2023-04-19T10:35:40+0000

Das Ende der Kürzungsklagen? Was Werkstätten jetzt unbedingt wissen sollten!

[Bereits bei den Würzburger Karosserie- und Schadenstagen klärte Rechtsanwalt Henning Hamann, Geschäftsführer der Kanzlei Voigt, über das vieldiskutierte Urteil des Bundesgerichtshof zum subjektiven Schadenbegriff auf.](https://schaden.news/de/article/link/43382/rueckblick_wkst_2023) Für alle, die in Würzburg nicht vor Ort sein konnten, veranstaltete die Kanzlei Voigt kürzlich noch einmal ein Sonderwebinar zum Thema. Und das Interesse war erwartungsgemäß hoch: Über 550 Teilnehmerinnen und Teilnehmer verfolgten die Online-Veranstaltung. Kanzlei-Geschäftsführer Henning Hamann macht deutlich, dass das BGH-Urteil (BGH VI ZR 147/21) vom 26. April erheblichen Einfluss auf künftige Klagen gegen Rechnungskürzungen haben könnte – und zwar sowohl für Werkstätten, die aus abgetretenem Recht klagen, als auch für Geschädigte, die selbst vor Gericht ziehen. Denn das Urteil des BGH könnte dazu führen, dass der subjektive Schadenbegriff – anders als bisher – zu einem stumpfen Schwert im Kampf gegen Rechnungskürzungen wird. ## Werkstattrisiko gilt nicht bei Abtretung der Rechte an die Werkstatt Um die Problematik zu verstehen, muss vorab jedoch der Sachverhalt erläutert werden: Im vorliegenden Fall ermittelte ein Sachverständiger voraussichtliche Reparaturkosten von 12.574, 40 Euro. Die tatsächlichen Reparaturkosten lagen mit 14.457,36 Euro aber noch 15 Prozent darüber. Der Geschädigte hatte seine Ansprüche bereits an die Werkstatt abgetreten, dann aber doch im eigenen Namen geklagt. Der beklagte Versicherer erhob die Einwände, dass die Reparaturkosten auch für einen Laien sichtbar überhöht waren und der Geschädigte andererseits nicht hätte klagen dürfen, weil er seine Rechte bereits an die Werkstatt abgetreten hatte. Der Bundesgerichtshof stellte in seinem Urteil fest, dass in dieser besonderen Fallkonstellation die „dargestellte Art und Weise des Vorteilsausgleichs nicht unproblematisch“ erscheint. Speziell zum Werkstattrisiko heißt es weiter: „Eine uneingeschränkte Übertragung der Grundsätze auf die hier gegebene Fallkonstellation könnte zu dem unbilligen Ergebnis führen, dass die Werkstatt vom Schädiger über den Weg des Schadenersatzes für Reparaturleistungen eine „Vergütung“ erhält, die sie vom Geschädigten als ihrem Auftraggeber nach werkvertraglichen Grundsätzen nicht hätte verlangen können.“ Was das nun konkret bedeutet, erklärte Henning Hamann: „Generell ist es so, dass sich der Versicherer bei überhöhten Schadenersatzansprüchen die Rechte des Geschädigten abtreten lassen und so die Werkstatt in Regress nehmen kann. Dieses Recht auf Abtretung schützt den Versicherer davor, auch solche Beträgen zahlen zu müssen, die mit dem Unfallschaden überhaupt nichts zu tun haben und ist damit das Gegengewicht zum unbedingten Geschädigtenschutz. Die Grundsätze des Werkstattrisikos können aus Sicht des BGH aber nicht für die Werkstatt gelten, weil die
Werkstatt keine Ansprüche gegen sich selbst abtreten kann – und damit ist die Waage der Gerechtigkeit aus dem Gleichgewicht.“ Klagen aus abgetretenem Recht sind aus Sicht des Rechtsexperten deshalb künftig extrem risikobehaftet. ## Gamechanger? Doch noch ein weiterer Passus im BGH-Urteil könnte künftig für große Probleme sorgen. Denn dort heißt es: „Wurden die Arbeiten aber tatsächlich durchgeführt, so wären die dadurch entstandenen Kosten […] unabhängig von der Frage erstattungsfähig, ob sie objektiv erforderlich waren […].“ Henning Hamann verdeutlicht die Problematik hinter dieser Formulierung: „Dieser Satz könnte zum Gamechanger im Schadenrecht werden. Weil damit nicht mehr die Frage im Raum steht, ob sich der Geschädigte gemäß des Werkstattrisikos auf das Sachverständigengutachten verlassen darf, sondern die Frage, ob die Arbeiten tatsächlich durchgeführt wurden.