2020-12-01T23:00:00+0000

Lackieren im Winter: So vermeiden Sie teure Nacharbeit

Spätestens, wenn am Morgen der Eiskratzer zum Einsatz kommt und die Werkstattheizung hochgefahren wird, sollten Lackierer ihre Arbeitsprozesse an die kalte Jahreszeit anpassen. Worauf besonders zu achten ist, erklären im Folgenden die Lack-Spezialisten von AkzoNobel, BASF, PPG und Sherwin-Williams. ## Gründliche Fahrzeugreinigung durchführen Noch vor den ersten Schleifarbeiten, ist gerade im Winter auf eine gründliche Reinigung zu achten, erklärt Hendrik Franke, Regional Technical Manager bei BASF: „Verbleiben Streusalzreste auf der Oberfläche, besteht ansonsten die Gefahr, dass diese in die Oberfläche eingearbeitet werden. In den Schleifriefen wird dann ein Osmose-Prozess in Gang gesetzt, bei dem die Luftfeuchtigkeit in den Untergrund gezogen wird und zu einem späteren Zeitpunkt zur Blasenbildung führen kann.“ Marcel Baar, Technical Specialist und Trainer beim Lackhersteller Sherwin-Williams, rät außerdem: „Noch bevor der eigentliche Silikonentferner zum Einsatz kommt, sollte die Oberfläche zunächst mithilfe eines wässrigen Reinigers von Salzresten befreit werden. Für diesen Fall haben wir spezielle Produkte im Programm, welche den Untergrund auch unter schwierigen Bedingungen optimal vorbereiten“. ## Viskosität des Materials ändert sich bei Kälte Ob im Vorbereitungsbereich oder in der Spritzkabine: Je kälter die Materialien sind, desto dickflüssiger werden sie und lassen sich dann nicht so gut verarbeiten wie gewohnt. Die höhere Viskosität bewirkt, dass Oberflächen weniger glatt und wie vernarbt wirken: „Weniger erfahrene Lackierer neigen dazu, diesen als Orangenhaut bekannten Effekt durch den Auftrag zusätzlicher Lackschichten ausgleichen zu wollen. Ändert sich dann im Laufe des Trocknungsprozesses abermals die Viskosität, können sich an diesen überbeschichteten Stellen Lackkocher oder -läufer bilden“, erklärt Sven Neumann, Produktmanager DACH bei PPG. Bis zu einem gewissen Grad könne man dieses Materialverhalten durch den Einsatz von Härtern und Verdünnern ausgleichen. Um die gewohnte Trocknungszeit einzuhalten, rät Marcel Baar zu einer kürzeren Einstellung der Materialien: „Wir haben für alle klimatischen Bedingungen angepasste Härter und Verdünner im Portfolio, damit unsere Kunden optimale Ergebnisse erzielen können". ## Auf richtige Materialtemperatur achten Wesentlich besser, als durch den Zusatz von Härtern oder Verdünnern auf die veränderten Witterungsverhältnisse zu reagieren, sei es jedoch, das Materialverhalten über die richtige Lagerungs- und Verarbeitungstemperatur zu steuern: „Wenn die Temperaturen im Toleranzbereich zwischen 20 und 23 Grad liegen, besteht kein großer Bedarf an zusätzlichen Produktkombinationen“, betont Albert Betger, Technical Service Specialist bei AkzoNobel. Wichtig sei auch, dass entlang der einzelnen Arbeitsschritte und -stationen keine größeren Temperaturdifferenzen auftreten, so der Fachmann. Marcel Baar ergänzt: „Um in der kälteren Jahreszeit ganz sicherzugehen, sollte darauf geachtet werden, Wasserlacke zum einen nur über zertifizierte Vertriebskanäle zu beziehen und zum anderen, dass die Anlieferung dabei in Thermoboxen erfolgt. Moderne wasserbasierende Produkte reagieren zum Teil empfindlich auf Kälte“. Keinesfalls sollten die Kannen oder Gebinde direkt auf dem kalten Hallenboden abgestellt werden. Das Material sollte zudem in einem beheizten Raum, oder falls notwendig, einer beheizten Mischanlage gelagert werden. ## Temperatur von Kabine und Druckluft checken Um sicherzugehen, dass die Lackierprodukte ausreichend durchtrocknen, sei es zudem sinnvoll, mit einem Thermometer nachzumessen, welche Temperaturen der Trockenofen tatsächlich erreicht. Der AkzoNobel-Trainer empfiehlt: „Herrschen draußen Minusgrade,
