2023-05-16T12:50:00+0000

Web-TV: Digitalisierung – wo hakt es noch, wo läuft es schon?

Der Schadentalk im Web-TV ging in der vergangenen Woche (11. Mai) erstmals live vor Publikum auf Sendung. Wie verändert die Digitalisierung das gesteuerte Geschäft zum einen und die Arbeitswelt für K&L-Betriebe andererseits? Diese zentrale Frage diskutierte schaden.news-Chefredakteur Christian Simmert in der Zeche Zollverein Essen gemeinsam mit seinen Talkgästen. Jochen Kleemann, Deutschland-Chef von PPG, Markus Unterberger, Vorstandsmitglied beim Schadensteuerer Innovation Group und Chef-Entwickler von Gateway, sowie der junge Betriebsinhaber Benedikt Müller vom Karosserie- und Lackierbetrieb Ostermeier in München ermöglichten dem Zuschauer im Laufe des Branchentalks, sich den Antworten auf die Ausgangsfrage aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu nähern. ## Digitalisierung als Werkzeug für höhere Prozesseffizienz Die Zeche Zollverein stand während der Sendung symbolisch für einen Ort, der viel Veränderung erlebt hat. „Genauso ist auch die Digitalisierung als Werkzeug für höhere Prozesseffizienz einem stetigen Veränderungsprozess unterworfen“, betonte Jochen Kleemann zu Beginn der Sendung. Ob Reparaturtracking, Planungstool, Betriebsführung – kaum ein Bereich der Werkstatt sei heute nicht digitalisiert. Das bestätigt auch Benedikt Müller: Der Betrieb Ostermeier in München habe gerade die Coronazeit genutzt, um die kompletten Prozesse im Unternehmen digital und komplett papierlos umzustellen. Auch die Kunden nutzen die digitalen Tools, wie die Schadenmeldung per Foto, bereits. Das Ergebnis dieser Umstellung ist laut Benedikt Müller ein ruhigeres und schnelleres, also effektiveres Arbeiten. Doch noch nicht alle Prozesse laufen reibungslos in dem Betrieb, der hauptsächlich mit Flotten zusammenarbeitet: „Auf der einen Seite wollen die Flotten digitales Reparaturtracking, andererseits möchten sie dann aber die Rechnung per Post“, verdeutlichte Benedikt Müller mit einem einfachen Beispiel, dass heute noch Medienbrüche einen komplett digitalen Schadenabwicklungsprozess erschweren. ## Wie stabil läuft Gateway, Herr Unterberger? Markus Unterberger gab in der Sendung einen Einblick in die Funktionalität der Plattform Gateway von Innovation Group. Nach Angaben des Chefentwicklers wurden inzwischen rund 100.000 Reparaturen „mit einem hohen dreistelligen Millionenbetrag“ über Gateway abgewickelt. Die Kinderkrankheiten, die viele Betriebe in der Vergangenheit bemängelt hatten, seien inzwischen behoben. „Wir bekommen inzwischen zahlreiches positives Feedback zur Funktionalität von Gateway“, resümierte Markus Unterberger. Die Vorgängerplattform Zoom soll nach Aussage des Chefentwicklers nach der Migration aller Nutzer in Gateway aus dem Markt verschwinden. Gateway soll zudem in naher Zukunft auch im Flottengeschäft ausgerollt werden. Nach eigenen Angaben wolle Innovation Group mit Gateway keinen „Datenweitwurf“ betreiben, sondern die Betriebe Schritt für Schritt bei der digitalen Schadenabwicklung begleiten. Vorwürfe einer Kollision der Interessen durch die Zusammengehörigkeit der Innovation Group mit dem Versicherer Allianz und dem Prüfdienstleister Control Expert wies Markus Unterberger im Talk vergangene Woche dabei klar von sich. Unstrittig sei aber, dass der Eigentümer auch eigene Interessen mit