2022-12-21T09:47:41+0000

Web-TV: Der Markt trotzt der Krise

Für die letzte Web-TV-Sendung 2022 blickte Moderator Christian Simmert vergangene Woche (15. Dezember) gemeinsam mit Verbänden und Branchenkennern zurück und wagte eine Einschätzung, was im kommenden Jahr auf die Unfallreparaturbranche zukommt. Es diskutierten in der Sika-Zentrale in Stuttgart: Thomas Aukamm, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands für Karosserie- und Fahrzeugtechnik (ZKF), Michael Pinto, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Partnerwerkstätten (BVdP), Jochen Gaukel, Bereichsleiter Automotive bei Sika Deutschland, und Thomas Behl, Referatsleiter beim Allianz Zentrum für Technik. ## Wie lief 2022 für die Branche? Beim Rückblick auf das fast vergangene Jahr 2022 wurde klar: Es war nicht alles schlecht. ZKF-Hauptgeschäftsführer Thomas Aukamm bescheinigte den Mitgliedsbetrieben des Verbandes für 2022 eine gute Auftragslage. „Die Auslastung in den Betrieben ist gut. Allerdings können die Betriebe vielerorts die Aufträge nicht kostendeckend abarbeiten.“ Dabei sei die Tendenz zu erkennen, dass es neben der Kostensteigerung im kommenden Jahr auch eine Stundensatzsteigerung geben könnte, bemerkte Thomas Aukamm. Die Situation bleibt dennoch schwierig. Betriebsinhaber haben eine unheimliche Belastung durch Corona, die Folgen des Ukraine-Krieges und die Energiekrise. Das berge weitere Konsequenzen: „Viele Betriebe wollen nicht an einen Nachfolger übergeben, weil sie diesem das Geschäft nicht zumuten wollen.“ BVdP-Geschäftsführer Michael Pinto stimmte seinem Vorredner zu: Prinzipiell sei die Auftragslage gut. Die gestiegenen Kosten seien das Problem. Klar sei für ihn aber auch: Die Betriebe können die technischen Entwicklungen und Anforderungen der Auftraggeber nur erfüllen, wenn die Kosten stimmen. Dabei sei zu beachten, dass die Energiepreise zukünftig auch maßgeblich das Verkehrsaufkommen beeinflussen. „Das kooperative Schadenmanagement hat Zukunft“, betonte Michael Pinto, dass er gerade in den vergangenen Monaten verstärkt positive Signale von Seiten der Auftraggeber sehe. Er hofft, dass sich diese auch im kommenden Jahr fortsetzen werden. „Gerade für unvorhergesehene Ereignisse sind schnelle und pragmatische Maßnahmen durch die Auftraggeber notwendig. Denn wenn die Betriebe nicht leistungsfähig sind, wer soll dann die Reparaturaufträge in Zukunft durchführen?“ Einen Rückblick auf das Jahr 2022 aus Sicht der zuliefernden Industrie gab Jochen Gaukel. Während in der ersten Jahreshälfte die Rohstoffverknappung für Herausforderungen sorgte, forderten laut dem Bereichsleiter Automotive Repair in der zweiten Hälfte 2022 vor allem die gestiegenen Energiekosten den Markt. Dieser Einschätzung stimmten einstimmig auch Sebastian Scholz, Vertriebsleiter von SATA, Jürgen Sterzik von WOLF Anlagentechnik sowie Tobias Brefeld (Glasurit/ BASF) und Kai Gräper (AkzoNobel/Acoat Selected) zu, die in Video-Einspielern ihre Einschätzung auf den Verlauf des Jahres gaben. Wie sich die Materialpreise und der AZT Lackindex in den vergangenen Jahren entwickelte, darüber sprach Talkgast Thomas Behl, Referatsleiter am Allianz Zentrum für Technik in Ismaning: „Seit Corona haben wir den AZT Lackindex für Deutschland zweimal im Jahr angepasst. In anderen Ländern waren sogar drei oder vier Updates notwendig“, erklärte er. So seien die Materialipreise seit 2021 Juli um durchschnittlich 15 Prozent gestiegen. „So hohe Steigerungen haben selbst wir noch nicht erlebt“, betonte der Referatsleiter. Ihm sei bewusst, dass dieses überexponentielle Wachstum eine große Herausforderung für die Betriebe sei. Das Schlüsselwort aller Talkteilnehmer für 2022 wird auch richtungsweisend für das kommende Jahr sein: Flexibilität ist gefragt, und zwar mehr denn je. „Flexibilität sollte aber nicht in Panik oder Aktionismus umschlagen. Stattdessen ist es notwendig, regelmäßig auf seine Kennzahlen zu schauen und dann Entscheidungen treffen.