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2025-10-29T10:35:25+0000

Digitales Schadenmanagement: „Wir stehen am Anfang der Entwicklung“

_Das Schadenmanagement steht vor einem digitalen Umbruch. Beispielsweise setzt DEKRA gemeinsam mit dem Technologie-Partner Spearhead auf KI-gestützte Prozesse, die Abläufe für Versicherer, Werkstätten und Kunden spürbar beschleunigen sollen. Christoph Mennicken, Head of Digital C&E Services der Region Deutschland, Österreich und Schweiz bei DEKRA, erklärt im Gespräch mit schaden.news, wie digitale Prozesse allen im Schadenfall Beteiligten konkret nutzen – und weshalb trotz aller Automatisierung die Rolle des Sachverständigen unverzichtbar bleibt. _ __Herr Mennicken, DEKRA hat vor rund eineinhalb Jahren das digitale Schadenmanagement ausgerollt. Ein wichtiger Baustein dabei ist die Kooperation mit dem Technologie-Unternehmen Spearhead. Wie kam es eigentlich zur Zusammenarbeit zwischen DEKRA und Spearhead?__ __Christoph Mennicken: __Spearhead wurde 2015 gegründet und war ein Jahr später aktiv. Durch die enge Verbindung zu unserem Vorsitzenden der Geschäftsführung, Guido Kutschera, kam das Thema früh in unsere Abteilung. Ich habe die Lösung damals intensiv getestet, etwa indem ich Daten aus der Unfallforschung parallel von Sachverständigen und von Spearhead auswerten ließ. Die Ergebnisse waren beeindruckend – und zeigten, dass die Kombination aus Sachverstand, Technologie und KI-Kompetenz genau das richtige Fundament ist. 2016 haben wir dann die Kooperation gestartet, Spearhead finanziell wie organisatorisch und auch mit Know-How unterstützt und gemeinsam das Dienstleistungsangebot aufgebaut. Inzwischen hat DEKRA die Mehrheit an dem Unternehmen übernommen. __Heute sprechen alle von Automatisierung und KI. Wie setzen Sie diese Komponenten konkret im Schadenmanagement ein?__ __Christoph Mennicken: __ Unser System deckt das komplette Spektrum ab – von Vollkasko bis Haftpflicht. Wir können Bilder analysieren, Telematikdaten verarbeiten und den Geschädigten digital einbinden. Daraus entsteht ein digitales Schadenbild, quasi der „digitale Sachverständige“. Ziel ist nicht, den Menschen zu ersetzen, sondern Prozesse effizienter zu machen. Etwa 80 Prozent der Fälle lassen sich so beschleunigen, aber am Ende bleibt immer die Expertise eines Sachverständigen unverzichtbar. __Können Sie das Prinzip des digitalen Schadenmanagements bei DEKRA einmal in wenigen Sätzen erklären?__ __Christoph Mennicken: __ Im Kern geht es darum, die Informationen, die bei einem Schaden anfallen, möglichst früh digital zu erfassen – egal ob per Telematik, Foto-Upload, online oder in der Hotline. Diese Daten werden intelligent ausgewertet, um ein möglichst präzises Bild des Schadens zu erzeugen. Auf dieser Basis können wir Prozesse automatisieren: von der Deckungsprüfung über die Schadenkalkulation bis hin zur schnellen Freigabe für die Werkstatt. Der Kunde profitiert von Transparenz und Tempo, die Versicherung von Effizienz und unsere Sachverständigen davon, dass sie gezielt dort eingesetzt werden, wo wirklich Expertise gefragt ist. __Vertrauen spielt bei digitalen Prozessen eine große Rolle. Wie reagieren die Autofahrer als Endkunden?__ __Christoph Mennicken: __ Wir müssen uns immer vor Augen führen: Es gibt nicht nur technologieaffine Autofahrer, sondern auch den analogen Kunden. Deshalb ist Transparenz entscheidend. Einige Autofahrer fragen sich vielleicht: „Verzichte ich auf Ansprüche, wenn ich mich auf eine digitale Schadenmeldung einlasse?