2021-12-10T15:19:43+0000

„Die Aufbauhersteller kommen gerade erst in die nachgelagerte Krise.“

Ob mobiler Brezelstand, Freizeitmobil oder Einsatzwagen für Spezialkräfte – ein Großteil dieser Fahrzeuge entsteht im „Baukastenprinzip“. Überwiegend mittelständische Fahrzeugbau-Betriebe sind es, die in Abstimmung mit ihren Kunden spezifische Auf- und Umbauten durchführen sowie Inneneinrichtungen und Technik nachrüsten. Die Basis dieser Nutzfahrzeuge bilden Fahrgestelle aus dem Transporter und Lkw-Segment, die direkt von den industriellen Herstellern geliefert werden. Doch in Folge der durch die Pandemie ausgelösten Materialkrise gerät diese wichtige Versorgungslinie nun zusehends in Bedrängnis. ## Wartezeiten auf Fahrgestelle haben sich vervierfacht „Die im Zuge der Pandemie angeordneten Werksschließungen und die gegenwärtig herrschende Chipkrise, die auch die Lkw-Industrie betreffen, machen sich zunehmend auch im Nutzfahrzeugbereich bemerkbar“, erklärt Dierk Conrad, Geschäftsführer des Bereichs Nutzfahrzeuge beim Zentralverband Karosserie- und Fahrzeugtechnik (ZKF). Mittlerweile hätten sich die Lieferzeiten für Fahrgestelle bei einigen Herstellern von drei auf zwölf Monate erhöht. Konkrete Auskünfte zu Lieferzeiten seitens der Lkw-Hersteller seien jedoch kaum zu bekommen, weshalb eine wirtschaftliche Produktionsplanung kaum noch möglich ist. Gleichzeitig steigen die Einkaufspreise für Materialien und Halbzeuge kontinuierlich an. Für den Experten stellt diese Gemengelage die derzeit größte Herausforderungen im Fahrzeugbausektor dar: „Die Betriebe sind durch eine hohe Nachfrage überwiegend sehr gut ausgelastet, können jedoch aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Fahrgestellen weder produzieren noch liefern“, beschreibt Dierk Conrad das gegenwärtige Dilemma. ## Positiver Branchentrend kehrte sich ab Jahresmitte um Wie kalt die ins Stottern geratenen Lieferketten die Branche erwischt haben, belegen Zahlen des Analysten Dataforce. Noch bis zur Jahresmitte hatte dieser monatlich über den seit Frühjahr anhaltenden Aufschwung auf dem deutschen Pkw- und Transportermarkt berichtet. Insbesondere die robuste Nachfrage von Flotten und Vermietern ließ auf eine schnelle Erholung gegenüber dem Krisenjahr 2020 hoffen. Im Juli brachen dann erstmals die Neuzulassungen von leichten Nutzfahrzeugen und Pkw-Utilities mit 22,9 Prozent ein, im Oktober hatten sich die Verluste dann bereits auf 29,6 Prozent ausgeweitet. Doch tatsächlich decken diese Fahrzeuge und Abnehmer nur einen kleinen Teil des Umsatzes der Aufbauhersteller ab. Besonders aussagekräftig sind daher die durch den Verband der Automobilindustrie (VDA) erhobenen Neuzulassungen von Lkw über 6t. Hatten diese 2019 im Zeitraum Januar – September noch bei 72.600 gelegen, schrumpfte der Wert im Jahr 2020 auf 49.480. In den ersten drei Quartalen des laufenden Jahres wurden wieder etwas mehr (55.434) Nutzfahrzeuge dieser Klasse zugelassen. Berücksichtigt man allerdings die im Vorjahr pandemiebedingt erfolgten Werksschließungen und Produktionsdrosselungen, wird klar, dass die Erholung in diesem Jahr eigentlich deutlich höher hätte ausfallen müssen. Im direkten Vergleich der Monatszulassungen von Lkw über 6t im September 2020 (6.178) und dem gleichen Monat 2021 (5.230) ist der aktuelle Rückgang in der Lieferung von Fahrgestellen deutlich erkennbar.
## Erschwerte Bedingungen auch in der Vorproduktion Erhebliche Auswirkungen hat diese Situation auch auf die Materialdisposition der Aufbauhersteller: „Die Planung wird durch die nachgelagerte Krise immer schwieriger“, betont der Branchenkenner und führt weiter aus: „Die Betriebe müssen aufgrund der unsicheren Versorgungslage immer wieder umdisponieren und haben dadurch deutliche Produktivitätsverluste.“ Die kaum voraussehbare Preisentwicklung bei Aufbaukomponenten stelle die Unternehmer zudem vor taktische Herausforderungen. Die Frage, ob es sich lohne, Teile zu den derzeit geltenden Preisen zu erwerben oder doch besser die Beschaffungsplanung an den verzögerten Fahrgestell-Lieferungen auszurichten, sei kaum verlässlich zu beantworten. Insbesondere bei Ausschreibungen gebe es keine Möglichkeit, bei der einmal eingereichten Kalkulation noch Nachbesserungen vorzunehmen. Um sich abzusichern, gingen Betriebe nun teilweise dazu über, eher branchenunübliche Angebotsgültigkeiten von zwei Wochen zu veranschlagen. ## Chance Lkw-Reparatur? Für eine Einschätzung, wie sich diese Entwicklung auf die Ausrichtung der Geschäftspolitik der betroffenen Unternehmen auswirken werde, sei es noch zu früh. Dierk Conrad hält es jedoch für möglich, dass sich mittel- bis langfristig die Angebotssituation im Markt ändern könnte: „Viele unserer Mitgliedsbetriebe sind Mischbetriebe, die auch Reparaturen durchführen. Bereits vor Corona haben viele aufgrund zu geringer Margen den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten vom Fahrzeugbau auf die Instandsetzung verlagert.“ Dort sei Schadensteuerung nach wie vor die Ausnahme und das Know-how aus dem Fahrzeugbau stark gefragt: „Im Vergleich zu den Pkw bewegt sich etwa die Lkw-Sparte aufgrund der wesentlich niedrigeren Stückzahlen auf Manufaktur-Niveau und auch die Bus-Fertigung ist deutlich handwerklicher ausgerichtet“, erklärt der Experte. Die große Vielfalt an Aufbauten sowie der Umstand, dass die Kalkulationsdatenbanken nur Basis-Fahrzeuge und wenige Teile erfasst seien, führe – ähnlich dem Caravan-Sektor – zu einem hohen Bedarf an freien Kalkulationen, die sich nur mit ausreichend Erfahrung und Sachverstand durchführen ließen.