“ „Wandel gab es schon immer – nun ist er aber beschleunigt eingetreten – m an muss schauen, dass man sich daran anpasst“, betonte Jochen Gaukel. Es sei wichtig, nicht nur zu reagieren, sondern auch zu agieren, also proaktiv zu handeln. Dem stimmte Thomas Aukamm zu und betonte, wie wichtig es an dieser Stelle aber auch sei, dass der Betrieb seinen eigenen Stundensatz kenne und nicht für die Versicherer unter diesem arbeite. ## Wie beeinflusst die Konsolidierung den Markt? In der Talkrunde diskutierten die Gäste auch die Folgen, die durch Marktneuordnungen nun auf die Betriebe zukommen. Zu den größten Übernahmen in der Branche zählten in diesem Jahr der Kauf der Innovation Group durch die Allianz sowie die Übernahme des Schadendienstleisters DMS durch G.A.S. „Eine Verlagerung des Reparaturvolumens wird stattfinden“, waren sich die Talkteilnehmer sicher. Einigkeit herrschte aber auch darüber, dass leistungsfähige, vernünftige Werkstätten auch zukünftig gebraucht werden. „Was nicht passieren darf, ist, dass die Werkstätten zum Spielball der Auftraggeber werden“, erklärte Thomas Aukamm. Jochen Gaukel geht davon aus, dass die Konsolidierung im Unfallschadenmarkt weiter voranschreiten wird. „Gerade mittelgroße Betriebe werden Schwierigkeiten haben, die Komplexität bewältigen zu können bei der Mitarbeitersituation.“ Dabei spiele auch der sich konsolidierende Auftraggebermarkt eine entscheidende Rolle. Daher sei es notwendig, die Werkstätten durch Know-how zu unterstützen. „Den Betrieben kommt es auf den Best Practice-Faktor an, sie wollen wissen, wie kann man Prozesse im Unternehmen anders gestalten.“ Genau da wolle Sika auch im kommenden Jahr mit dem Sika Betriebscheck anknüpfen, um die Werkstätten bei ihren Abläufen zu unterstützen. Thomas Aukamm geht davon aus, dass der Kleinstbetrieb mit nur einer Handvoll Mitarbeiter mehr und mehr verschwinden wird. „Aber es wird auch nur sehr wenige große Betriebe geben.“ Durch die fortschreitende Technologie wird seiner Ansicht nach der Bedarf an großen Betrieben mit Händlern, die auch Karosserie- und Lackierarbeiten abdecken, steigen. „Die kleinen Betriebe werden nicht mit Investitionsbedarf und Mitarbeiterausbildung mithalten können.“ Dem widersprach Michael Pinto. Der BVdP-Geschäftsführer geht davon aus, dass sowohl kleine, als auch mittlere und große Betriebe zukünftig notwendig sein werden. „Schließlich müssen ja auch die Schäden an Fahrzeugen, die bereits einige Jahre alt sind, repariert werden. „Wenn die Reparaturkapazitäten bei den Werkstätten weiter sinken, werden sechs Monate Vorlaufzeit für eine Reparatur zukünftig zur Normalität gehören.“ Er sieht jedoch die Tendenz, dass die Auftraggeber künftig stärker nach Kompetenz in die entsprechenden Betriebe steuern wären. Das sei auch logisch. Einigkeit herrschte bei den Talkgästen darin, dass die größte Gefahr für den Mittelstand die Stagnation sei. „Man muss sich bewegen, sein Unternehmen und die Strategien hinterfragen und auf die Situation reagieren.“ ## Welche Erwartungen haben Ausrüster und Lacklieferanten an 2023? Auch zu den Erwartungen 2023 haben sich die Ausrüster und Lacklieferanten in Video-Einspielern während der Web-TV-Sendung geäußert. So betonte Sebastian Scholz, Vertriebsleiter SATA, dass die Kornwestheimer auch im kommenden Jahr großen Wert auf Service und Lieferbereitschaft legen wollen. Jürgen Sterzik von WOLF Anlagentechnik meinte: „Wir gehen davon aus, dass 2023 die Energiepreise nicht auf das alte Niveau zurückgehen. Deshalb werden wir weiter daran arbeiten, energieeffizientere Anlagen zu entwickeln.