“ – die muss man dann auch abholen. Wir haben Studien mit Probanden durchgeführt, um Abläufe zu testen und zu verbessern. Wichtig ist, dass der Kunde jederzeit aussteigen und auf den klassischen Weg zurückgehen kann. Denn Digitalisierung darf nie als Zwang empfunden werden. __Ein Vorteil liegt sicher auch in der Geschwindigkeit. Wie sieht ein idealer digitaler Schadenfall aus?__ __Christoph Mennicken: __ Optimalerweise meldet das Fahrzeug den Unfall automatisch per Telematik. Diagnosedaten, GPS und Verzögerungswerte gehen direkt an die Versicherung. Der Schaden wird angelegt, Deckung geprüft, der Geschädigte erhält einen Link zur Schadenmeldung. Ein Sachverständiger schaut noch einmal über die Daten – und innerhalb von 24 bis 30 Stunden ist der Fall abgeschlossen. Das ist ein riesiger Unterschied zu klassischen Abläufen, die oft Wochen dauern. Das trägt massiv zu einem positiven Kundenerlebnis bei und ist somit ein Kundenbindungselement von Versicherern zu den Versicherungsnehmern. __Welche Rolle spielen Werkstätten in dieser digitalen Welt?__ __Christoph Mennicken: __Eine immense. Auch in den Werkstätten wird das zu großen Prozessveränderungen führen. Denn Werkstätten wollen reparieren, nicht Papierkram erledigen. Wenn sie künftig schon vorab Informationen und Freigaben erhalten, können sie schneller Teile bestellen und direkt mit der Reparatur loslegen. Das verkürzt
Standzeiten und erhöht die Effizienz und letztendlich auch die Zufriedenheit der Autofahrer. Für die Betriebe ist das ein echter Gewinn. __In der Realität sind wir aber noch nicht ganz so weit. Wie groß ist der digitale Anteil heute?__ __Christoph Mennicken: __Der Anteil der Schäden, die derzeit komplett digital abgewickelt werden, ist tatsächlich noch sehr gering und liegt vielleicht bei ein bis zwei Prozent. Wir stehen am Anfang, auch weil viele Versicherer mit historisch gewachsenen IT-Systemen arbeiten. Aber der Wandel beschleunigt sich sichtbar. Ich gehe davon aus, dass wir in zwei Jahren 20 bis 40 Prozent aller Unfallschäden auf diese Weise digital bearbeiten. __Was treibt die Entwicklung besonders voran?__ __Christoph Mennicken: __ Im Grunde sind das zwei Faktoren: steigende Kosten und der Fachkräftemangel. Reparaturen werden teurer, gleichzeitig gehen viele erfahrene Sachverständige in den Ruhestand. Digitalisierung hilft uns, diese Lücke zu schließen. Aber noch einmal: Sie ersetzt nicht den Sachverstand, sie macht ihn effizienter. __Wie nehmen Sie Ihr eigenes Team von DEKRA bei diesen Entwicklungen mit?__ __Christoph Mennicken: __ Das ist ein Veränderungsprozess. Wir arbeiten heute viel agiler, testen Lösungen früher, holen Feedback ein – auch durch die intensive Kooperation mit Spearhead. Manche sehen darin eine Chance, andere reagieren skeptisch. Wichtig ist, die Kollegen mitzunehmen und zu zeigen: Digitalisierung schafft neue Möglichkeiten – wie etwa flexiblere Arbeitsmodelle. __Welches Zwischenfazit ziehen Sie nach der Einführung des digitalen Schadenmanagements in den Markt? __ __Christoph Mennicken: __Wir stehen noch am Anfang, aber die Richtung ist klar. In wenigen Jahren wird digitales Schadenmanagement ein selbstverständlicher Teil des Alltags sein – für Versicherer, Werkstätten, Sachverständige und vor allem für die Kunden. __Vielen Dank für das Interview! __