2022-11-02T11:17:41+0000

Web-TV: Das bringen Standards und Zertifizierungen in der Werkstatt

Was haben K&L-Betriebe davon, standardisierte Abläufe zu befolgen oder sogar selbst zu entwickeln? Und welche Vorteile bieten von Expertenorganisationen und Ausrüstern angebotene Zertifizierungen, um sich in Sachen Effizienz, Materialverbrauch und Mitarbeiterkompetenz wettbewerbsfähig und krisensicher aufzustellen? Bei der fünften Ausgabe des Schadentalks im Web-TV, die dieses Mal im DEKRA Weiterbildungszentrum in Altensteig stattfand, diskutierte das Moderatoren-Team Ina Otto und Christian Simmert diese Fragen gemeinsam mit Bernd Grüninger, Mitglied der Geschäftsleitung DEKRA Automobil GmbH, Thomas Marniok, Geschäftsführer MIRKA, sowie den Betriebsinhabern Manfred Paul (Manfred Paul GmbH aus Reutlingen) und Alexander Eßer (Bonner Lack und Karosserie GmbH). ## Fehlende Planungssicherheit belastet Branche Steigende Energie- und Materialkosten, verzögerte Ersatzteillieferungen sowie ein sich weiter zuspitzender Fachkräftemangel haben in den zurückliegenden drei Jahren die Planbarkeit von Aufträgen und Prozessen deutlich erschwert. Eine konkrete Prognose zur weiteren Entwicklung der Branche fiel den Talkgästen daher sichtlich schwer. Mit Blick auf die jüngst [erfolgte Übernahme der Innovation Group durch die Allianz Versicherung](https://schaden.news/de/article/link/43121/schadenmarkt-allianz-uebernimmt-innovation-group-vollstaendig) führte Betriebsinhaber Manfred Paul zudem noch einen weiteren Unsicherheitsfaktor an, der besonders die Partnerbetriebe in der Schadensteuerung vor ungewisse Entwicklungen stellt. „Wir sind in Dialog getreten, man muss sehen, wo man sich trifft“, kommentierte sein Branchenkollege Alexander Eßer die derzeit laufenden Verhandlungen. ## Unterschiedliche Faktoren bremsen gute Auftragslage aus Schnell wurde klar, dass die Auslastung mit Reparaturaufträgen für sich genommen derzeit eher zu den kleineren Herausforderungen zählt. Bernd Grüninger berichtete etwa, dass sich die Anzahl der durch die Expertenorganisation bearbeiteten Schadengutachten wieder annähernd auf dem Vor-Pandemie-Niveau und sich die Branche insgesamt im Aufwind befinde. Eine Einschätzung, die Alexander Eßer grundsätzlich bestätigen konnte. Die hohe Auslastung führe aufgrund der nur eingeschränkt verfügbaren Ersatzteile allerdings zu einem großen Vorlauf. Um sich zu behelfen, versuchen er und sein Team die Kundenfahrzeuge so einzuplanen, dass diese erst bei ihm im Hof stehen, sobald auch die erforderlichen Teile geliefert wurden. „Es bringt nichts, wenn ein Fahrzeug sechs oder acht Wochen bei uns auf dem Hof steht“, stellte der Betriebsinhaber klar. Auch bei Manfred Paul läuft es eigentlich richtig gut: „Es ist viel Arbeit da, aber zu wenig Mitarbeiter“, schränkte er jedoch ein. Eine Erholung im Markt nimmt auch Thomas Marniok wahr. Zugleich verwies der Mirka Geschäftsführer jedoch auf die eigentlich paradoxe Entwicklung, dass die hohe Auslastung der Betriebe aufgrund der hohen Energiepreise schnell in eine gefährliche Kostenbelastung umschlagen könne. Von zentraler Bedeutung sei daher die Schaffung größtmöglicher Transparenz bei Energieverbrauchern wie Heizung oder Kabine. Betriebsinhabern empfahl er daher, sich intensiv mit den eigenen Ressourcen auseinanderzusetzen. „Habe ich genügend Mitarbeiter, um Auftragseingänge gut abarbeiten zu können? Wie gut verkraftet der Betrieb Krankheit und Ausfallzeiten und wo sind die Energiefresser?“, seien Fragen denen Werkstattbesitzer unbedingt nachgehen sollten. ## „Das große Ganze wird der Mitarbeiter erst einmal nicht sehen“ „Wir müssen sehen, wo wir Kosten einsparen können und an allen Schrauben drehen, die hierfür in Frage kommen“, bestätigte auch Manfred Paul. Gerade bei den vorgestellten Energiesparmöglichkeiten zeigte sich, dass es eine Vielzahl von Maßnahmen gibt, die immer auch auf den eigenen Betrieb abgestimmt sein müssen. Sowohl der Betriebsinhaber aus Reutlingen als auch sein Kollege aus Bonn setzen verstärkt UV-trocknendes und lufttrocknendes Material im Reparaturprozess ein. Auch wenn diese in der Anschaffung teurer seien, ergäben sich doch Vorteile durch den erhöhten Fahrzeugdurchsatz sowie die niedrigeren Heizkosten. Eine möglichst komplette Befüllung der Kabine und das gelegentliche Hintanstellen von Zier- und