2022-04-20T10:04:34+0000

Steht der Markt vor einer Ersatzteil-Krise?

Die Nervosität im Teilehandel und in den Reparaturfachbetrieben nimmt zu. Immer öfter gibt es Störungen bei der Lieferung von Ersatzteilen, die eine fachgerechte Unfallschadenreparatur verzögern. Lieferzeiten haben sich deutlich verlängert, spezielle Teile von bestimmten Fahrzeugmodellen sind schon jetzt nicht mehr verfügbar. Und die Preise steigen. Bisher halten sich die Auswirkungen nach Einschätzungen von Experten zwar noch in Grenzen – doch das könnte sich in wenigen Wochen schon ändern. ## Noch kompensieren K&L-Betriebe die Lieferschwierigkeiten Fragt man bei Schadensteuerern, im Teilehandel oder bei Werkstattnetzen nach, wird schnell klar, dass sich alle Entscheider derzeit auf härtere Zeiten einstellen. „Momentan sind die Betriebe noch in der Lage zu reagieren und die sich verschlechternde Entwicklung zu kompensieren“, betont Marco Weitner vom Schadensteuerer riparo. „Die Lieferverzögerungen werden derzeit von den Betrieben noch organisatorisch aufgefangen, indem die Teilebestellung direkt bei der Schadenkalkulation ausgelöst wird. Ein Reparaturtermin mit der Annahme des Fahrzeugs wird dann aber erst vereinbart, wenn die Ersatzteile eingetroffen sind.“ Das sei eigentlich kein Problem, da 90 Prozent der Unfallwagen ohnehin noch fahrbereit sind. Vorausschauend handeln, darum geht es jetzt – auch um Folgeprobleme in den Griff zu bekommen: „Wenn die Teilelieferung nicht mehr zuverlässig funktioniert, ist jeder Unfallersatzwagen, der einfach so herausgegeben wird, ein Risiko. Und nicht immer hilft eine finanzielle Beteiligung von riparo oder des Versicherers. In Einzelfällen gehen Betrieben die vorgehaltenen Ersatzfahrzeuge aus und der Betrieb hat Schwierigkeiten weitere Aufträge anzunehmen.“ Die Probleme sind schon da, halten sich aber noch in Grenzen. Vor allem, weil die Werkstattpartner gut reagieren und die Kommunikation funktioniert. „Die Situation wird dem Kunden in der Regel offen und ehrlich erklärt.“ In der Zentrale von riparo im baden-württembergischen Holzgerlingen ist man sich aber einig, dass die Probleme größer werden könnten, je länger die internationale Krisenlage und der Krieg gegen die Ukraine anhält. „Die Bänder vieler Automobilhersteller stehen zurzeit still, das wird die Liefersituation bei den Ersatzteilen weiter verschlechtern.“ Auch die Preise für die Ersatzteile werden vermutlich weiter steigen, lautet seine Prognose. „Gut möglich, dass wir dieses Jahr noch die eine oder andere Preisrunde sehen.“ ## „Steht OE still, geht auch in Aftersales nichts mehr“ Eine Einschätzung die auch Andreas Brodhage teilt. Der Geschäftsführer von Global Automotive Service (G.A.S.) kennt die Mechanismen des Ersatzteilmarktes genau. „Im Aftersales Markt brauchen wir die gleichen Fahrzeugteile wie die Automobilhersteller. Werden diese nicht mehr in der Produktion gefertigt, fehlen die Fahrzeugteile über kurz oder lang auch im Service und der Unfallschadenreparatur.“ Andreas Brodhage hat nach der Übernahme des Schadensteuerers DMS auch die Instandsetzung von Unfallschäden verstärkt im Blick. Derzeit beobachtet er eine Entwicklung, die ihm Sorge bereitet: „Bei speziellen Konfigurationen von Fahrzeugmodellen, die derzeit nicht produziert werden, fehlen jetzt die Ersatzteile.“ Derzeit sei vor allem Komfortelektronik betroffen. „Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis es auch bei Klimaanlagen oder Karosserieteile haken könnte.“ Der Service-Markt ist nach Einschätzung von Andreas Brodhage noch „ganz gut aufgestellt“, da hier oft GVO-konforme Originalmarkenersatzteile zur Verfügung stehen. Allerdings könnte auch dieser Markt bald unter einer aufziehenden Krise leiden. „GVO-konforme Teile für den Aftersales Markt laufen bei den Zulieferern der Automobilindustrie auf dem gleichen Band wie die Originalteile. Steht OE still, geht auch
