2023-03-08T12:56:39+0000

Wie ändert sich die Schadenwelt der Sachverständigen, Herr Grüninger?

_Im exklusiven Interview mit schaden.news spricht Bernd Grüninger, Bereichsleiter Gutachten und Mitglied der Geschäftsleitung der DEKRA Automobil, über die aktuellen Herausforderungen für Sachverständige, die Entwicklung der Reparaturkosten und die Bedeutung digitaler Lösungen für den Gutachtenprozess._ ___Herr Grüninger, wo liegen aus Ihrer Sicht derzeit die größten Herausforderungen für Kfz-Sachverständige?___ __Bernd Grüninger:__ Sehr viele Entwicklungen sorgen zurzeit in der Welt der Kfz-Sachverständigen für starke Veränderungen. Die Erstellung von Gutachten wird immer komplexer. Neben der seit Jahren steigenden Vielfalt an Modellen bei allen Fahrzeugmarken und der wachsenden Bedeutung von Materialmix beim Fahrzeugbau zählen Elektromobilität und Digitalisierung zu den größten Herausforderungen. ___Was ist an der Begutachtung verunfallter E-Autos anders?___ __Bernd Grüninger:__ In erster Linie geht es hier um den freien Zugang zu Fahrzeug- und Reparaturdaten, die für die Erstellung von Kfz-Gutachten zwingend notwendig sind. Die benötigten Herstellervorgaben stehen nicht immer oder nur teilweise zur Verfügung. Unsere Sachverständigen verbringen sehr viel Zeit damit, die richtigen Daten zu recherchieren. Hinzu kommt, dass E-Autos – gemessen am gesamten Schadenvolumen – in Werkstätten noch relativ selten instandgesetzt werden. Das liegt auch daran, dass in den modernen Fahrzeugen, zu denen die E-Autos gehören, viele Assistenzsysteme verbaut werden, die das Unfallgeschehen teilweise reduzieren. Es fehlen also Erfahrungswerte. Gleichzeitig steigt aufgrund des jungen Fahrzeugbestandes und der damit verbundenen recht hohen Fahrzeugwerte die Reparaturquote. Auch wenn die Reparaturkosten durchschnittlich höher sind, sehen wir weniger Totalschäden. Bei der Begutachtung von E-Autos gibt es also unterschiedliche Entwicklungen und veränderte Rahmenbedingungen. ___Wie reagieren Sie darauf?___ __Bernd Grüninger:__ Die Anforderungen an Kfz-Sachverständige sind, wie gesagt, sehr viel komplexer als früher. Das bedeutet, dass wir das Thema Weiterbildung und Schulung weiterhin sehr, sehr hoch priorisieren werden. Aber es muss eben auch einen besseren Zugang zu den Reparaturdaten sowie Herstellerinformationen geben, um ein unabhängiges Kfz-Schadengutachten erstellen zu können. An beiden Themen arbeiten wir intensiv und bauen hier auch Kooperationen weiter aus. ___Wie wirkt sich die Entwicklung auf die Höhe der Reparaturkosten aus?___ __Bernd Grüninger:__ Wie erwähnt, steigt bei E-Autos die Reparaturquote aufgrund der höheren Fahrzeugwerte. Deshalb werden auch umfangreichere Unfallinstandsetzungen durchgeführt, die teurer sind. Der Aufwand für die Reparatur ist insbesondere, wenn die Antriebsbatterie betroffen ist, deutlich größer. Wir lassen zurzeit Schadengutachten, die wir an Elektrofahrzeugen durchgeführt haben, auswerten, um einen besseren Überblick über die Kostenentwicklung zu erhalten. ___Klar ist, dass die Reparaturkosten im vergangenen Jahr insgesamt deutlich gestiegen sind. Das spiegelt sich auch im DEKRA Reparatur Stundensatz für das Jahr 2022 wider. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?___ __Bernd Grüninger:__ Die im vergangenen Jahr extrem gestiegenen Material- und Energiekosten haben die Reparaturkosten in verschiedenen Bereichen der Unfallinstandsetzung deutlich erhöht. Das beeinflusst natürlich auch die Höhe der erstellten Gutachten, die ja die Grundlage für den DEKRA Reparatur Stundensatz bilden. Die Stundensätze der Werkstätten sind genauso gestiegen wie die Ersatzteilpreise – es hat zudem Aufschläge und Pauschalen gegeben, um die hohen Energiekosten weiterzugeben. Grundsätzlich zeigt diese Entwicklung, dass der Markt funktioniert und die Preisentwicklung von den Werkstätten offensichtlich, wenn nicht übertrieben wurde, umgelegt werden konnte. ___Es gab aber auch Regionen, in denen der DEKRA Reparatur Stundensatz gesunken ist. Was sind die Gründe dafür?___ __Bernd Grüninger:__ Ja das ist richtig. Grundsätzlich gilt: Der DEKRA Reparatur Stundensatz für Lackier-, Karosserie- und Mechanik-Arbeiten wird anhand der uns erstellten Gutachten in der jeweiligen Region ermittelt. Gibt es in einer Region Abweichungen zum Vorjahr, zum Beispiel durch mehr Gutachten mit Stundensätzen von freien K&L-Betrieben oder einer erhöhten Anzahl gesteuerter Schäden, dann kann es sein, dass der DEKRA Reparatur Stundensatz sinkt. Das war im vergangenen Jahr allerdings nur in seltenen Fällen für einzelne Regionen der Fall. ___Welche Themen beschäftigen Sie in nächster Zeit?___ __Bernd Grüninger:__ Natürlich stehen die Auswirkungen des Mobilitätswandels und die Veränderungen durch die Elektro-Mobilität ganz oben auf unserer Agenda. Dazu zählt übrigens nicht nur der Automotive-Markt, sondern auch das Thema E-Bikes und Lastenfahrräder. Zudem gewinnt der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und von Remote-Tools bei der Bewertung von Unfallschäden weiter an Bedeutung. Wir haben schon vor Jahren mit unserem System „I2I“ eine Anwendung entwickelt, die die Schadeneinordnung erleichtert. Nach wie vor sind wir aber davon überzeugt, dass ein gerichtsfestes Schadengutachten nur durch den Kfz-Sachverständigen vor Ort am Fahrzeug erstellt werden kann. KI und Remote-Lösungen können sicher Prozesse beschleunigen und bei der Schadenbewertung von überschaubaren Schäden eingesetzt werden, wenn sich alle Beteiligten darauf einigen. Insgesamt würde ich sagen: Die Themen, die uns beschäftigen, werden nicht weniger. ___Vielen Dank für unser Gespräch!___
Christian Simmert