Schreiben der Versicherer schützen, würden die gerichtlichen Entscheidungen der nächsten Monate und Jahre zeigen“, resümierte Henning Hamann.
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