2022-06-29T11:20:35+0000

Energieversorgung: Geht der Branche das Gas aus?

Mit der in der vorigen Woche durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ausgerufenen Alarmstufe im dreistufigen Notfallplan Gas reagiert die Bundesregierung auf die verknappten Gaslieferungen aus Russland. Laut Bundesnetzagentur liegt der Gasfluss aus der Pipeline Nord Stream 1 bei derzeit 40 Prozent der Maximalleistung. Ein Erreichen des angestrebten Speicherstandes von 90 Prozent bis November sei auf diese Weise „kaum mehr ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar“, heißt es im Lagebericht der Bundesbehörde. Aktuell liegen die Füllstände der Speicher in Deutschland bei knapp 60 Prozent. Auch wenn die Versorgungslage derzeit als stabil eingeschätzt werde und die Versorgungssicherheit daher gewährleistet sei, könne eine Verschlechterung der Situation nicht ausgeschlossen werden. Bereits jetzt zeichne sich ab, dass sich Haushalte und Unternehmen auf deutlich höhere Gaspreise einstellen werden müssten, da die Großhandelspreise durch die Lieferreduzierung stark steigen. Gerade für K&L-Betriebe, von denen laut ZKF rund die Hälfte gasbetriebene Lackierkabinen besitzt, ist das eine beunruhigende Entwicklung. ## Notfallplan sieht auch Abschaltungen vor Auch in der gegenwärtigen Alarmstufe sieht der Gasnotfallplan noch kein direktes staatliches Eingreifen vor, da im Moment keine Versorgungsengpässe bestehen. Die Stabilisierung des Netzes sowie die Versorgung werden also weiterhin über die Marktinstrumente Angebot und Nachfrage geregelt. Anders sieht das in der Notfallstufe aus. Diese würde in Kraft treten, wenn es zu einer erheblichen Verschlechterung der Versorgungslage mit akutem Gasmangel käme. Die Bundesnetzagentur entscheidet dann, wer und in welcher Menge Gas geliefert bekommt. Je nach Vorlaufzeit bis zum Eintreten dieser Notlage sind dann auch situationsbedingte Trennungen von der Versorgung kein Tabu mehr. Eine feste Abschaltreihenfolge sieht die Bundesnetzagentur aber nicht vor, [wie es im Dokument „Lastverteilung Gas – Handlungsoptionen, Abwägungsentscheidung, situationsbedingtes Handeln “ heißt.](https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Fachthemen/ElektrizitaetundGas/Versorgungssicherheit/aktuelle_gasversorgung/HintergrundFAQ/Download.pdf?__blob=publicationFile&v=2) ## Wer genießt besonderen Schutz und wer geht leer aus? Möglichst lange versorgt werden sollen in einer solchen Situation alle geschützten Verbraucher. Hierzu zählen grundlegende soziale Dienste wie Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, aber auch Polizei, Feuerwehr und Bundeswehr sowie Fernwärmeanlagen, welche diese Gruppen mit Wärme beliefern. Als geschützte Gruppe gelten nach Energiewirtschaftsgesetz (§ 53a EnWG und § 3 Nr. 22 EnWG) auch alle Haushaltskunden mit einem jährlichen Energieverbrauch von bis zu 10.000 Kilowattstunden (kWh). Da das Gesetz darunter auch solche Einrichtungen versteht, die Energie „für berufliche, landwirtschaftliche oder gewerbliche Zwecke“ kaufen, könnten also zumindest kleinere Betriebe im Falle einer Gasdrosselung darauf hoffen, den Geschäftsbetrieb aufrechterhalten zu können. Sicher ist das jedoch nicht, denn ähnlich wie in der Coronakrise könnte auch in der Notfallphase wieder das Kriterium der Systemrelevanz den Ausschlag geben. Anhaltspunkte, welche Dienstleistungen vor diesem Hintergrund priorisiert werden, liefert eine [Übersicht des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)](https://www.bbk.bund.de/DE/Themen/Kritische-Infrastrukturen/Sektoren-Branchen/sektoren-branchen_node.html) auf Basis der BSI-Gesetzgebung. ## Derzeitige Abwägungsentscheidungen bieten kaum konkrete Anhaltspunkte Eine bundeseinheitliche Definition existiert allerdings nicht und die Bundesnetzagentur relativiert sogar im weiter oben erwähnten Dokument zur Lastverteilung Gas die
Anwendbarkeit der BSI-Kriterien, da diese „im Interesse der IT-Sicherheit eher weit gefasst“ seien. Weitere Aspekte, die dort genannt werden, legen nahe, dass auch die Vermeidung dauerhafter Sachschäden an Anlagen ein Ausschlussgrund für Verbrauchsreduzierungen sein könnte. Insbesondere im Dauerbetrieb arbeitende Unternehmen wie Gießereien oder glasverarbeitende Betriebe könnten so vor schädlichen Langzeitfolgen geschützt werden. Auch eine mögliche Berücksichtigung der Bruttowertschöpfung von Unternehmen, gesundheitliche Gefahren sowie der Tierschutz spielen in diese Abwägungsentscheidungen hinein. Die von der Bundesnetzagentur selbst so genannte „multikriterielle Betrachtung mit einer zeitlichen Dimension“ hat also derzeit viel mit einem ökonomischen Planspiel gemein, bietet aber gerade mittelständischen Betrieben bislang kaum greifbare Orientierungsmöglichkeiten. Um zumindest bis zum Beginn der Heizperiode eine belastbare Datengrundlage zu erhalten, läuft derzeit eine Datenerhebung bei großen Gasverbrauchern mit einer technischen Anschlusskapazität von mehr als 10 MWh/h, deren Ergebnisse ab Oktober in das Online-Tool „Sicherheitsplattform Gas“ einfließen sollen. So sollen mögliche Gasmengen zur Beschaffung oder zur freiwilligen Reduzierung zügig identifiziert und ein agileres Handeln im Krisenfall ermöglicht werden. ## Was Betriebe jetzt tun können Schon jetzt sollten Betriebe die Zeit nutzen und Möglichkeiten prüfen, wie sie ihren Gasverbrauch reduzieren können. Auch die Kontaktaufnahme mit dem jeweiligen Versorgungsunternehmen kann mehr Klarheit bringen, welche Handlungsspielräume derzeit und im Notfall zur Verfügung stehen. Das schließt auch die Kenntnis über die Abschaltverläufe ein, die bei Ausrufung der Notfallstufe in Kraft treten würden. Gerade Karosserie- und Fahrzeugbaubetriebe könnten hier indirekt über ihre Lieferketten betroffen sein. Durch den Ukraine-Krieg und dessen Auswirkungen nachweislich betroffene Unternehmen sollen zudem in Form von KfW-Krediten Unterstützung bei der Sicherung ihrer Liquidität erhalten. So etwa im KfW-Sonderprogramm UBR 2022, dessen Zuteilungskriterien neben Umsatzrückgang, Produktions¬ausfall oder geschlossenen Produktionsstätten auch gestiegene Energiekosten (bei einem Energiekostenanteil von mindestens 3% vom Jahresumsatz 2021) berücksichtigen. [Nähere Informationen zu den Förderprogrammen finden Sie hier.](https://www.kfw.de/%C3%9Cber-die-KfW/Newsroom/Aktuelles/Pressemitteilungen-Details_706816.html)
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