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2017-05-22T11:47:54+0000
# Rechtstipp: Kalibrierungsfahrten nach dem Scheibentausch Für einen einwandfreien und herstellerkonformen Frontscheibenwechsel reichen Sauberkeit und Genauigkeit längst nicht mehr aus. Denn während Montagefehler bei Regensensoren unkritisch sind, können diese lebensbedrohende Konsequenzen nach sich ziehen, wenn die Sensoren oder Kameras sicherheitsrelevante Funktionen übernehmen. „Als Beispiele seien die Steuerung von Matrixscheinwerfern oder Spurhalte- und Abstandserkennungssysteme genannt“, erklärt Dr. Wolf-Henning Hammer, Rechtsanwalt bei der ETL Kanzlei Voigt. „Die möglichen Folgen einer nachlässigen Montage reichen dann von der Blendung des Gegenverkehrs über Auffahrunfälle bis hin zum Verlassen der Fahrbahn. So führt z.B. eine Differenz von nur einem Grad bei der für den Spurhalteassistenten zuständigen Kamera auf 100 Meter Strecke zu einer Abweichung von fast 1,8 Metern. Das Risiko wird deutlich, wenn man bedenkt, dass ein mit einer Geschwindigkeit von 150 km/h fahrendes Auto diese innerhalb von 2,4 Sekunden zurücklegt.“ Auch die Konsequenzen einer fehlerhaft angeschlossenen Kameraheizung können gravierend sein, wenn die Scheibe bei niedrigen Temperaturen beschlägt und z.B. die Verkehrszeichenerkennung nicht korrekt funktioniert. ## **Was ist bei der Kalibrierung zu beachten?** Die Vorgehensweise ist herstellerabhängig verschieden, wobei grundsätzlich in statische und dynamische Kalibrierung unterschieden wird. Die dynamische Kalibrierung hat den Vorteil, dass
sie quasi „selbsttätig“ erfolgt. Zur Initialisierung versetzt der Servicemitarbeiter das Steuergerät per Diagnosegerät in den Kalibrierungsmodus. Während der vorgeschriebenen Kalibrierungsfahrt stimmen sich die Komponenten anschließend selbsttätig ab. Der Rechtsanwalt betont: „Diese Fahrt sollte auch tatsächlich von der Werkstatt durchgeführt werden. Keinesfalls darf der Automatismus dazu verleiten, das Signal vor Rückgabe des Fahrzeugs an den Kunden zu setzen und ihm quasi die Kalibrierungsfahrt zu überlassen.“ Denn abgesehen von den Gefahren, die aus der fehlenden Abstimmung der Komponenten resultieren, muss die Kalibrierungsfahrt nach einem vom Hersteller genau festgelegten Muster erfolgen. Und wenn das System z.B. eine durchgängige Fahrt mit fest vorgegebener Dauer und Geschwindigkeit vorschreibt, der Kunde aber im städtischen Stau festhängt, kann es passieren, dass das System die Kalibrierung abbricht. Dies gilt auch für den Fall, dass der Kunde eine Strecke fährt, auf der die erforderlichen klaren Referenzmarken fehlen. ## **Unterlass der Kalibrierungsfahrt führt zu erheblichen Risiken** „Die rechtlichen Folgen für die Werkstatt sind gravierend“, erläutert Wolf Henning Hammer. „Da die geschuldete Leistung nicht vollständig erbracht wurde, ist auch der Werklohn (noch) nicht fällig. Zudem drohen haftungsrechtliche, mitunter existenzbedrohende Konsequenzen, wenn es infolge der unterlassenen Kalibrierungsfahrt zu einem Unfall kommt.“ Hinzu komme der vermeidbare Betrugsvorwurf nach § 263 StGB, wenn die nicht durchgeführte Kalibrierungsfahrt berechnet wurde. Der Rechtsanwalt empfiehlt: „Die sicherste Methode derartige Probleme zu vermeiden ist es, die vorgeschriebene Kalibrierungsfahrt auch tatsächlich mit einem angeschlossenen Diagnosegerät mit der modellspezifischen Software durchzuführen und anschließend mit einem Protokollausdruck zu dokumentieren.“
## **Was tun bei Leistungsverweigerung des Versicherers?** Dies gelte auch für die Abrechnung mit dem Versicherer. „Hier kommt es insbesondere beim Kaskoschaden immer wieder zu Problemen, wenn der Versicherer sich auf die Bedingungen beruft und die Erstattung der Kosten für die Kalibrierung der Assistenzsysteme verweigert“, unterstreicht Wolf-Henning Hammer. So heißt es z.B. in den aktuellen Musterbedingungen des GDV unter Punkt A.2.2.1.5_: „Nicht zur Verglasung gehören Glas- und Kunststoffteile von Mess-, Assistenz-, Kamera- und Informationssystemen, Solarmodulen, Displays, Monitoren sowie Leuchtmittel. Nicht versichert sind Folgeschäden.“_ Das Fazit des ETL-Rechtsanwalts: „Ist der Ausschluss eindeutig, gibt es regelmäßig nichts zu rütteln. Wo der Versicherer allerdings versucht, sich mit schwammigen Argumenten aus der Affäre zu ziehen, sollte sich die Werkstatt gar nicht erst auf eine Diskussion mit dem Versicherer einlassen, sondern gleich einen versierten Anwalt zu Rate ziehen.“ Dies gelte unabhängig davon, ob es sich um die dynamische oder statische Kalibrierung handelt.