Kleinteilen sei ebenfalls hilfreich. Unterschiede gab es beim Thema Stromverbrauch. So nutzt etwa Alexander Eßer den günstigeren Nachtstrom, um all seine akkubetriebenen Werkzeuge aufzuladen. Manfred Paul hingegen lädt diese tagsüber auf, weil er dazu auf den durch seine PV-Anlage erzeugten Solarstrom zurückgreifen kann. Auch auf das Ineinandergreifen von Prozessen wie der Terminabsprache und Fahrzeugannahme hat er ein Auge, damit von der Schutzfolie bis zum Auftrag bereits alles bereit ist, wenn der Kunde eintrifft und die Mitarbeiter ohne weiteres Nachfragen mit der Reparatur beginnen können. Das Einsparen von Laufwegen oder die Automatisierung von Materialbestellprozessen seien ebenfalls sinnvolle Maßnahmen. Jedem Mitarbeiter müssten diese Abläufe bewusst sein, betonte Manfred Paul und hob in diesem Zusammenhang die Bedeutung entsprechender Kommunikationsmaßnahmen hervor. „Das große Ganze wird der Mitarbeiter erst einmal nicht sehen“, stellte er klar. Umso wichtiger sei es daher die Beschäftigten langsam für bestimmte Themen zu sensibilisieren und so Standards zu etablieren. Regelmäßige Gespräche auf allen Ebenen könnten diese Entwicklung fördern, sollten allerdings auch dokumentiert werden, merkte der Betriebsinhaber an. Das kann auch Alexander Eßer bestätigen, sieht sich aber mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo durch Einsparungen nicht mehr sonderlich viel zu erreichen sei. „Viel Stellschrauben haben wir nicht mehr“, gab er zu bedenken. ## „Alle sollten den gleichen Blickwinkel auf die Fahrzeugreparatur haben“ „Betriebe benötigen Standards, um die Qualität aufrechtzuerhalten und die Prozesssicherheit zu wahren“, stellte Bernd Grüninger klar. Das DEKRA Werkstattsiegel habe die Expertenorganisation mit Blick auf den aktuellen Stand der Technik geschaffen, damit K&L-Betriebe dieses als Nachweis fachgerecht durchgeführter Reparaturen, geeigneter Ausrüstung und entsprechend geschulten Personals führen könnten. Doch auch für die Abläufe innerhalb des Betriebs sei es „wichtig, dass alle im Betrieb den gleichen Blickwinkel auf eine Fahrzeugreparatur haben“, zumal sich die Anforderungen mit der Zeit veränderten – etwa durch neue Karosserieformen, Instandsetzungswerkzeuge oder Antriebstechnologien. Um eine gleichbleibende Qualität der durch DEKRA erstellten Gutachten zu gewährleisten, passe die Expertenorganisation etwa die Schulungsinhalte für ihre Sachverständigen immer wieder den Erfordernissen an. Und auch das Werkstattsiegel umfasse nun bauliche Veränderungen wie einen Quarantäneplatz für E-Fahrzeuge und sehe neben speziellen isolierten Werkzeugen auch die Ausbildung der Mitarbeiter durch DGUV-konforme Hochvoltschulungen vor. Obwohl bei Alexander Eßer reine E-Autos derzeit noch eher selten auf den Hof fahren, sind er und seine Mitarbeiter bereits entsprechend geschult und vorbereitet. Manfred Paul hat entsprechende Schulungen und Weiterbildungen laut eigenen Angaben schon seit zehn Jahren. Die turnusmäßigen Überprüfungen durch DEKRA, Eurogarant und Identica schätzt er nicht zuletzt, weil diese einer gewissen Betriebsblindheit vorbeugen würden. ## „Können manchmal ganze Prozessschritte einsparen“ Der Steigerung der Effizienz der vor und im Anschluss an die Lackierung anfallenden Schritte haben sich die Schleifmittelexperten von Mirka verschrieben. Die Analysen des Ausrüsters hätten gezeigt, dass nahezu jeder Betrieb hierbei noch Optimierungspotential besitze: „In der Lackiervorbereitung sehen wir – je nach Ausgangssituation – Zeitersparnisse von bis zu 40 Prozent“, stellt Thomas Marniok fest. Manchmal fielen dann sogar ganze Prozessschritte weg. Durch Materialeinsparungen könnte darüber hinaus pro Lackierer der Verbrauch um durchschnittlich 25 bis 30 Prozent reduziert werden. Weitere Unterstützung gebe der Ausrüster in puncto Energieverbrauch, da noch immer Druckluftgeräte in Gebrauch seien, die sich als wahre Energiefresser erweisen würden. Die Anschaffung elektrischer Geräte amortisiere sich demgegenüber mittlerweile schon nach einem halben Jahr. Und auch das Thema Ergonomie am Arbeitsplatz sei Teil der umfangreichen Mirka Beratungsangebote, die laut dem Experten allein im Bereich der Schleifprozessoptimierungen 400 Abläufe umfassen, die individuell auf die Erfordernisse eines Betriebs abgestimmt werden können.
Christoph Hendel