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2017-12-13T13:35:36+0000
# Was plant der Schadendienstleister Eucon? Münster. Ein vierstöckiger, moderner Gebäudekomplex. Rushhour. Draußen schieben sich zähflüssig Pkw, Brummis und Traktoren die Bundesstraße entlang, drinnen rasen Datensätze im Sekundentakt durch die Unternehmenszentrale von Eucon. Dieser Standort ist, kaum gebaut, schon zu klein für den wachsenden Bedarf an Mitarbeitern, die die Digitalisierung der Versicherungswirtschaft vorantreiben sollen. Ein Neubau ist bereits in Arbeit. Die Redaktion ist hier mit dem Direktor Kfz-Schadenmanagement Thorsten Böhm verabredet. Früher war er bei Audatex, heute organisiert der 54-Jährige die digitale Kfz-Schadenwelt der Münsteraner. Mit ihm blickt colornews.de hinter die Kulissen von Eucon, einem Dienstleister, der datengetriebene Prozesse für rund 40 Versicherer, fast 30 Automobilhersteller sowie eine Vielzahl an Automobilzulieferern entwickelt. Das Geschäft am Albersloher Weg ist vielseitig: Ersatzteildatenbanken, Preismanagementsysteme, Dienstleistungen für das automatisierte und expertengestützte Schadenmanagement sowie umfassende Marktstudien gehören unter anderem dazu. ## Wann reicht die automatische Prüfung? Wann wird genauer hingeschaut? Während des Rundgangs erklärt Böhm, dass ein großer Teil der eingehenden Dokumente bereits automatisch geprüft wird. Wie viele der eingehenden Datensätze in Münster dann tatsächlich dunkel, also vollautomatisch, weiterverarbeitet werden, hänge von der Komplexität der Fälle und der Schadenart ab, also ob es sich zum Beispiel um einen Glas- oder Karosserieschaden handelt. Klar ist jedoch:
Zunächst läuft jeder Fall durch die Dunkelverarbeitung, dort ist er in aller Regel nach rund 30 Minuten fertig geprüft. Darüber hinaus gibt es die sogenannte Expertenprüfung. „Welche Schäden bei unseren Experten landen, definieren wir vorab sehr genau mit den Versicherern“, erläutert Thorsten Böhm und nennt einige Beispiele: „Typische Kriterien sind etwa die Höhe der Rechnungssumme oder bestehende Erfahrungen mit Werkstätten.“ Darüber hinaus gibt es auch weitere Positionen in der Kalkulation, die die Experten zur genaueren Prüfung auf den Plan rufen. Falsche oder fehlende Rechnungspositionen, die Qualität der Schadenbilder, falsche Rüstzeiten oder fehlende Fahrzeugdaten – auf diese Positionen achten die Münsteraner. Das führt zu Nachfragen in der Werkstatt und Prozessverzögerungen. Der Chef des Kfz-Schadenmanagements Böhm sprach auch über Abstimmungsbedarf bei den Arbeitsumfängen. „Wir wissen, dass nicht alle Vorgaben der Automobilhersteller zutreffen und sind offen für Korrekturen.“ Deshalb arbeiten die Münsteraner mit der IFL zusammen. Wichtig für die Betriebe: Sind Arbeitszeitumfänge fehlerhaft, [sollten sie gemeldet werden](http://ifl-ev.de/meldebogen/). ## Wie funktioniert die Expertenprüfung? Leitet das System einen Fall in die Expertenprüfung, wird er von einem der rund 30 Kfz-Meister und Sachverständigen kontrolliert. Diese manuelle Prüfung dauert durchschnittlich vier Stunden. Matthias Wiesmann, der das Produktmanagement koordiniert, erklärt: „Kostenvoranschläge prüfen wir auf fachliche Richtig- und Vollständigkeit. Wenn wir Rechnungen erhalten, vergleichen wir diese mit dem freigegebenen Kostenvoranschlag und weisen den jeweiligen Versicherer im Prüfdokument auf Abweichungen hin.“ Eucon erstellt also den Prüfbericht, kürzt jedoch nicht selbst.
