2023-04-26T10:46:52+0000

Klimaschutz: „Nachhaltigkeit ist nicht zum Nulltarif zu haben“

Es gibt wohl kaum ein Thema, über das derzeit so intensiv diskutiert wird und bei dem die Meinungen so stark auseinander gehen, wie beim Thema Nachhaltigkeit. Auch im Schadenmarkt ist die Diskussion längst angekommen. Lackhersteller haben Konzepte entwickelt, um den Energieeinsatz bei Trocknungs- und Lackierprozessen zu reduzieren. Die Nachfrage nach materialreduzierender Applikationstechnik wächst stetig – und spätestens seit den stark gestiegenen Energiekosten denken viele K&L-Betriebe ernsthaft über Blockheizkraftwerke, PV-Anlagen und andere Formen der regenerativen Energieerzeugung nach. Die Ersatzteilkrise hat zudem dafür gesorgt, dass Reparaturmethoden wie das Instandsetzen vor Erneuern ein starkes Comeback erleben. Viele Wege also, die zu mehr Nachhaltigkeit führen sollen. Jetzt wollen das Allianz Zentrum für Technik (AZT) und der Schadensteuerer Innovation Group Standards für die nachhaltige Unfallschadenreparatur durchsetzen. Beide Unternehmen gehörten zum Allianz Konzern, [gerade Innovation Group wurde erst im Herbst letzten Jahres von dem Versicherungskonzern übernommen.](https://www.schaden.news/de/article/link/43121/schadenmarkt-allianz-uebernimmt-innovation-group-vollstaendig) Kann das gutgehen? ## AZT und Innovation Group preschen mit Kriterien und Siegel vor „Wir wollen die Nachhaltigkeitsstandards künftig in unsere Steuerungslogik einfließen lassen", bestätigte Christoph Lauterwasser, Leiter des Allianz Zentrums für Technik (AZT) im März gegenüber dem Nachrichtenmagazin Automobilwoche. Das AZT will keine reinen Allianz Standard, sondern will einen Branchenstandart etablieren – und mit anderen Kfz-Versicherer, Herstellern, dem Kfz-Bewerbe und Prüfdienstleistern darüber sprechen. Gleichzeitig greift auch der Schadensteuerer Innovation Group das Thema Nachhaltigkeit auf und hat mit dem Fraunhofer Institut bereits im Februar eine Studie zur CO2-Reduzierung bei der Unfallschadenreparatur durchführen lassen. [Das Ergebnis: Die Instandsetzung von beschädigten Karosserieteilen „verursachen zwischen 40 und 60 Prozent weniger CO2-Emissionen als der Austausch von Teilen“.](https://www.innovation.group/de/reparieren-reduziert-die-co2-emissionen-um-die-haelfte/) Darüber hinaus sieht Innovation Group erhebliche Einsparpotenziale durch moderne Energiekonzepte und arbeitet offenbar derzeit daran, nachhaltig wirtschaftende Kooperationsbetriebe mit einem eigenen Siegel auszuzeichnen. Dagegen regt sich bei den Branchenverbänden jedoch Widerstand. ## Instandsetzung vor Erneuern muss lukrativer werden Die Realität sehe in vielen Betrieben derzeit ganz anders aus, als das vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit wünschenswert wäre, erklären der ZKF-Vorstand Max Mayerhofer und Präsident Peter Börner. „Denn in der Praxis wird zu einem sehr hohen Prozentsatz nicht instandgesetzt, sondern erneuert, weil gerade bei der Reparatur von Leasingfahrzeugen das Rücknahmerisiko bei der Instandgesetzten Karosserie deutlich höher ist als bei dem Ersatzteiltausch im Falle einer Unfallschadenreparatur“, führt Max Mayerhofer an. Der ZKF-Präsident fordert, dass gerade Kfz-Versicherer sich dieses Thema annehmen müssen und „Betrieben fachliche sowie finanzielle Unterstützung beim Leasing-Rückgabestreit leisten, wenn die Reparatur sach- und fachgerecht ausgeführt wurde.“ Zudem hebt Peter Börner hervor, dass gerade die niedrigen Stundensätze in der Schadensteuerung viele Partnerwerkstätten dazu gezwungen
