2021-09-22T12:23:48+0000

Schadentalk: „In der Krise aktiv gegensteuern und unabhängiger werden“

Die Margenkrise im Ersatzteilgeschäft und die starken Preissteigerungen bei Verbrauchsmaterialien, Energie und Löhnen werden für Karosserie- und Lackierfachbetriebe existenzbedrohend. Nur wenn Betriebsinhaberinnen und -inhaber systematisch und strategisch auf die aktuellen Marktgeschehnisse reagieren, können sie auch in Zukunft rentabel arbeiten. Das wurde beim Schadentalk auf der Automechanika am 16. September deutlich. Im Web-TV-Studio der Messe Frankfurt diskutierten die Chefredakteure Konrad Wenz (»Fahrzeug+Karosserie«) und Christian Simmert (schaden.news) mit Spitzenverbänden und Branchenexperten mit dem Titel: „Stellen wir uns den Herausforderungen! Mit Mut und Zuversicht!“ über aktuelle Situation im Unfallschadenmarkt. ## Mehr als 1,7 Milliarden Euro Umsatzverlust in der Corona-Krise Die Moderatoren rechneten zu Beginn der Sendung anhand der Destatis Statistik 2020 bis 2021 vor, dass den Reparaturfachbetrieben im Vergleich zum Jahr 2019 1,7 Milliarden Euro Umsatz fehlen. Der tatsächliche Verlust dürfte noch höher liegen. Gleichzeitig seien die Kosten derart gestiegen, dass es „zu einer toxischen Mischung“ für die K&L-Betriebe kommen könnte. Eine Einschätzung, die ZKF-Präsident Peter Börner, der Vorstandsvorsitzende vom BVdP, Reinhard Beyer, und ZDK-Vizepräsident Wilhelm Hülsdonk teilten. ## Sinkende Ersatzteilmargen Beim Schadentalk gingen die Talkgäste nicht nur auf die Corona-Krise ein, sondern nahmen zu den drei Schwerpunktthemen Ersatzteil-Marge, Kostendruck und Stundensätze sowie Rechnungskürzung Stellung. Eine der größten Herausforderungen sind aktuell die zu Jahresbeginn geänderten Rabattstaffeln bei Ersatzteilen von der VW-Gruppe sowie der PSA-Group. Im Vorfeld des Schadentalks sprach schaden.news-Chefredakteur Christian Simmert mit Mike Pohling, dem Geschäftsführer des NORA Zentrum Wolfsburg, über die Problematik. Im Videointerview, dass während des Talks eingespielt wurde, äußert sich der NORA-Geschäftsführer: „Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Margenkürzungen für die Werkstätten gefährlich sind und auch zur Unzeit kamen.“ ## „Kartellrechtlicher Makel“ Wilhelm Hülsdonk geht sogar noch weiter: [„Für mich verhält sich der Hersteller hier nicht rechtskonform“](https://youtu.be/_mhi9oIAVMs?t=1727). Mit den Margenkürzungen verstoßen die Automobil-Hersteller seiner Ansicht nach klar gegen Artikel 101 des Europäischen Kartellrechts, der „Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen von Gruppen am Markt“ untersagt. Der ZDK-Vizepräsident betonte deswegen: „Ich plädiere für eine Marktregelung im Sinne des
DGVO, im Sinne des Artikel 101 des Kartellrechts, um dieses Problem zu lösen.“ Die Aufgabe der Verbände sei es, die Situation zu „evaluieren und aufzuzeichnen“. ## Auswirkung auf Betriebe: Schnell im Minus Welche unmittelbaren Auswirkungen sinkende Margen in Kombination mit steigenden Kosten – zum Beispiel Energie-, Personal- oder Materialkosten – auf die Betriebe haben können, [demonstrierte Unternehmensberater Stefan Höslinger](https://youtu.be/_mhi9oIAVMs?t=2042). So sinkt die Umsatzrendite, die in der Beispielrechnung noch 4 % beträgt, bei sinkenden Teilemargen (-5 %) und gleichzeitig steigenden Kosten (+2 %) auf 1 % Umsatzrendite. Sinken die Teilemargen auf -10 % bei einer gleichzeitigen Kostensteigerung um +4 %, rutscht der Betrieb sogar in ein Minusergebnis. Sprich: „Der Betrieb zahlt drauf und steht schlimmstenfalls vor dem finanziellen Aus!