“ ## Neue Argumentation der Versicherer Und genau diesen vermeintlichen Auslegungsspielraum nutzen die Kfz-Versicherer nun zu ihren Gunsten. Statt wie bisher die Erforderlichkeit der im Rahmen der Reparatur erfolgten Arbeiten – wie zum Beispiel die Verbringung zur Lackiererei oder auch die Fahrzeugdesinfektion – anzuzweifeln, findet sich in den aktuellen Schreiben der Assekuranzen folgender Passus wieder: „Es wird mit Nichtwissen bestritten, dass […] tatsächlich erfolgt ist.“ Durch diese Formulierung wird der Kläger – egal ob Geschädigter oder Werkstatt – dazu verpflichtet, die Durchführung der jeweiligen Rechnungsposition zu beweisen. „Eine Reparaturrechnung ist kein Beweis für die tatsächliche Durchführung. Es gibt schon jetzt das Problem, dass Kürzungsklagen verloren gehen, wenn der Kläger keinen Beweis für die Durchführung der einzelnen Arbeiten anbietet – zum Beispiel durch einen Werkstattmitarbeiter als Zeugen“, verdeutlicht Henning Hamann die Problematik. Im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass die Werkstätten – vorsorglich und für jeden Haftpflichtschadenfall – alle Arbeiten im Rahmen der Reparatur zum Beispiel über Fotos dokumentieren müssen. Angesichts der aktuell hohen Auslastung vieler Werkstätten scheint dieser zusätzliche Aufwand kaum leistbar. ## „Das BGH-Urteil wird falsch ausgelegt“ Die durch die Argumentation der Versicherer entstehende Beweisschuld des geschädigten Klägers führt den subjektiven Schadenbegriff aus Sicht von Henning Hamann „ad absurdum“. Wie der Geschäftsführer im Sonderwebinar erzählt, habe er im Rahmen der Würzburger Karosserie- und Schadenstage auch mit einem Richter des Bundesgerichtshofes über das Urteil gesprochen: „Er sagte mir, dass er die Entscheidung nicht so verstanden habe, dass hier ein bewusster Wechsel der
Anspruchsvoraussetzungen stattfinden sollte. Das heißt, dass die Entscheidung des BGH von Seiten der Versicherer aktuell falsch interpretiert wird und das scheint bei den Gerichten bereits anzukommen.“ ## Erste Urteile im Sinne der Versicherer Denn, wie der Rechtsexperte zeigte, gibt es bereits erste Urteile, die der Argumentation der Versicherer folgen. In einem Urteilsspruch des Amtsgericht Köln vom 21. September heißt es beispielsweise: „Im vorliegenden Fall finden auf die hier streitgegenständlichen Schadenpositionen […] die Grundsätze des Werkstattrisikos keine Anwendung. Denn die Beklagtenseite hat bereits in der Klageerwiderungsschrift ausdrücklich bestritten, dass von der klägerischen Werkstatt am Klägerfahrzeug überhaupt Desinfektions- und Reinigungsmaßnahmen durchgeführt worden seien. Die Klägerseite ist dem nicht entgegengetreten.“ Dass offenbar auch innerhalb der Gerichte Uneinigkeit über die Auslegung des BGH-Urteils herrscht, beweisen Urteile der Amtsgerichte München und Coburg aus diesem Jahr: Beide weisen in ihren Beschlüssen ausdrücklich darauf hin, dass das BGH-Urteil vom 26.04.2022 nichts am Werkstattrisiko und den Rechten des Geschädigten ändert. ## Was rät der Experte den Werkstätten? Dennoch warnte Henning Hamann die Webinar-Teilnehmer eindringlich: „Es ist absolut offen, in welche Richtung sich die Rechtsprechung entwickelt. Selbst wenn sich hier irgendwann herausstellt, dass das BGH-Urteil falsch ausgelegt wurde und es hierzu eine Klarstellung des BGH gibt, dann kann das Jahre dauern.“ Fakt ist aus Sicht des Anwalts – und dabei verwies er [auf die finanzielle Lage der HUK-Coburg und die auf 103,6 Prozent gestiegene Schaden-Kosten-Quote](https://schaden.news/de/article/link/43383/huk-coburg-bilanz-pressekonferenz-2022) – dass die Kfz-Versicherer diese Chance weiter für sich nutzen werden. Sein abschließender Rat lautete daher: „Führen Sie eine lückenlose Reparaturdokumentation durch und klagen Sie nicht aus abgetretenem Recht. Sollte der Geschädigte eine Abtretung unterschrieben haben dann vereinbaren Sie eine Rückabtretung und lassen den Geschädigten klagen, das ist aus meiner Sicht aktuell der einzig gangbare Weg.“