hätten, mit Ersatzteilaufschlägen zu wirtschaften und ihre Betriebe mit den Rabatten aus dem Ersatzteilgeschäft kräftig mitfinanzieren. „Es müssen auskömmliche Stundensätze von den Versicherungen gezahlt werden, um die wenigen und letzten Spezialisten in den Reihen der Karosserie- und Autolackierfachbetrieben zu halten, die das Instandsetzen auch können. Jeder Job in der Industrie wird deutlich besser bezahlt als das, was ein mittelständiger Handwerksbetrieb bei Rechnungskürzung und verhandelten Stundensätzen in der Lage ist zu zahlen.“ Daher sei die Instandsetzungsquote mitunter derzeit so niedrig. Folglich müsse Instandsetzen vor Erneuern durch Machbarkeit und ausreichende Zeitvorgabe lukrativer werden. ## ZDK: „Nachhaltiges Wirtschaften ist teuer, nicht billiger“ Auch Detlef Peter Grün sieht als ZDK-Vorstandsmitglied die Initiative des Allianz Zentrums für Technik kritisch. „Ein Standard für mehr Nachhaltigkeit in Werkstätten muss branchenweit gelten und darf nicht an wirtschaftliche Interessen geknüpft werden“, erklärt der Bundesinnungsmeister im Gespräch mit schaden.news. Er geht davon aus, dass es dem AZT vor allem darum geht, die Schadenkosten zu senken. In Ismaning setze man vor allem auf das Thema Instandsetzen vor Erneuern, um die stark gestiegenen Ersatzteilkosten zu reduzieren. „Hier wird der Klimaschutz vorgeschoben, eigentlich geht es um renditegetriebene Interessen.“ Auch die Studie der Innovation Group zur CO2-Reduzierung durch die Instandsetzung der Karosserieaußenhaut hält Detlef Peter Grün für wenig glaubwürdig. „Der Schadensteuerer und das Institut eines der größten deutschen Kfz-Versicherers müssen verstehen, dass nachhaltiges Wirtschaften teurer und nicht billiger ist.“ In den Betrieben sei ein erhebliches Maß an Investitionen notwendig, um mit regenerativer Energie zu heizen, energieeffizienter zu arbeiten und bestehende Werkstatthallen zu sanieren. „Das Geld muss über höhere Stundensätze und bessere Konditionen erst erwirtschaftet werden“, erklärt Detlef Peter Grün. Nachhaltigkeit sei eben nicht zum Nulltarif zu haben. „Daran wird sich messen lassen, ob Kfz-Versicherungswirtschaft und Schadensteuerer ein ehrliches Interesse an mehr Klimaschutz und CO2-Reduzierung haben.“ ## Müllberge durch fehlende Reparaturfreigaben der Automobilhersteller „Wir sehen in unseren Betrieben täglich die Müllberge, die nur deshalb entstehen, weil es an freigegebenen Reparaturmethoden fehlt und der Ersatzteiltausch vorgeschrieben wird“, berichtet Max Mayerhofer aus der Praxis. „Hier liegt der Hund begraben“. Der Betriebsinhaber meint, dass man sich auf „eine faire Leasing-Rückgabe unter umweltschonenden, praktischen und marktüblichen Bedingungen einigen könnte, oder wenn es Urteile dazu gäbe, oder wenn die Versicherungen den betroffenen Werkstätten helfen würden. Erst dann wäre echter Umweltschutz im großen Stil in der Unfallreparatur möglich. Dann würden schlagartig die vielen Müllberge an leicht beschädigten Teilen, wie vor allem Stoßstangen, verschwinden und die Scheinwerfer könnten repariert werden!“ ZKF-Präsident Peter Börner fordert deshalb von den Automobilherstellern, dass sie offenlegen, welchen CO2-Fußabdruck die Produktion eines Neuteils überhaupt verursacht. „An vielen Stellen der Unfallschadenreparatur wie Scheinwerfer, Stoßfänger, Träger und Halter müssen zudem Instandsetzungsmethoden freigegeben werden, die das Instandsetzen gleichwertig zum Neuteil bestätigen.“ ## Alle Beteiligten an einen Tisch Nachhaltigkeit hat gerade in der Unfallschadenreparatur viele unterschiedliche Facetten. Reparaturmethoden, Energieverbrauch, Einsatz regenerativer Energieerzeugung, Prozessorganisation oder Materialeinsatz – das Messen des CO2-Verbrauchs ist nur ein Aspekt. Hinzu kommen Themen wir Arbeitssicherheit, der grundsätzliche Umgang mit Ressourcen und soziale Standards. Wer tatsächlich ein ernstzunehmendes branchenweites, einheitliches Markenzeichen für die nachhaltige Unfallschadenreparatur schaffen will, muss zunächst alle Beteiligten an einen Tisch holen und dann unabhängige Standards etablieren. Darin sind sich auch Verbände wie ZKF und ZDK einig.
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