2015-11-25T13:39:02+0000
# Wie geht Personalführung und -entwicklung im Betrieb? **Frau Grass, wieviel von Ihrem Uni-Wissen zur Mitarbeiterführung lässt sich im Betrieb umsetzen?** Sandra Grass: Klar ist das hier eine andere Konstellation, muss ich das Erlernte auf die alltägliche Praxis „herunterbrechen“. Zum Beispiel: Das Instrument der alljährlichen Zielvereinbarungsgespräche, wie ich es etwa aus meiner früheren Tätigkeit in der Personalentwicklung der Ford-Tochter Visteon kenne, greift hier nur dann, wenn der Zeitraum sehr viel kürzer gefasst wird. Meiner Erfahrung nach ist es ratsam, ein konkretes Ziel für höchstens einen Monat zu fixieren. Alles, was darüber hinaus reicht, ist alsbald schlicht „vergessen“. **Welche Besonderheiten gibt es noch?** Sandra Grass: Stichwort Personalentwicklung: In großen Industrieorganisationen geht es darum, jemanden auf eine bestimmte Position hin zu entwickeln. Bei uns im Handwerksbetrieb läuft Qualifizierung viel elementarer, wird zum Beispiel gefragt: „Wer hat Schwierigkeiten beim Beilackieren?“ – um den Betreffenden dann intern und ganz praktisch zu schulen. **Wie gehen Sie das Thema Mitarbeiter-Motivation an?** Sandra Grass: Wie heißt es in der Werbung: Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt.
Übertragen auf unseren Betrieb hier heißt das, bei jedem einzelnen Mitarbeiter nach dem individuellen Anreizpunkt zu gucken, mit dem er „zu kriegen“ ist.Das kann, muss aber nicht zwingend, ein materieller Anreiz wie eine Prämie sein. Ein anderer schöpft seine Motivation womöglich eher aus der Wertschätzung durch ein ehrliches Lob. Und den nächsten Angestellten bringen Sie durch den Kontakt mit Kunden zum „Erblühen“. Wichtig ist, dass man den unterschiedlichen Persönlichkeiten seiner Leute besondere Aufmerksamkeit schenkt, auch genau hinschaut: Wer kann was am besten? Wenn Ihre Mitarbeiter sich wirklich „gemeint“ fühlen und Sie etwas in denen anstoßen, gehen die für Sie durch dick und dünn: Da wird der Lkw auch nach Feierabend noch bis 23 Uhr zu Ende lackiert. **Wie lassen sich materielle Anreize gerecht und unter Vermeidung von Eifersüchteleien gestalten?** Sandra Grass: Das ist in der Tat eine Herausforderung: Wichtig ist es, Leistung konkret messbar zu machen. Knifflig wird es dadurch, dass mitunter Äpfel mit Birnen verglichen werden müssen: Bekommt Mitarbeiter A sein Fahrzeug deswegen schneller fertig als B, weil das Ausbeulen weniger aufwendig war als angenommen, oder weil er wirklich so gut und flink arbeitet? Da heißt es aufpassen, dass nicht so ein komischer Wettbewerb und „Futterneid“ entsteht. **Arbeitsschutz ist ein Dauerthema im Betrieb. Wie gehen Sie damit um?** Sandra Grass: Mit Konsequenz! Nachdem wir hier mal einen zum Glück glimpflich ausgegangenen Sturz in die offene Lackiergrube hatten, habe ich mir geschworen: Niemals weggucken, nichts durchgehen lassen! Alle gleich behandeln! Und immer wieder auf den gleichen Sachen rumhacken! „Maske, Brille, Gesundheitsschutz“ – das ist mein Mantra.
Da gibt es auch keine Debatte und ich kann richtiggehend nervtötend werden. Und wenn sprießende Lackierer-Bärte mal wieder die Schutzwirkung der Halbmaske zu beeinträchtigen drohen: Hole ich auch mal die Partnerinnen der Männer als meinen „verlängerten Arm“ mit ins Boot, damit die zu Hause ihren Rasier-Muffeln auf die Sprünge helfen. **Sie leiten als Frau einen Betrieb in einer männerdominierten Branche. Wodurch ist Ihr Führungsstil gekennzeichnet, und welche Erfahrungen haben Sie gemacht?** andra Grass: Anfangs gab es schon Vorbehalte mir als Chefin gegenüber – von Kunden, aber auch von Mitarbeitern. Doch ich habe mich durchgebissen und sicher auch mit der Kompetenz zweier Meistertitel im Lackieren sowie Karosseriebau überzeugt. Das ist also kein Thema mehr. Zu Stilfragen: Ich versuche, einen kooperativen Ansatz mit dennoch klaren Ansagen auszubalancieren. Also strebe ich an, die Mitarbeiter in betriebliche Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Doch mitunter gilt es halt, einfach Maßnahmen durchzuziehen – auch unpopuläre. Wenn ich eine Kritik an einem Mitarbeiter habe, achte ich sehr darauf, ihn nicht vor den anderen „vorzuführen“ und zu brüskieren. Ich bitte ihn in mein Büro und mache unter vier Augen und mit Nachdruck meine Position und zukünftige Erwartung deutlich. **Frau Grass, herzlichen Dank für das Gespräch!**