“ Auch Tobias Brefeld (Glasurit/BASF) machte deutlich, dass der Lacklieferant im kommenden Jahr den Fokus darauflegen werde, K&L-Betriebe dabei zu unterstützen, die aktuellen Herausforderungen bewältigen zu können. Dazu gehören seinen Angaben zufolge unter anderem energiesparende Lösungen bei der Lackierung sowie das Kennzahlen-Optimierungs-Tool Boost. Ebenfalls Unterstützung der Betriebe durch eine Reduktion der Energiekosten und Optimierung der Prozesse in Kombination mit einem verringerten CO2-Fußabdruck hat Kai Gräper von AkzoNobel auf der Agenda. Erreicht werden soll das unter anderem durch den Paint Perfom Air und dem PCE-Konzept zur Prozessoptimierung. ## Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in den kommenden Jahren? Dem von den Lackherstellern in Video-Einspielern angesprochenen Thema Nachhaltigkeit werde im kommenden Jahr eine noch höhere Bedeutung zukommen, lautete ein Fazit aus der Talkrunde. Ein Grund hierfür ist laut Thomas Behl die Preisspirale beim Lackmaterial, die auch im kommenden Jahr noch größer werde. Auch Thomas Aukamm betonte: „Die Energiepreise werden auf hohem Niveau bleiben. Zudem wird Instandsetzen vor Erneuern als Reparaturmethode in Zukunft an Bedeutung gewinnen – zum einen durch die steigenden Gebrauchtwagenpreise, zum anderen durch die teuren Ersatzteile.“ Jochen Gaukel gab zu bedenken: „Es ist wichtig, das Thema Nachhaltigkeit nicht nur vom Umweltaspekt, sondern ganzheitlich zu betrachten.“ Das beginne bereits dabei, wie Mitarbeiter und Fachkräfte im Betrieb eingebunden werden und wie der Betriebsinhaber die Sicherheit der Mitarbeiter garantiere. Betriebe müssten hier ihre Attraktivität steigern und letztendlich Vorteile und Anerkennung bieten. Dem stimmte Michael Pinto zu: „Als Arbeitgeber muss ich attraktiv sein und das Thema Ausbildung vorantreiben, um auch morgen noch Fachkräfte zu haben. Daher müssen Betriebe ihre Rolle bei der Mitarbeiterbindung und -führung überdenken und sollten sich bei der bei Gewinnung von Azubis und Fachkräften modern und zukunftssicher aufstellen.“ Thomas Behl war sich während der Diskussion sicher: „Die Betriebe, die das Thema Nachhaltigkeit jetzt angehen, werden die sein, die zukünftig die besten Chancen im Markt haben. Reduzierte Margen auf Ersatzteile durch Hersteller können für Werkstätten eine Chance sein, zu schauen: Wie kann ich Umsätze generieren.“ Voraussetzung seien aber auch dafür gut ausgebildete Fachkräfte. Die Zukunft werde eindeutig in Richtung Instandsetzen vor Erneuern gehen. Der Referatsleiter Technik beim AZT geht davon aus, dass die Versicherer auch diese Entscheidungen für Instandsetzen statt Erneuern zu honorieren wissen und vorantreiben. In Großbritannien gebe es bereits ein Nachhaltigkeits-Scoring von Versicherern für Betriebe, beispielsweise bei der Wahl für effizienteres Lackmaterial, Ladesäulen für E-Fahrzeuge der Kunden im Betrieb, E-Fahrzeuge, Pedelecs, ÖPNV-Ticket als Kundenersatzfahrzeuge. „Diese Fragen und Ansätze bewegen uns auch – deshalb sind wir auch mit dem BVdP im regen Austausch, was beispielsweise Instandsetzen vor Erneuern angeht.“ Ebenfalls im regen Austausch über die Nachhaltigkeitskonzepte sei der ZKF mit dem BVdP. Thomas Aukamm betonte: „Wir sind uns sicher, dass Nachhaltigkeit in Zukunft ein wichtiges Thema für den Betrieb sein wird. Das zieht sich auch durch die Zusammenarbeit mit Schadensteuerern, Versicherern, Flotten – Nachhaltigkeit ist eines der Schlagworte, das Betriebe in den kommenden Jahren treiben wird.