“ ## Strategien für Unternehmer: Ersatzteilbezug über andere Anbieter Beim Schadentalk ging es jedoch auch darum, den zuschauenden Betrieben konkrete Lösungsstrategien mit an die Hand zu geben. HEPP-Unternehmensberater Stefan Höslinger gab unter anderem den Tipp, Ersatzteile z.B. regional über Autohäuser mit möglicherweise besseren Konditionen zu beziehen. ZDK-Vizepräsident Wilhelm Hülsdonk verwies zudem darauf, dass in Absprache mit dem Kunden auch der Independent-Aftermarket eine Option sei. Auch der Ausgleich über UPE-Aufschläge oder die Anpassung der Stundenverrechnungssätze sei möglich, gab Stefan Höslinger zu bedenken. ## „Ich bin nicht mehr abhängig von einzelnen Kunden“ [Die unterjährige Neuverhandlung des Stundenverrechnungssatzes ist etwas, dass auch der Unternehmer und Betriebsinhaber Hans-Joachim Pankel erfolgreich betreibt.](https://youtu.be/_mhi9oIAVMs?t=2563) Er hat seinen sieben Standorte umfassenden Betrieb in den letzten Jahren bewusst breiter aufgestellt. „Ich habe bei einzelnen großen Kunden versucht, die Volumina runterzufahren, um nicht mehr abhängig von ihnen zu sein.“ Kommt es dann unterjährig zu Preissteigerungen, wie beispielsweise die Lackmaterialerhöhungen im August, ist der Betriebsinhaber überzeugt: „Die können wir nicht schlucken, die müssen wir weitergeben.“ Seine Strategie: Mit den Kunden ins Gespräch kommen, die Situation erklären – und zwar nicht erst im Jahr 2022, sondern jetzt. „Nicht überall stößt man auf Entgegenkommen, aber es ist viel Gesprächsbereitschaft da“, berichtet er aus seiner Erfahrung. ## „Es gibt ein Leben außerhalb der Schadenlenkung“ Auch ZKF-Präsident Peter Börner vertritt die Strategie des „breit aufgestellten Betriebes“ und appellierte an die Werkstätten: [„Macht Euch Gedanken über eine Exit-Strategie – Oldtimer, Caravan, Marke, E-Mobilität.](https://youtu.be/_mhi9oIAVMs?t=5993) Analysiert Eure Kunden. Welcher Kunde bringt wie
viel Ertrag, wie viel Ärger und wie viel unproduktive Stunden. Es gibt viele Möglichkeiten, fangt an!“ ## Sind Betriebe selbst schuld an Rechnungskürzungen? In der letzten Talkrunde standen die Rechnungskürzungen im Fokus. Ein Brandthema innerhalb der Branche, dass durch immer neue Strategien der Prüfgesellschaften befeuert wird. Kürzungen sind nach wie vor an der Tagesordnung, [gleichwohl es für diese im Haftpflichtschadenfall im Schadenrecht keine rechtliche Grundlage gibt, wie Rechtsanwalt Henning Hamann, Geschäftsführer der ETL Kanzlei Voigt ausführte](https://youtu.be/_mhi9oIAVMs?t=4891). Zudem sind diese Prozesse „unverlierbar vor Gericht, sofern auf Basis eines Sachverständigengutachtens repariert wird“, so der Rechtsexperte. Das Problem sei jedoch auch hier in gewisser Weise „selbstgemacht“, wie ZKF-Präsident Peter Börner betonte: „Meine feste Überzeugung ist, dass viel zu oft ausgebucht wird.“ Deswegen komme es nach wie vor zu Rechnungskürzungen, obwohl – so Peter Börner – der ZKF den Betrieben „genug Munition gegeben hat, um sich dagegen zu wehren.“ ## Klare Aufgabenteilung Dem pflichtete auch der BVdP-Vorstandsvorsitzende Reinhard Beyer bei und definierte die Aufgaben des Bundesverbands der Partnerwerkstätten klar: „Wir stellen die Diskussion zwischen den Parteien her, arbeiten im Hintergrund.“ Letztendlich seien jedoch die Betriebe selbst dafür verantwortlich, die Themen auch umzusetzen, so der Vorstandsvorsitzende zum Abschluss der Branchendiskussion.