sollte der Lackierer vor dem Trocknen prüfen, ob tatsächlich die Soll-Temperatur von 60 Grad erreicht wird, damit beim Finish die Polierfähigkeit der Oberfläche gegeben ist. Um Oberflächenstörungen zu vermeiden, muss ansonsten die Trocknungstemperatur angehoben werden oder mittels IRT-Strahler nachgetrocknet werden.“ Wird außerhalb der Kabine gearbeitet, sollte zudem die Temperatur der Kompressorluft bedacht werden, betont Sven Neumann von PPG: „Bei einer Spot Repair, an Multifunktionsarbeitsplätzen oder Füllerständen kann die abgegebene Druckluft unter Umständen den Verlauf negativ beeinflussen, wenn sie durch kalte Zonen oder Räume geführt wird. Optional kann mit einer ensutec Anlage gearbeitet werden, die konstant 30 Grad warme und ionisierte Luft liefert.“ ## Trockene Luft kann Materialverhalten beeinflussen Auch die im Winter durch die höhere Kabinentemperatur deutlich geringere Luftfeuchtigkeit beeinflusst den Lackierprozess: „Die trockenere Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen und die Ablüftzeiten sind dann gerade bei Wasserbasislacken viel geringer. Bei unserer Reihe 90 und der Reihe 100 sehen wir hier allerdings keinen speziellen Handlungsbedarf, da man auch bei solchen Witterungsbedingungen mit den Standardeinstellungen gut lackieren kann“, erklärt Hendrik Franke. Ähnlich verhalte es sich auch bei den Lacken von Sherwin Williams, die laut Hersteller ebenfalls auf alle klimatischen Bedingungen optimiert seien. Insbesondere Overspray trete häufig bei zu trockener Luft auf, erklärt Albert Betger: „Besonders beim Einlackieren von größeren Flächen kommt der Farbnebel dann zu trocken auf die Oberfläche.“ Bei lufttrocknenden Klarlacken könne man häufig feststellen, dass diese viel länger zum Trocknen benötigten: „Der Einsatz des Paint PerformAir erleichtert hier die Arbeit des Lackierers enorm, denn das Gerät reguliert in Abhängigkeit der klimatischen Bedingungen automatisch die Luftfeuchtigkeit und die Trocknung vollzieht sich innerhalb der üblichen Zeiten.“ ## Achtung bei kalten Oberflächen! Stimmen zwar die Raum- und Materialtemperatur, doch ist die Fahrzeugoberfläche zu kalt, kann Kondensationsfeuchtigkeit das Auftreten von Blasen oder Vermattungen hervorrufen: „Die in der Umgebungsluft enthaltende Feuchtigkeit legt sich dann wie ein Film um das Objekt. Dann besteht die Gefahr, dass die Materialien nicht mehr so gut auf der Oberfläche haften und es im weiteren Verlauf zu Blasenbildung kommt“, erklärt Hendrik Franke. Vor dem Lackieren sollte das Auto beziehungsweise die zu reparierende Stelle unbedingt Raumtemperatur erreicht haben, betont deshalb Marcel Baar von Sherwin-Williams. Einzelne Baugruppen könnten in Ausnahmefällen auch mit einem IR-Strahler vorgewärmt werden. Seiner Meinung nach sollten die Fahrzeuge prinzipiell über Nacht in der Halle stehen. Die Feuchtigkeitsbildung beeinflusst allerdings nicht nur die Lackierung selbst, sondern kann bereits bei der Farbtonmessung für unangenehme Überraschungen sorgen, weiß Albert Betger: „Wird mit einem digitalen Spektralfotometer gearbeitet, kann die Feuchtigkeit auf der Objektoberfläche die Messwerte verfälschen. Dasselbe gilt auch für die zu kalte Lagerung des Geräts selbst. Die Kondensationsfeuchte kann sich dann wie eine trübe Linse auswirken und die Farbtonfindung erschweren.“ ## Was ist mit Lacken in automatischen Mischmaschinen? Da viele Betriebe inzwischen automatische Mischmaschinen in der Lackiererei nutzen, stellt sich die Frage, wie es sich mit den darin enthaltenen Lackmaterialien im Winter verhält. Alle Lackhersteller verwiesen in diesem Zusammenhang darauf, dass bei einer normalen Umgebungstemperatur generell kein gesonderter Handlungsbedarf besteht. Sollte der Temperaturbereich im Mischraum jedoch nicht eingehalten werden können, gibt es beispielsweise für die ColorMatchic von AkzoNobel oder auch für die MoonWalk von PPG zusätzlich optionale Heizmodule. „Dieses Heizmodul garantiert eine korrekte Temperatur der Mischlacke, wodurch die Fehlerquelle der zu kalten Produkte und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Performance und das Endergebnis der Lackierung vermieden wird“, erklärt Sven Neumann von PPG. Der Sherwin-Williams Experte, Marcel Baar, betont abschließend: „Unsere Collision Core Pronto verfügt herstellerseitig bereits über eine Temperierung, damit die Toner immer optimal gelagert und einsatzbereit sind.“ _Anmerkung der Redaktion: Artikel im November 2024 aktualisiert_
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