in Aftersales nichts mehr.“ Derzeit sei der Handel in Automotive Aftersales nach Angaben von Andreas Brodhage aber noch gut aufgestellt, da die Bevorratung mit Teilen in den Lagern stimme. ## Innovation Group: Fristgerechte Durchführung von Reparaturen erschwert Auch der Schadensteuerer Innovation Group ist offenbar von den Lieferschwierigkeiten bei Ersatzteilen betroffen. Der neue Teamleiter Netzentwicklung,[ Sascha Pollak, der vor einigen Monaten die Nachfolge von Ullrich Bechmann angetreten hat](https://schaden.news/de/article/link/42672/ullrich-bechmann-verlaesst-innovation-group), kritisiert in einer Mitteilung an die Kooperationsbetriebe, dass „die fristgerechte Durchführung einer Reparatur derzeit für die Werkstätten von Lieferverzögerungen erschwert wird“. Dadurch verlängere sich der Prozess für alle Beteiligten. Maßnahmen werden momentan offenbar nicht ergriffen. ## EUROGARANT sichert Ersatzteilgeschäft für Betriebe ab Für Peter Börner läuft das Teilegeschäft als Vorstandsmitglied bei EUROGARANT derzeit fast reibungslos. „Wir liegen mit den Bestellungen im ersten Quartal dieses Jahres deutlich über dem Vergleichszeitraum im Vorjahr“, beschreibt Peter Börner die aktuelle Lage im Gespräch mit schaden.news. Es gebe zwar längere Lieferzeiten und auch Lieferschwierigkeiten in Einzelfällen, aber im Großen und Ganzen scheint für die EUROGARANT die Richtung zu stimmen. Allerdings rechnet der Vorstand auch beim Ersatzteilgeschäft mit großen Unsicherheiten – und hat das Werkstattnetz mit konkreten Maßnahmen darauf vorbereitet. „Bei allen Lieferanten im Netzwerk der EUROGARANT AutoService AG gibt es seit Anfang dieses Jahres 30 Tage Zahlungsziel“, heißt es in einer Mitteilung der Friedberger, die Mitte März versendet wurde. Zudem zahlt EUROGARANT „bei unverschuldetem Lieferverzug von Ersatzteilen den Werkstattersatzwagen für den Kunden, ebenso wie bei gelenkten Schäden des Wettbewerbs.“ Auch die Aus- und Einbauzeiten bei Defekt eines Ersatzteils während der Garantiezeit werden übernommen. Ebenfalls springt EUROGARANT im Notfall bei der Teilemarge ein. „Bei Teileeinkäufen über die EUROGARANT AutoService AG und einem Nachlass von weniger als 10 Prozent auf die UPE erstatten wir im von uns gelenkten Schadenfall die Differenz auf 10 Prozent Mindestmarge“, hebt Peter Börner gegenüber der Redaktion hervor. ## Indikatoren kündigen drastische Preiserhöhungen an Bevor es tatsächlich zu spürbaren Lieferausfällen kommen wird, werden die Ersatzteilpreise steigen, da sind sich die Experten einig. „Momentan wartet der Markt noch ab“, erklärt Andreas Brodhage im Gespräch mit schaden.news. „Die Branche sucht noch nach einer Richtung. Wenn aber klar wird, dass die internationale Krisenlage und der Krieg in der Ukraine anhalten sowie die Produktionsausfälle in der Automobilindustrie zunehmen, dann gehen im gleichen Moment die Preise für Ersatzteile kräftig in die Höhe – bevor es endgültig zu Lieferausfällen kommt.“ Indikatoren dafür gebe es bereits, lässt der G.A.S.-Geschäftsführer durchblicken. „Die Preise für Altteile sind immens gestiegen. Diese Entwicklung hat sich in der Vergangenheit immer als sicheres Signal dafür erwiesen, dass die Preise im gesamten Teilemarkt steigen.“ Ein konkretes Beispiel führt Andreas Brodhage an: „Der Altteilpreis für eine Antriebswelle ist von 100 auf 180 Euro gestiegen. Das erscheint mir ein realistischer Indikator zu sein.“ Die Anzeichen für eine Zuspitzung der Teilekrise im Unfallschadenmarkt sind damit wohl unübersehbar.
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