“ Michael Pinto hofft, dass der Bundesverband Anfang kommenden Jahres erste Ergebnisse aus dem Austausch präsentieren könne. Er appellierte jedoch auch an einen Gedankenumschwung bei den Auftraggebern: „Nachhaltiges Instandsetzen ist vielleicht nicht immer günstiger, aber es spart Ressourcen. Dahingehend muss bei den Prüfdienstleistern das Mindsetting passen: Der Betrieb muss auch die Zeiten haben, die das fachgerechte Instandsetzen braucht!“ ## Wie entwickelt sich das Reparaturvolumen in Zukunft? Grundlage für die Auftragslage in den kommenden Jahren ist die Zahl der Blechschäden. Auch dieses Thema diskutierte die Talkrunde in der fast 90-minütigen Sendung. Thomas Behl erinnerte daran, dass es bereits jetzt allein durch die zunehmende Ausstattung der Fahrzeuge mit Fahrerassistenzsystemen weniger Unfälle gibt. Dieser Trend werde sich auch im kommenden Jahr fortsetzen. „Möglicherweise wird sich das Reparaturvolumen im kommenden Jahr weiter auf dem Niveau von 2022 halten. Langfristig ist aber mit einer abnehmenden Zahl an Unfällen zu rechnen.“ Dem stimmte auch Michael Pinto zu: „Die Zahl der Unfälle wird nicht sofort zurückgehen. Schließlich gibt es noch viele ältere Fahrzeuge im Markt.“ Zudem spielen auch andere Faktoren, wie das individuelle Fahrverhalten, eine Rolle. Er betonte aber auch: „Trotzdem sind wir auftragsmäßig momentan auf einem hohen Niveau. Das lässt mich zuversichtlich stimmen, dass wir auch in den kommenden Jahren genügend Fahrzeuge zu reparieren haben.“ Jochen Gaukel geht davon aus, dass das Reparaturvolumen langfristig weiter sinken wird, unter anderem auch durch das geänderte Kommunikationsverhalten der Autofahrer. Zudem spiele das Auto bei jungen Menschen heute eine andere, geringere Rolle als noch vor einigen Jahren. „Der Markt wird schrumpfen. Aber er ist dennoch eine attraktive Branche – man muss sich aber drauf einstellen, dass man nicht auf Wachstum hoffen soll.“ Thomas Aukamm gab wiederum zu bedenken, dass trotz sinkender Unfallhäufigkeit diehochtechnisierte Ausstattung dafür sorgen werde, dass die Schadenhöhe weiter ansteigen wird. ## Das raten die Branchenkenner den Betrieben Dementsprechend positiv blickten die Talkgäste auch in das neue Jahr: Thomas Aukamm gab den Werkstätten während des Talks mit auf den Weg, sich auf die Veränderungen einzustellen und spätestens jetzt auf die Preissteigerungen zu reagieren, indem man den eigenen Stundenverrechnungssatz anpasst. Dafür müsse man diesen jedoch kennen. Zudem empfahl der ZKF-Hauptgeschäftsführer: „Machen Sie sich für Fachkräfte stark und bilden Sie aus. Und hinterfragen Sie neue Geschäftsfelder!“ Michael Pinto riet den Werkstätten in seinem Schlusswort, sich mit den eigenen Kennzahlen auseinanderzusetzen und zu schauen, an welchen Stellschrauben sie drehen sollten, um die steigenden Kosten zu deckeln. „Betriebe sollten außerdem agieren statt reagieren, und zwar mit Zuversicht und Optimismus!“ Dies bestätigte auch Jochen Gaukel: „Auch die derzeitigen Herausforderungen im Markt bieten Chancen, beispielsweise neue Geschäftsfelder. Diese sollte man in Ruhe überdenken und gegebenenfalls angehen.“ Und ganz wichtig: „Seine Mitarbeiter bei allen Veränderungen mitnehmen und positiv gestimmt bleiben!“ Thomas Behl geht davon aus, dass das AZT auch in 2023 den AZT-Lackindex erhöhen wird. Zudem appellierte er an die Betriebe, sich stärker auf das Thema Nachhaltigkeit zu konzentrieren. „Dieses Thema kann man nicht vor sich herschieben, sondern man sollte Konzepte erarbeiten. Dann stehen die Chancen für die Werkstätten sehr gut, sich in diesem ändernden Markt zu positionieren. Denn nichts ist beständiger als der Wandel.“ Die vollständige Aufzeichnung der Talksendung können Sie sich oben im Video ansehen.
Ina Otto