den Daten verfolge, fasste Moderator Christian Simmert an dieser Stelle zusammen. Markus Unterberger betonte während des Talks aber, dass eine Steuerung nach günstigen Stundenverrechnungssätzen in Gateway nicht vorgesehen sei. Das Reparaturtracking bezeichnete er als Service für den Autofahrer und den Auftraggeber. Die Daten, die erhoben werden, haben demnach auch keine Auswirkungen auf das Scoring der Partnerbetriebe. „Der wichtigste Wert ist für uns die Kundenzufriedenheit“. Benedikt Müller betonte jedoch, wie wichtig die Kompatibilität der Auftraggeberplattformen zu den Systemen der Betriebe ist: „Es will kein Betrieb allein mit Gateway arbeiten, sondern im eigenen System.“ Daher müssen seiner Meinung nach die Schnittstellen zu Gateway mit dem betriebseigenen DMS stimmen. ## „Die Bereitschaft der Betriebe, digitale Lösungen zu nutzen, ist stark gestiegen“ Wie fit die Werkstatt aus digitaler Sicht in Zukunft sein wird, erläuterte Jochen Kleemann während des Talks. „Die Bereitschaft der Betriebe, digitale Tools zu nutzen, ist stark gestiegen.“ Mit der automatischen Mischanlage Moonwalk, der Lagerverwaltung, einem elektronischen Rechnungsversand und seit Neuestem mit der digitalen Farbtonfindung begleite der Lackhersteller die Werkstätten bereits jetzt in vielen Bereichen des Betriebsalltag. Die Unterstützung soll weiter ausgebaut werden: „Die Reise geht sukkzessive weiter.“ Erklärtes Ziel von PPG | Nexa Autocolor sei es, „die Prozesseffizienz besser zu gestalten und die Wertschöpfung zu heben, sodass sich die Fachkraft den sinnhaften Arbeiten zuwenden kann. Derjenige, der den Veränderungsprozess durchschreitet, hat am Ende ein höheres Niveau als zu Beginn“, ermunterte er Betriebe, sich neuen digitalen Möglichkeiten zuzuwenden. Die Betriebe abzuholen, sei an diesem Punkt besonders wichtig, fügte Benedikt Müller hinzu und skizzierte die Erwartung der Betriebsinhaber bei der Einführung digitaler Lösungen: „Ich will letztlich damit erreichen, dass wir vorab alles klären können und uns auf den Reparaturprozess konzentrieren können.“ Er räumte jedoch ein, dass dabei auch die ständige Kommunikation zu den Mitarbeitern zwingend notwendig sei, um sich im vollen Umfang auf die Digitalisierung in allen Prozessen einzulassen. ## Ist die Digitalisierung eine Antwort auf den Fachkräftemangel? Kann die Digitalisierung eine Antwort auf den Fachkräftemangel sein? Dieser Frage näherten sich die Talkgäste aus ganz unterschiedlicher Perspektive. „Ich denke schon, dass der Betrieb für potenzielle Fachkräfte interessanter wird, wenn er modern aufgestellt ist. Aber es ist momentan nur ein Zusatzpunkt“, meinte Betriebsinhaber Benedikt Müller. Jochen Kleemann betrachtete das Problem von der anderen Seite: „Wir schaffen zusätzliche Arbeitskräfte, indem wir Prozesse verschlanken und Routinearbeiten automatisieren, um Zeit für produktive und sinnvolle Tätigkeiten bei den Fachkräften zu erreichen.