2015-05-29T08:04:49+0000
# Alles ist denkbar! David Lingham ist seit 26 Jahren weltweit im Schadenmarkt unterwegs. Er war Country Business Manager bei Glasurit und später Leiter eines Händlernetzes in Großbritannien. Als unabhängiger Berater, Coach und Moderator der globalen Automotive Aftersales-Szene, kennt er wie kein anderer Strukturen und Entwicklungen im Karosserie- und Lackgeschäft in über 20 Ländern. Ende Mai leitet David Lingham nach 13 Jahren zum letzten Mal als Konferenz Direktor das International Bodyshop Industry Symposium (IBIS) in Athen, dem Treffpunkt für Global Player aus Lackindustrie, Schadendienstleister und Versicherer. Er bleibt jedoch bei IBIS Vorstandsmitglied und bietet strategische Unterstützung. Im Redaktionsgespräch mit colornews.de in Leipzig diskutierten wir mit ihm über globale Trends, Veränderungen im deutschen Markt und die Situation von K&L-Betrieben in anderen Ländern. ## David, was ist der wohl der größte Unterschied zwischen den verschiedenen Märkten in anderen Ländern und Deutschland? David Lingham: Der deutsche Markt ist sehr strukturiert. Die Rollen zwischen Versicherern, Schadenmanagern und Betrieben sind bisher klar verteilt. Den freien Karosserie- und Lackierbetrieben geht es im Vergleich zu Großbritannien oder anderen Ländern noch recht gut. Auch wenn der Druck hierzulande steigt. Der wohl größte Unterschied ist jedoch, dass in anderen Märkten Unfallschäden in ganz anderer Form bearbeitet werden.
## Was heißt das genau? David Lingham: In den USA wachsen vor allem Franchisekonzepte und Werkstattketten, die inhabergeführte freie Werkstatt sehr stark unter Druck setzen. Hier gibt es zudem Kooperationen zwischen Versicherern und Werkstattnetzen. Das heißt konkret: Es wird vereinbart, dass mehrere Unfallschäden nur in diesen Netzen repariert werden. In den USA werden auf diese Weise rund 25 Prozent der Instandsetzungen reguliert. Zum Vergleich: In den Niederlanden sind es fast 60 Prozent. Für deutsche Verhältnisse sicher auch völlig ungewöhnlich ist die Situation in Australien. Nur wenige Werkstattketten bestimmen hier den Schadenmarkt. Es gibt Betriebstypen, die nehmen nur Reparaturaufträge an, die bei der Instandsetzung nicht mehr als acht Stunden Arbeitszeit erfordern. Eine völlig andere Herangehensweise an die Schadenbearbeitung. ## Wie ist die Situation in Großbritannien aktuell? David Lingham: Die Schadensteuerung hat in Großbritannien an Schwung verloren. Die Steuerungsquote ist von 85 auf 75 Prozent gesunken. Viele Betriebe, aber auch die Autofahrer haben ihr Verhalten geändert. Zum Hintergrund: In Großbritannien ist die Selbstbeteiligung der Kfz-Policen oft sehr hoch, damit der Tarif noch günstiger ist. Jetzt gehen viele Autofahrer bei einem Unfall als Privatkunden in die Werkstatt und zahlen den Schaden aus der eigenen Tasche. Die Werkstätten haben dadurch erkannt, dass sie wieder aktiver im Markt sein müssen. Früher waren die Betriebsinhaber „Faxjunkies“, die nur noch auf Aufträge der Versicherer vor ihrem Faxgerät gewartet haben.
## In Deutschland erleben wir gerade den Trend hin zu mehr gesteuerten Unfallschäden. David Lingham: Ja, aber ist diese Entwicklung für die Werkstätten wirklich positiv? Ich verstehe, dass die Versicherer um Marktanteile kämpfen und für Ihre Kunden eine optimales Preis-Leistungsniveau und TOP-Service erreichen wollen. Aber: Bei uns in Großbritannien hat sich die Anzahl der Betriebe in den letzten 26 Jahren von 18.000 auf 3.000 reduziert. Die Rendite liegt heute zwischen einem und drei Prozent – wenn es gut läuft. Wie gesagt, aktuell zeichnet sich bei uns ein anderer Trend ab. Neben Privatkunden ist auch das Geschäft mit Autohäusern und Flotten wieder im Kommen. ## Kann der deutsche Schadenmarkt aus dieser Entwicklung lernen? David Lingham: Konflikte bringen weder Versicherer noch Werkstätten weiter. Weniger Rendite in den Betrieben führt zu weniger Investitionen in Ausstattung und Service. Das wiederum verursacht ein Risiko für die Reparaturqualität, die Kundenzufriedenheit sinkt. Diese negative Entwicklung kann man deutlich in Großbritannien und anderen Ländern sehen, wo es zu Auseinandersetzungen kommt – wie aktuell auch in den USA. Nur eine faire Zusammenarbeit und eine Win-Win-Situation aller am Schadenprozess beteiligter Parteien sorgen für eine positive Entwicklung des Marktes. ## Gibt es Trends, die den Schadenmarkt in allen Ländern beeinflussen? David Lingham: Natürlich haben die Märkte in den Ländern ganz unterschiedliche Strukturen, Kundentypen, Betriebsformen und gesetzliche Regelungen. Dennoch kann man Trends erkennen, die gleichermaßen für Veränderungen sorgen.
## Welche Entwicklungen sind das? David Lingham: Es sind vor allem die moderne Telematik in den Fahrzeugen, die Unfallvermeidungsstrategien der Automobilhersteller und die Digitalisierung unserer Welt. In Zukunft wird es weniger schwere Unfälle geben, die Kleinschäden werden hingegen teurer. Dafür sorgt der wachsende Anteil elektronischer Bauteile. Der Rückgang von Unfällen wird einen Trend zu höheren Selbstbeteiligung von Autofahrern bei den Kfz-Policen zur Folge haben, da das Risiko eines Unfalls sinkt. Im Schadenfall kann es dann häufiger vorkommen, dass der Versicherungsnehmer die Reparatur eher privat bezahlt. ## Verändert sich auch der Markt für Ersatzteile? David Lingham: Durch die Schadensteuerung hat sich das Ersatzteilgeschäft in Großbritannien geändert. Teile wurden von Versicherern bereitgestellt. Dieses Konzept war nicht sehr erfolgreich. Wir erleben aber gerade in den Niederlanden eine ganz neue Entwicklung. Der Ersatzteillieferant partsplan wurde von fünf Schadennetzen gekauft. Eigentlich sind die Netze Wettbewerber, die jedoch beim Ersatzteileinkauf jetzt kooperieren. ## Vielen Dank für das Gespräch!
Lesens Wert

Mehr zum Thema