2024-03-13T12:05:55+0000

Schadenrecht: BGH-Entscheidungen bieten viel Zündstoff

In der Unfallreparaturbranche kehrt aktuell keine Ruhe ein. Neben den allgemeinen Marktherausforderungen müssen sich K&L-Werkstätten nun auch noch mit neuen Formen der Rechnungskürzungen auseinandersetzen. Denn nach den Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vom 16. Januar zum Werkstattrisiko ändern die Kfz-Versicherer teilweise ihre Strategien. Kein Wunder also, dass die BGH-Entscheidungen auch beim mittlerweile 17. Automotive Online Forum der Kanzlei Voigt im Fokus standen (Anm. d. R.: die Zusammenfassung der Vorträge „Schadenkalkulationsprogramm“ und „Unfallersatzvermietung“ folgt in den nächsten Wochen). ## Verstößen Gutachten gegen Wirtschaftlichkeitsgebot? Nach einer kurzen Zusammenfassung der fünf BGH-Entscheidungen verwies Kanzlei-Geschäftsführer Henning Hamann dann auch gleich auf das erste „neue Problem“. „Im Volltext der Entscheidung zum Schadenservice aus einer Hand ist nun eine Passage aufgetaucht, die uns wahrscheinlich in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigen wird“, so der Rechtsanwalt. Im Leitsatz heißt es, der Geschädigte sei „aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht gehalten, vor der Beauftragung der Fachwerkstatt zunächst ein Sachverständigengutachten einzuholen und den Reparaturauftrag auf dessen Grundlage zu erteilen.“ Dieser Satz könnte laut Henning Hamann künftig für Probleme sorgen, denn der Spielraum für Missinterpretationen durch Kfz-Versicherer sei hier groß. „Denn wenn man diesen Satz isoliert betrachtet, könnte man meinen, dass der BGH sagt, wir brauchen zukünftig kein Sachverständigengutachten mehr, weil das gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen würde.“ Doch wie gehen Sachverständige und Werkstätten künftig vor, wenn Kfz-Versicherer genau dies einwenden? Sicher ist aus Sicht des Anwalts: „Werkstätten und Sachverständige müssen jetzt noch enger zusammenrücken.“ Und natürlich gab der Kanzlei-Geschäftsführer den Zuschauenden auch umgehend eine Lösung an die Hand. Wichtig sei in diesem Zusammenhang die Wortwahl des BGH: Dort heißt es, der Geschädigte ist „nicht gehalten“, was bedeutet „er muss nicht“. Das ist aber, wie der Rechtsanwalt verdeutlicht, keinesfalls gleichzusetzen mit „Der Geschädigte darf nicht“. Henning Hamann appelliert deshalb an die teilnehmenden Werkstätten: „Bitte lassen Sie sich nicht verunsichern und erstellen Sie keine Kostenvoranschläge. Denn spätestens im Regressfall fällt Ihnen das auf die Füße.“ Und gerade diese nehmen aktuell wieder spürbar zu, wie der Branchenexperte anhand verschiedener Abrechnungsschreiben von Kfz-Versicherern belegte. ## Abtretung gegen Zahlung vs. Abtretung gegen Freistellung? Mit Blick auf die Abtretung droht laut Henning Hamann zudem „neues Unheil“, denn erste Schreiben aus Coburg belegen, dass die Kfz-Versicherer versuchen, die Voraussetzungen der Abtretung anders auszulegen. Statt gegen Zahlung soll gegen Freistellung abgetreten werden. [Eine neue Strategie, die der Rechtsexperte auch bereits im Videointerview mit schaden.news erklärte.](https://schaden.news/de/article/link/43901/kanzlei-voigt-it-hamann-neue-art-der-rechnungskuerzung) In diversen Schreiben heißt: „Stellen wir Ihren Mandaten von der Verbindlichkeit gegenüber der Werkstatt frei“. Doch was bedeutet das konkret? Laut BGH-Entscheidung (VI ZR 266/22) muss Abtretung gegen Zahlung erfolgen, damit der Kfz-Versicherer sich etwaige Überzahlungen im Regressprozess von der Werkstatt zurückholen kann. Bei einer