“ Herausforderungen und Chancen liegen seiner Ansicht nach daher sehr eng beisammen. ## Kostenvoranschlagsprüfung noch vor der Reparatur zur Verschlankung von Prozessen Einen weiteren wesentlichen Aspekt griff Uwe Schmortte während der Sendung in verschiedenen Videoeinspielern auf. Der Leiter von IcamSystems, ein Unternehmen, das mit dem Prüfdienstleister claimscontrolling zusammenarbeitet, zeigte dem Publikum ein Konzept auf, um Prozesse zu verschlanken. Dabei geht es um eine Kostenvoranschlagsprüfung noch vor der Reparatur. Dabei wird der Kostenvoranschlag bereits kontrolliert, bevor er an die Versicherung geht und mit der Werkstatt auf Augenhöhe abgestimmt. Dabei seien Kostenänderungen nicht nur nach unten, sondern auch nach oben möglich. Der Leiter von IcamSystems sieht für die Zukunft eine starke Akzeptanz für dieses Vorgehen, sowohl bei Betrieben als auch bei Versicherern. Betriebsinhaber Benedikt Müller befürwortete eine Prüfung des Kostenvoranschlags bereits allein aus Zeitgründen: „In dem Moment der Kostenvoranschlag ist der Schadenfall bei unseren Mitarbeitern im Gedächtnis noch aktuell. Hingegen müssen wir bei einer Beanstandung einer Rechnung erst die Unterlagen von vor einigen Monaten wieder aufrufen und durchgehen – das kostet vielmehr Zeit“, verdeutlichte der Betriebsinhaber. ## „Administrativer Aufwand für die Betriebe muss reduziert werden“ Dass man mit der Kostenvoranschlagsprüfung bei den Werkstätten im gesteuerten Geschäft offene Türen einrennt, bestätigte Peter Vogel, Vorstandsmitglied im Bundesverband der Partnerwerkstätten (BVdP), in einer Wortmeldung aus dem Publikum: „Denn schließlich wollen wir eine komplette, umfassende Kalkulation und damit eine umfassende Reparatur. Stand jetzt haben die Versicherer bei der Rechnungsprüfung nur die Kostenminimierung im Sinn. Das ist nicht der richtige Weg.“ Zudem wolle der BVdP das Prinzip „Erster Kostenvoranschlag ist gleich Rechnungslegung“ vorantreiben. Das funktioniere durch die Standardisierung verschiedener Parameter, die eine umfassende Kalkulation ermöglichen. „Dadurch entstehen keine Prozessstörungen und der Kunde ist auch zufrieden“, fasste Peter Vogel zusammen. Seiner Meinung nach haben die Werkstätten bei den eigenen digitalen Abläufen ihre Hausaufgaben gemacht. Nun seien die FLIs am Zuge: „Es kann nicht sein, dass wir Datensätze schicken und dann von unseren Auftraggebern PDFs zurückbekommen. Unsere Mitarbeiter können es gerade in Zeiten des Facharbeitermangels gar nicht leisten, die vielen unterschiedlichen Plattformen zu bedienen.“ Der administriative Aufwand müsse deutlich reduziert werden. „Das ist der einzige Weg, wie wir in Zukunft kooperativ miteinander arbeiten können.“ ## Was bringt die Zukunft? In der Abschlussrunde warfen die Podiumsteilnehmer noch einen Blick in die Zukunft. Jochen Kleemann sieht eine zentrale Aufgabe des Lackherstellers in der Erweiterung und Schließung des digitalen Kreislaufs in den Betrieben, um einfache und kundenfreundliche Prozesse in allen Bereichen der Werkstatt zu ermöglichen – beispielsweise durch Sprachsteuerung. „Vielleicht wird Siri im Mischraum eines Tages Realität“, meinte er im Talk. Markus Unterberger ließ die Zuschauer an seinen Überlegungen teilhaben, die digitalen Prozesse, die für das gesteuerte GEschäft entwickelt wurden, in Zukunft auch für das ungesteuerte Geschäft zu nutzen. Dort schlummere noch erhebliches Potenzial. Das Schlusswort hatte Betriebsinhaber Benedikt Müller – und dieser mit einer im Grunde ganz simplen Idee: „Ich hoffe, dass wir unsere Dealer Management Systeme füllen und dieses dann den kompletten Datenaustausch automatisch übernimmt. Sodass wir uns auf das Kerngeschäft konzentrieren können: Vernünftig arbeiten, Autos reparieren und damit Geld verdienen.“
Ina Otto