## Mehraufwände erklären, Zahlung beschleunigen Häufig greifen die Spezialisten aber auch direkt zum Hörer. „Weicht der Reparaturaufwand der Rechnung vom Kostenvoranschlag ab, versuchen wir den Betrieb zu erreichen, um den Grund für die Abweichung zu klären“, erzählt Matthias Wiesmann. Um Zahlungsverzögerungen aufgrund des Klärungsbedarfs zu vermeiden, rät der Sachverständige Werkstätten deshalb: „Stellt der Betrieb fest, dass der Auftrag umfangreicher wird als veranschlagt, sollte er direkt eine Reparaturauftragserweiterung eingeben, in der der Mehraufwand erklärt wird. ## „Wir werden pro geprüftem Fall bezahlt, nicht nach Einsparvolumen“ Doch wie funktioniert das Geschäftsmodell Eucon genau? Die meisten Assekuranzen lassen bei Eucon die Belegprüfung durchführen. Kostenvoranschläge, Gutachten oder Rechnungen werden nach Münster übertragen und vom Softwaresystem gecheckt. Kollege Computer prüft zudem, ob alle benötigten Unterlagen und Fotos vorhanden sind, ob der Betrieb die mit dem Versicherer ausgehandelten Konditionen und die UVP des Herstellers eingehalten hat. colornews.de fragt bei Thorsten Böhm nach, wie Eucon von den Versicherern für die Prüfung genau bezahlt wird: „Die sach- und fachgemäße Prüfung steht bei uns stets im Mittelpunkt. Wir werden nicht an der erzielten Einsparung für Versicherer gemessen, sondern an der Digitalisierung und somit der Beschleunigung der Prozesse. Schließlich bringt es weder unseren Kunden noch uns etwas, wenn wir hohe Einsparungen erzielen, dafür aber die Reklamationsquote bei den Versicherern steigt.“ Damit distanzierte er sich auch deutlich von der Annahme, Eucon kürze nach den Vorgaben der jeweiligen Assekuranz:
„Wir werden keine Verträge unterzeichnen, bei denen unser Honorar von den Einsparungen abhängt.“ Stattdessen werde man auf Basis der geprüften Vorgänge bezahlt. Eine ähnliche Aussage hatte auch [der Prüfdienstleister ClaimsControlling im Interview getroffen.](http://colornews.de/markt/nachrichten/interview-claimscontrolling-frank-hoffmann/) ## Wenig Papier, aber viel händischer Aufwand… Eucon gab der Redaktion einen sehr offenen Einblick in die Abteilungen. „Wir sind nahezu papierlos. Alle Dokumente gehen in digitalisierter Form als PDFs bei uns ein", erläutert Thorsten Böhm. "Bei Kostenvoranschlägen kommen dabei mehr als 60 Prozent direkt aus den Kalkulationssystemen von DAT oder Audatex." Überraschend dabei: Erst in Münster werden aus den Schadendokumenten strukturierte Datensätze, die dann für die weitere Schadenbearbeitung genutzt werden können. Die Fachleute nennen diesen Vorgang: „Extraktion von Fachdaten“. Das bedeutet am Ende nichts anderes, als eine Eingabe von Rechnungspositionen, Kalkulationswerten oder anderen Belegen. Zunächst über eine spezielle Texterkennungssoftware, anschließend von Hand. Eucon rechnet damit, diese Prozesse in den nächsten Jahren vollständig zu automatisieren. ## Vollautomatische Prüfung: Auch die Digitalisierung hat Grenzen Aber wie digital wird die Schadenwelt nun tatsächlich? Zum Abschluss des Rundgangs durch die Digitalisierungswelten von Eucon erklärt Thorsten Böhm: „Wenn sich alle Beteiligten an die Spielregeln halten, könnten bei digitalen End-to-End-Prozessen bis zu 90 % der Belege vollständig automatisiert in der Dunkelverarbeitung laufen.“ Momentan sei dies jedoch stark davon abhängig, ob der jeweilige Versicherer das überhaupt wünsche. Klar ist den Münsteranern jedoch: Auch die Digitalisierung hat Grenzen. Etwa, wenn es um die fallabschließende Verhandlung mit der Werkstatt oder die finale Beurteilung eines kritischen Falls geht. „Für diese Tätigkeiten braucht es auch in Zukunft hochqualifizierte Kfz-Experten“, schließt der ehemalige Kfz-Meister Böhm.