Freistellung kann laut Henning Hamann jedoch keine Abtretung verlangt werden. Dennoch versuchen einige Kfz-Versicherer genau das. Das Problem: Erfolgt eine Freistellung des Geschädigten und gleichzeitig die Abtretung an den Versicherer durch den Geschädigten, dann könnte der Versicherer mit dem Freistellungsanspruch gegen die Werkvertragsforderung aufrechnen. Heißt konkret, er verrechnet angebliche Überzahlungsansprüche ohne vorab die Rechnung der Werkstatt bezahlt zu haben. Henning Hamann betont deshalb: „Hier ist besondere Vorsicht geboten!“ Geschädigte sollten deshalb auf derartige Schreiben wie folgt Antworten: „Nein, ich erteile keine Abtretung gegen Freistellung, sondern nur eine Abtretung gegen Zahlung.“ ## Neuer Fallstrick: Sofortige Anerkenntnis Doch nicht nur bei den Kfz-Versicherern halten die BGH-Entscheidungen Einzug, sondern auch bei den Gerichten. So zeigte der Kanzlei-Geschäftsführer Hinweisbeschlüsse verschiedener Amtsgerichte aus Februar dieses Jahres, die in Bezug auf die BGH-Entscheidungen darauf hinweisen, dass die in Rechnung gestellten Positionen ebenso wie die Dauer der Ersatzteilbeschaffung unter das Werkstattrisiko fallen. Zudem werden die Kfz-Versicherer in diesen Beschlüssen eindeutig darauf hingewiesen, dass eine Fortführung des Verfahrens wenig Erfolgsaussichten habe und deshalb geprüft werden solle, ob eine Anerkennung nicht sinnvoll wäre. Tatsächlich erkennen – wie Henning Hamann anhand diverser anwaltlicher Schreiben zeigte – die Kfz-Versicherer den Hinweis der Gerichte an. Jedoch auch hier nicht ohne einen weiteren Versuch, Kosten abzuwenden. Denn die Versicherer berufen sich bei einer „sofortigen Anerkenntnis“ auf Paragraph 93 der Zivilprozessordnung und wollen somit von den Prozesskosten befreit werden. Doch was hat es damit auf sich? Bleiben Geschädigte oder Werkstätten damit doch wieder auf den Kosten sitzen? Laut Zivilprozessordnung Paragraph 93 fallen dem Kläger die Prozesskosten zur Last, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt und durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben hat. Der Rechtsanwalt klärt auf: „Nach meiner festen Überzeugung hat der Versicherer sehr wohl Anlass zur Klage gegeben, nämlich allein dadurch, dass er nicht bezahlt hat.“ Insofern sei die sofortige Anerkenntnis gemäß §93 ZPO laut Henning Hamann ein untauglicher Versuch. Und das bestätigt auch ein Anerkenntnisurteil des Amtsgerichtes Coburg vom 28. Februar, in dem eindeutig steht, dass die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Dennoch warnte der Anwalt, dass der Versuch des sofortigen Anerkenntnis ein weiterer Fallstrick sein kann, wenn nicht richtig darauf reagiert wird. ## Neues Web-TV-Format rund ums Schadenrecht Fakt ist und das betont auch Henning Hamann in seinem Vortrag immer wieder: Durch die BGH-Entscheidungen ist die Rechtsprechung zwar eindeutig geschädigtenfreundlich, jedoch ergeben sich aus den Details neue Fallstricke. Das Zusammenspiel und die enge Abstimmung zwischen Werkstätten und Sachverständigen wird deshalb in Zukunft noch wichtiger. Und gerade weil die BGH-Entscheidungen nicht nur Klarheit, sondern auch neue Unsicherheiten mit sich bringen, beleuchten wir diese auch demnächst in einem neuen Web-TV-Format. Bei „Web-TV kompakt“ besprechen wir mit Henning Hamann in kurzen, rund 20-minütigen Talks die wichtigsten Änderungen und neuesten Entwicklungen. Los geht’s im April, weitere Infos erfahren Sie demnächst in unserem Nachrichtenmagazin und auf der Website von Schadentalk.
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